Mit seinem Eingeständnis eines möglichen Reformbedarfs beim Bürgergeld zieht SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rund zwei Monate vor der Bundestagswahl heftige Kritik auf sich. Mützenich sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), er halte es für richtig, "nicht durchgehen zu lassen, wenn jemand das System ausnutzt. Sollten wir Gelegenheit dazu haben, würden wir in einer neuen Regierung nachsteuern". Die Grünen warfen der in Umfragen schwachen SPD daraufhin vor, sich in eine Neuauflage der sogenannten Großen Koalition retten zu wollen. Die FDP hielt Mützenich Wählertäuschung vor.
Was Mützenich genau meint
Der Politiker der Kanzlerpartei hatte gesagt: "Unsere Grundidee war und ist, dass Menschen nach ihren Stärken gefördert werden und wieder auf den ersten Arbeitsmarkt kommen." Das solle auch so bleiben. Aber: "Vielleicht halten sich manche Menschen zu lange im Bürgergeldsystem auf. Und ein Teil der Flüchtlinge aus der Ukraine hat offenbar einen Mehrwert abgeschöpft, der nicht gerechtfertigt ist."
CDU will Bürgergeld abschaffen
Die CDU will laut ihrem Wahlprogrammentwurf das "Bürgergeld" unter diesem Namen abschaffen und durch eine "Neue Grundsicherung" ersetzen. Ideen für "die Fleißigen" stehen vorn, etwa steuerfreie Überstundenzuschläge. Mehr Arbeitsanreize will die Union bei Sozialleistungen. Wer nicht bereit zur Arbeit sei, solle die Grundsicherung gestrichen bekommen, heißt es bei der Union.
SPD will am Bürgergeld festhalten
Die SPD will laut Wahlprogramm am Bürgergeld festhalten, auch am Prinzip des Forderns. "Ziel des Bürgergelds ist es, Menschen mit Hilfe von Qualifizierung und Weiterbildung zu unterstützen, die eigene Hilfebedürftigkeit zu beenden." Die Linke etwa will das Bürgergeld zu einer "sanktionsfreien Mindestsicherung" machen in Höhe von 1400 Euro monatlich für Alleinstehende inklusive Miete und Wohnkosten.
Seit 2023 heißt die Grundsicherung Bürgergeld, davor umgangssprachlich Hartz IV. Auch die Union trug das sozialpolitische Prestigeprojekt der Ampel mit, nachdem sie in einem Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat Verschärfungen durchsetzen konnte. Doch bald kam das Bürgergeld bei vielen in Verruf. Kritik zielt darauf ab, dass die Jobcenter zu viel fördern und zu wenig fordern würden.
Grüne stehen zu Bürgergeld
Der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte: "Die SPD will sich offensichtlich zurück in die alten GroKo-Zeiten retten. Schade, dass sich die SPD zuallererst bei sozialen Themen der CDU anbietet." Mit dem Bürgergeld hätten die Beteiligten gemeinsam auf Qualifizierung und Vermittlung in Arbeit gesetzt. "Das war Kern der Einigung zwischen SPD, CDU/CSU, FDP und uns Grünen", sagte Audretsch. Für die Grünen bleibe im Fokus, mehr Menschen in Arbeit zu bringen.
FDP wirft SPD Wählertäuschung vor
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte: "Die Einsicht, dass beim Bürgergeld nachgesteuert werden muss, kommt sechs Monate zu spät." Immer wieder habe die FDP in der inzwischen gescheiterten Ampel mit der SPD über grundlegende Korrekturen gesprochen. "Und immer wieder wurde das von den Sozialdemokraten abgelehnt." Und auch jetzt klinge es immer noch nicht nach der grundlegenden Korrektur für mehr Leistungsgerechtigkeit, die dringend nötig sei.
Was macht Heil?
"Aber die SPD kann zeigen, dass sie es ernst meint, indem Arbeitsminister Heil jetzt schnell einen konkreten Gesetzentwurf vorlegt", sagte Dürr. "Andernfalls sind die Worte von Herrn Mützenich nichts als ein durchschaubares Wahlkampfmanöver und grenzen gar an Wählertäuschung."
Zuletzt hatte sich Arbeitsminister Hubertus Heil einen Schlagabtausch mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zum Sozialen geliefert. Heil hatte Linnemann Beleidigung von Millionen Beschäftigten vorgeworfen. Linnemann hatte in einem Interview gesagt: "Wir wachsen nicht mehr. Wir sind Schlusslicht, wir steigen ab. In Deutschland gibt es gar keine Leistungsbereitschaft mehr." Heil hatte entgegnet, Linnemann unterstelle 45 Millionen Erwerbstätigen pauschal Faulheit. Das sei eine Unverschämtheit.
Noch mal mit der FDP?
Mützenich schließt nach dem Ampel-Aus eine erneute Koalition mit der FDP Vertrauensverlusten zum Trotz nicht aus. "Mit Herrn Lindner hätte ich meine Schwierigkeiten, aber eine Zusammenarbeit mit Demokraten darf man nicht grundsätzlich ausschließen", sagte er dem RND mit Blick auf Parteichef Christian Lindner. Mützenich nannte das Agieren der FDP vor dem Koalitionsbruch am 6. November den schlimmsten Vertrauensbruch, den er in seiner politischen Arbeit erlebt habe.