4 months ago

Wladimir Kara-Mursa bei Lanz: "Russland wird einmal eine Demokratie sein"



Der russisch-britische Historiker Wladimir Kara-Mursa hatte Glück. Zwei Jahre ist er Gefangener in Russland. Dann wird er mit anderen Gefangenen ausgetauscht. Bei "Maus Lanz" spricht er über seine Haftzeit, und darüber, was ihm half, in der Isolation zu überleben.

Es ist der 1. August 2024. Wladimir Kara-Mursa kann es nicht glauben. Er sitzt in einem Flugzeug, fliegt in die Türkei. Fliegt in die Freiheit.

Am Donnerstagabend ist er Gast in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz", zugeschaltet aus Berlin. Dort erzählt er seine Geschichte. Es ist die Geschichte eines Verfolgten, Eines Mannes, der sich nicht damit abfinden will, dass ein Despot eine kurz erwachende Demokratie in seinem Land vernichtete: Der russische Präsident Wladimir Putin.

1981 wird Kara-Mursa in Moskau geboren. Nach der Scheidung seiner Eltern zieht er mit Seiner Mutter nach London. Da ist er 14 Jahre alt. Schon während seiner Schulzeit arbeitet er als Journalist, später zieht er in die USA, arbeitet einige Jahre bei einem unabhängigen russischen Fernsehsender. Dann kehrt er nach Russland zurück, gehört der wirtschaftsliberalen "Union der rechten Kräfte" an, in der viele Mitglieder der ehemaligen Regierung von Boris Jelzin hohe Posten bekleiden. Die Partei, die vielen ehemaligen Oligarchen eine Heimat bietet, wehrt sich gegen die ständige Machterweiterung Putins und gegen die russischen militärischen Übergriffe auf die Krim im Jahr 2014.

Hier lernt Kara-Mursa den Kreml-Kritiker Boris Nemzow kennen, mit dem er bis zu dessen Ermordung durch den russischen Geheimdienst befreundet war. Auch auf Kara-Mursa werden zwei Giftanschläge verübt. Die Ärzte geben ihm fünf Prozent Überlebenschance. Doch er schafft es. Seitdem leidet er an einer Nervenkrankheit.

Kurz nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine gründet Kara-Mursa zusammen mit anderen Prominenten Putin-Gegnern ein Antikriegskomitee. Am 11. April 2022 wird er in einem Eilverfahren zu zwei Wochen Haft verurteilt, aus denen dann 25 Jahre werden. Er sei ein ausländischer Agent, heißt es, habe Falschinformationen über die russische Armee verbreitet. Das Urteil zielt auf eine Rede im Repräsentantenhaus des US-Bundesstaates Arizona im März 2022.

Die Einzelhaft

September 2023. Das Martyrium von Wladimir Kara-Mursa beginnt. Er erlebt das, was vor ihm schon Millionen anderer Menschen durchmachen mussten: den Gulag. Er wird in ein Lager nach Omsk gebracht, in die Hochsicherheitskolonie IK-6. Drei Wochen dauert die 2700 Kilometer lange Reise von Moskau aus. In Omsk kommt er sofort in eine Isolationszelle. Wegen seiner Nervenkrankheit hat er jeden Tag den Tod vor Augen.

 Kara-Mursa im Herbst 2022.  Kara-Mursa im Herbst 2022.

Gerichtstermin hinter Gittern: Kara-Mursa im Herbst 2022.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Bei Markus Lanz erzählt Kara-Mursa von seiner Haft. Eine kleine Zelle, drei mal vier Meter, mit einem kleinen Fenster unter der Decke. Richtig hell wird es nie. Es gibt ein Bett. Das wird um fünf Uhr hochgeklappt. Es gibt einen Hocker. Kara-Mursa kann nichts anderes tun als hin- und herlaufen. Und er kann sich auf den Hocker setzen. Er ist immer allein, kann sich mit niemandem unterhalten. Er hat nichts zu tun. 90 Minuten am Tag darf er schreiben, Briefe und Bücher lesen. Elf Monate lang. Zweimal darf er in dieser Zeit mit seiner Familie telefonieren, die in den USA lebt. Einmal kurz vor Weihnachten. Eine Viertelstunde lang. Fünf Minuten für jedes Kind.

