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Wirtschaftswarntag soll "Weckruf an alle Entscheider" sein



Stand: 29.01.2025 11:06 Uhr

Zu viel Bürokratie, zu hohe Kosten: Darauf macht der heutige "Wirtschaftswarntag" aufmerksam. Zwei Beispiele zeigen, wie die vielen Hürden sich im Alltag von Firmen bemerkbar machen.

Von Johanna Sagmeister und Charlotte Gerling, rbb

Eigentlich braucht Jens Ohlbrecht seit einem halben Jahr neue Mitarbeiter, sagt er. Doch ausgeschrieben hat er die zwei Stellen noch nicht. "Viel zu lange" würden sie schon zögern, sagt der Geschäftsführer. Ausgelöst sei diese Zurückhaltung vor allem durch die Ungewissheit: "Wie geht es weiter, wie entwickelt sich der Markt unter den aktuellen Umständen?", fragt er.

Das in Berlin gegründete Unternehmen "Ohlro Hartschaum" stellt Styroporboxen her, in denen Lebensmittel oder Medizinprodukte kühl und sicher transportiert werden können. 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt das Familienunternehmen. Jens Ohlbrecht führt es gemeinsam mit seiner Schwester in zweiter Generation. "Klassischer Mittelstand", sagt er - genau wie mehr als 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Der Mittelstand sichert Arbeitsplätze und bildet aus. Ohne Mittelstand würde die deutsche Wirtschaft praktisch zum Erliegen kommen, so der Unternehmer.

Weckruf und Aufmerksamkeit

Von Politik und Gesellschaft fühlt er sich nicht entsprechend wahrgenommen. Der Wahlkampf sei ein guter Beweis dafür. "Plakate mit Versprechen für die Wirtschaft habe ich noch nicht gesehen", sagt er. Deshalb unterstützt sein Unternehmen den sogenannten "Wirtschaftswarntag", der heute bundesweit stattfindet. Er soll ein Weckruf sein und Aufmerksamkeit generieren. Mehr als 100 Verbände und Unternehmen haben sich angeschlossen, sprechen von einer "dramatischen Lage" der deutschen Wirtschaft.

Ohlbrecht führt durch seine Produktionshalle im brandenburgischen Strausberg. Er läuft vorbei an Männern in T-Shirts, die die fertigen Isolierboxen vom Laufband nehmen und aufstapeln. Um Styropor herzustellen, ist viel Energie nötig. Zuerst müssen die winzigen Kunststoff-Granulate in einer Art Ofen - Ohlbrecht nennt ihn "Popcorn-Maschine" - mit Wasserdampf aufgebläht werden. Diese Schaumkügelchen werden dann unter Druck und Temperatureinsatz miteinander verschmolzen. Die Kosten für Strom und Gas machen etwa ein Fünftel der Produktionskosten aus, erklärt Ohlbrecht. In den letzten vier Jahren seien die Stromkosten um 200 Prozent gestiegen, die Gaskosten um 50 Prozent.

Er befürchtet, irgendwann nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Die polnische Grenze liegt nur 40 Kilometer entfernt, "dort haben sie geringere Energiekosten und auch geringere Lohnkosten", sagt Ohlbrecht. Die im Januar gestiegenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erhöhen den Kostendruck zusätzlich, sagt er.

Unternehmer-Stimmung leicht verbessert

Deutschland ist die weltweit drittstärkste Volkswirtschaft. Dennoch: Die Unsicherheiten, die der Unternehmer beschreibt, sind vielerorts zu spüren. Das zeigt etwa die neueste Umfrage des Münchner ifo-Instituts unter rund 9.000 Führungskräften. Danach hat sich die Stimmung der Unternehmen in Deutschland zwar leicht verbessert. Es ist aber nur ein kleines Plus auf niedrigem Niveau. "Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck", teilt ifo-Umfragechef Klaus Wohlrabe mit. "Wir verharren in der Stagnation. Das gilt für fast alle Branchen. Es ist nirgendwo ein klarer Aufwärtstrend zu sehen."

Die Wirtschaft müsse entlastet und stabilisiert werden, fordern die Unterstützer des "Wirtschaftswarntages". Zu den Organisatoren der Aktion gehören neben dem Außenhandelsverband BGA, der Gesamtverband der Textil- und Modeindustrie und die Stiftung Familienunternehmer in Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird. Zehn politische Forderungen haben sie aufgestellt, darunter Steuersenkungen "mindestens auf den EU-Durchschnitt" und eine Rückkehr zur Obergrenze der Sozialabgaben von 40 Prozent.

"Permanent Stöckchen in die Speichen"

"Im Moment fühlt es sich oft so an, als ob uns die Politik permanent Stöckchen in die Speichen steckt", sagt Dirk Jandura, Präsident des Außenhandelsverbands. Für ihn steht der Abbau der Bürokratie an erster Stelle. "Ich glaube, dass man hier auf eine relativ kostengünstige Art und Weise viel Energie freisetzen kann", erzählt er.

Jandura ist Geschäftsführer von "Obeta", einem Elektrogroßhandel mit etwas über 1.000 Angestellten. Technik und Digitalisierung, das ist sein Geschäft. Und trotzdem, erzählt er, gibt es in der Zentrale einen Ort, der zurück "in die 70er Jahre" führt. Er öffnet die Tür zu einer Lagerhalle, in der sich Umzugskisten auf Paletten stapeln - teilweise bis zu vier Kartons in die Höhe, umschlossen von einer Plastikfolie. "Das sind alles Rechnungen, Lieferscheine und Bilanzbestätigungen, die wir aufbewahren müssen", erklärt Jandura. "Dabei gibt es das alles digital. Niemand kommt hierhin und sucht sich eine Rechnung aus einem der Kartons raus", erklärt er. "Das steht für mich für verkrustete Regelungen, die von gestern sind und nicht für morgen."

Eine Wirtschaftswende für Deutschland

Gleichzeitig werden die Berichtspflichten immer komplexer. Um etwa das deutsche Lieferkettengesetz und eine EU-Richtlinie zur Umweltberichterstattung umzusetzen, habe er drei zusätzliche Mitarbeiter eingestellt und Software für über 100.000 Euro gekauft. "Wir brauchen eine echte Wirtschaftswende, bevor es für den Standort zu spät ist", sagt Jandura. "Der Wirtschaftswarntag ist ein Weckruf an alle politischen Entscheider."

Dieser Weckruf könnte heute noch verstärkt werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellt am Nachmittag den Jahreswirtschaftsbericht der Regierung vor. Laut Handelsblatt senkt die Regierung darin ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr stark von 1,1 Prozent auf lediglich 0,3 Prozent herab.

Unternehmer Ohlbrecht setzt vor allem auf die Gesellschaft. Für ihn wäre der Warntag bereits ein Erfolg, "wenn zumindest in der Breite der Bevölkerung ankommt, wie groß das Problem in der Wirtschaft ist", sagt er.

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