Nach Solingen klaffte ein politisches Vakuum, das der Oppositionsführer bravourös zu füllen wusste. Dann kam es dicke: Die Ampel hörte auf zu streiten.
Friedrich Merz hat den ganz großen Hammer herausgeholt und damit auf den Schrotthaufen Koalition eingedroschen, dass der nur so glühte. Was der Sauerländer handwerklich wohl nicht ganz auf dem Schirm hatte, dass aus Hämmern irgendwann Schmieden wird - und nun scheint die Ampel das erste Mal seit langer Zeit handlungsfähig, ja "einig", wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" titelte. Das ist ein für Regierungen grundsätzlich wünschenswerter Zustand, aber ist es auch ein Gewinn für Merz?
Nach Solingen stand Deutschland unter Schock. Schon wieder! Schon wieder Messer, schon wieder Asylbewerber, schon wieder Behördenversagen, das kann doch nicht wahr sein, ausgerechnet auf einem Vielfaltsfestival, schöne Vielfalt ist das! "Jetzt reicht’s!", waberte durch den Debattendunst.
Die üblichen Katapulte hohler Phrasen taten, was sie seit Jahren tun: Der Bundespräsident ließ sich vom Beamtenapparat Troststanzen auf einen Zettel schmieren, die so austauschbar klangen wie Jobgratulationen auf LinkedIn. Man kennt es nicht anders, aber diesmal machte es so manchen Bürger fuchsig.
Da kann man wohl nichts lernen
Niemand freilich verkörperte das politische Achselzucken drastischer, als die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken, als sie in einer Live-Sendung ausrutschte: "Gerade aus diesem Anschlag lässt sich, glaube ich, nicht allzu viel lernen", sagte sie lapidar bei Caren Miosga, und da hörte man in ganz Deutschland das Knallen von Handflächen auf fassungslosen Stirnen: Wie bitte?
So einen Satz dürfte sich kein Angestellter erlauben. Man stelle sich vor, ein Vorstandsvorsitzender würde nach einem sexuellen Übergriff in der Firma sagen, tja, daraus lasse sich wohl nicht viel lernen. Man stelle sich vor, ein Bauarbeiter durchschneidet die Stromversorgung eines Krankenhauses und sagt, daraus lasse sich wohl nicht viel lernen.
Die Stimmung also reichlich gereizt: Keine Kompliziertheit der Umstände würde eine Bevölkerung mit dem Gedanken versöhnen, Solingen und Mannheim seien Preise, die eine offene Gesellschaft eben zahlen müsse. Kapiert hatte das aber zunächst scheinbar nur einer: Friedrich Merz.
Jetzt reicht’s!
Der CDU-Vorsitzende war auf Sendung: Abschiebestopp! Notlage! Gemeinsame Sache mit der Opposition! "Dem Bundeskanzler entgleitet das eigene Land", geißelte er den Ampelchef, angeblich sogar, als er beim Frühstück dem Mann mit den vermeintlichen Glitschfingern gegenübersaß.
Es hätte nun also sehr schön werden können für die CDU. Verzeihlich schien, dass Merz in seiner Merzmail (Überschrift: "Jetzt reicht’s!") schrieb, was rechtlich gar nicht ging. Korinthenkackerei! Jetzt muss gehandelt werden, so lauteten viele Kommentare. Schließlich wurde sogar die bekloppte Messerklingenkürzerei der Ampel teils mit Wohlwollen kommentiert: Wenn denn nur wenigstens irgendwas passiere, was auch immer! Auch wenn die Waffenrechtsreform ein bisschen so wirkt, als wolle man mit einer verschärften Lärmschutzverordnung einen Atomkrieg verhindern.
Merz wurde durch sein Katastrophisieren nicht beliebter, die CDU wohl schon. Und in der Partei weiß man: Darauf kommt es an. Die CDU führte das Land, so schien es kurz, schlug vielleicht einen Keil in die Ampel. Es läuft! Es läuft! Das mag man sich im Konrad-Adenauer-Haus gedacht haben.
Kaum mehr als Tonalitätskritik
Dann geschah das Undenkbare: Die Ampel handelte. Am Donnerstag verkündete sie ohne größeren erkennbaren Zank eine Reihe von Maßnahmen, darunter durchaus solche, die auf den ersten Blick über die zulässige Größe von Küchenmessern in der Öffentlichkeit hinausgehen. Die Abschiebeversprechen sind weiterhin mit Vorsicht zu genießen, da ist die Praxis der Endgegner - aber die Kürzung von Sozialleistungen ist tatsächlich schmerzhaft, politisch vor allem für die Grünen.
Aber offenbar wussten sogar die Grünen, was die Stunde geschlagen hat. Viel mehr als zarte Tonalitätskritik war dort nicht zu hören. Robert Habeck bewarb sich derweil einmal mehr mit tröstenden Video-Worten für den Job, der ihm besser auf den Leib geschneidert ist: Bundespräsident. Erinnern Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, in zehn Jahren an meine Worte.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesjustizminister Marco Buschmann spielten sich in der Bundespressekonferenz auf einmal regelrecht die Bälle zu, waren geradezu possierlich-höflich miteinander, obwohl sie sich eigentlich bei praktisch allen Themen unterm Tisch die Schienenbeine blutig treten, wie es Tradition dieser beiden Ressorts verlangt. Und am Freitag hob der erste Abschiebeflieger nach Afghanistan ab und es wirkt, als hätten Scholz und Merz die Maschine auf die Startbahn gezerrt.
"Liebling, ich habe die Ampel geeint!"
Also: Schöne Scheiße für die Union? Ob die Ampel sich auch zusammengerauft hätte, wenn Merz sie nicht vor sich hergetrieben hätte wie ein cholerischer Schafhirte? Ich denke nicht. Wie erklärt Merz das gerade seinen Leuten? "Liebling, ich habe die Ampel geeint!" Was macht Friedrich Merz eigentlich, wenn er wütend ist? Weiß man da was? Wirft er einen Kaffeebecher an die Wand?
Man weiß jedenfalls, was der Kanzler (nach eigenem Bekunden: "wütend und zornig") macht: Er hält seinen Sauladen endlich einmal zusammen - sei es auch nur gerade lang genug, bis Sachsen und Thüringer gewählt haben, vielleicht gerade gut genug, um Rote und Grüne dort im Parlament zu halten. Die Ampel wirkt wie ein Druckkochtopf auf höchster Flamme, den Scholz mit einem Spanngurt verzurrt hat.
Merz mag sich trösten. Seine Kollegen in Sachsen und Thüringen sind so nach der Wahl am Sonntag vielleicht nicht ganz allein mit den Populisten vom rechten und linken Rand. Immerhin.