"Mir war nie klar, warum Einzelhaft Folter ist. Jetzt weiß ich es", sagt Kara-Mursa. Tatsächlich gilt laut UN-Menschenrechtskonvention Einzelhaft von mehr als zwei Wochen als Folter. Wer keine menschlichen Kontakte hat, kann leicht verrückt werden, lernt Kara-Mursa. Er habe sich anstrengen müssen, damit ihm das nicht passiert, sagt er bei Lanz. "Man muss zusehen, wie man den Tag füllt, sein Bewusstsein. Man kann eine neue Sprache lernen." Kara-Mursa lernt spanisch.

Was ihm geholfen hat: Sein christlicher Glaube, sein Wissen als Historiker, dass jede Diktatur einmal zu Ende sein wird, und sein Wissen, dass er im Recht ist. ""Es ist so unglaublich wichtig, dass die Wahrheit auf deiner Seite ist. Ich war nicht der Verbrecher. Die Verbrecher sind dort, wo der Krieg gegen die Ukraine befohlen wird. Ich wusste, dass ich im Recht bin. Und wenn Sie das wissen, zerstreut das jeglichen Zweifel", sagt Kara-Mursa.

Die Freiheit

Den 28. Juli wird Wladimir Kara-Mursa wohl nie vergessen. Ein Wärter sei gekommen, habe ihm befohlen, mitzukommen. "Jetzt geht's zum Erschießen", habe er gedacht. Stattdessen geht es nach Moskau. Diesmal dauert die Reise nur Stunden. Dann wieder Einzelhaft, Und am 1. August zum Flughafen. Dort habe ihn sein Bewacher gewarnt: Er solle sich ruhig verhalten, habe er gesagt. Schließlich könne ja so viel passieren.

Erst im Flugzeug nach Ankara bekommt er mit, was passiert ist: Er ist einer von 16 politischen Gefangenen aus Russland und Weißrussland, die ausgetauscht worden sind. Gegen einen Mann, den der russische Präsident unbedingt haben will: Wadim Krassikow, Geheimagent, der Killer vom Tiergarten. Am 23. August 2019 hatte er im Berliner Tiergarten einen Tschetschenen ermordet. Dafür wurde er in Deutschland zu einer Haftstrafe verurteilt. Es war der größte Gefangenenaustausch in Russland seit dem Zweiten Weltkrieg, der erste seit vierzig Jahren.

"Es fühlt sich immer noch surreal an, nicht mehr im Gefängnis zu sitzen", sagt Kara-Mursa bei Markus Lanz. "Es fühlt sich an, als würde ich einen Film schauen. Noch vor fünf Wochen war ich mir sicher: Ich würde in diesem sibirischen Gefängnis sterben."

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Für Kara-Mursa ist klar: Er wird weiterkämpfen. Für ein demokratisches Russland. "Ich werde nicht paranoid. Ich glaube an das, was ich tue. Ich glaube an mein Land, das ist mir wichtig. Russland verdient eine bessere Zukunft. Es darf nicht unter einer mörderischen und korrupten Diktatur leben." Die Zukunft gehöre den freiheitlichen Demokratien und nicht den archaischen Diktaturen, sagt Kara-Mursa. "Russland wird einmal eine Demokratie sein, ein ganz normales, zivilisiertes europäisches Land. Daran zweifle ich nicht im Geringsten. Und selbst, wenn sie uns alle töten, werden andere unsere Plätze einnehmen, jüngere. Niemandem ist es bisher gelungen, die Gesetze der Geschichte zu verändern. Auch Putin wird das nicht schaffen."

"Es ist so unglaublich wichtig, dass die Wahrheit auf deiner Seite ist. Ich war nicht der wahre Verbrecher. Die Verbrecher sind dort, wo der Krieg gegen die Ukraine befohlen wird. Ich wusste, dass ich im Recht bin. Und wenn Sie das wissen, zerstreut das jeglichen Zweifel."

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