Auf der Suche nach Disruption, Aufbruch und Wende hat der Vorsitzende der Liberalen zwei Vorbilder gefunden: den Milliardär Elon Musk und den Präsidenten Argentiniens, Javier Milei. Wird bald wieder in die Hände gespuckt? Oder will hier jemand nur die Debatte von sich weglenken?
Kurzlebig sind die meisten politischen Debatten. Aber es irrt, wer dachte, dass nach etwa vier Wochen endlich nicht mehr über die FDP gesprochen würde. Das D im Parteikürzel steht für D-Day. Noch immer diskutiert das Land, wer wann was vom "Feldschlacht"-Papier wusste. Fraktionschef Christian Dürr: Kannte es nicht. Parteichef Christian Lindner: Hat es nicht "zur Kenntnis genommen", was ja irgendwie anders klingt. Oha: Da steht ja eine Unwahrheit im Raum! Und nun?
Wohl dem Politiker, der einen roten Hering in der Tasche hat. Dieser "red herring" ist eine Metapher für eine Sprechtaktik, die in Deutschland etwas weniger spitz "Nebelkerze" heißt. Man wirft den Fisch oder die Kerze und lenkt dadurch die Öffentlichkeit ab. Angeblich kommt der Begriff vom waidmännischen Irrglauben, man könne mit einem Pökelhering (rötlich durch die Räucherung) die Fährte verwischen und so einen konkurrierenden Jäger ausstechen. Glauben Sie nicht, dass ich abschweife: Christian Lindner ist seit 2018 Jungjäger. Der weiß all das mit Sicherheit!
Lindner warf nun also den roten Hering, der aber in diesem Fall eine Kettensäge war. Bleiben Sie bitte dran, liebe Leserin, lieber Leser, das ergibt gleich alles Sinn, versprochen! Lindner sagte nämlich bei Caren Miosga, man müsse in Deutschland durchaus "ein kleines bisschen mehr Musk und mehr Milei wagen". Was schon wegen der vielen "M"s mutig klingt.
Christian Lindners "Red Herring"
Musk und Milei kennen Sie natürlich, zumal als Leserin oder Leser dieser Kolumne: Erstgenannter steht unter Idiotenverdacht, fängt aber inzwischen gigantische Raketen mit stählernen Händen auf. Es ist schier unnmöglich, sich dafür nicht zu begeistern! Milei wiederum ist argentinischer Präsident und Ökonom, von dem ich vor knapp einem Jahr behauptete, man könne zumindest eines von ihm lernen: nämlich, eine klare politische Vision zu kommunizieren. Das macht Milei bekanntlich mit einer laufenden Kettensäge - mit der will er kürzen und kündigen, ähnlich wie Musk in Amerika.
Nun ist Elon Musk für Menschen linksseitig der Mitte ein turbokapitalistischer Gottseibeiuns ohne Herz und Argentiniens Präsident Javier Milei sowieso. Die beiden positiv zu nennen, ist im deutschen Fernsehen so, als würde Tagesschausprecher Jens Riewa eine Meldung über Kinderarmut verlesen und mittendrin unvermittelt in eine Vuvuzela blasen.
Als "red herring"-Manöver eignet sich kaum jemand so sehr wie Kettensägen-Milei: Er ist schon optisch auffällig, trägt wüste Haare, er polarisiert, jeder hat eine Meinung zu ihm - und habe ich schon seine Kettensäge erwähnt? Wie gut sich ausgerechnet dieses schneidige Gerät als "red herring" eignet, hat der Computerspielklassiker "Maniac Mansion" gezeigt: In diesem Adventure-Spiel von 1987 kann der Protagonist eine Kettensäge finden, aber niemals das Benzin - die Säge ist nur eine Ablenkung von der Handlung.
Wie Merz sich vor Entsetzen an die Perlen fasst
Im Nachfolger wiederum, "Zak McKracken", findet der Protagonist endlich das Benzin - aber es gibt keine Säge mehr. Im geistigen Nachfolger "Thimbleweed Park" schließlich findet der Protagonist beides und kann so eine Tür aufbrechen - die zu einem Fass voll roter Heringe führt. Sie sehen: Wer die Abende am PC vertändelt, versteht, wie Christian Lindner die Öffentlichkeit lenkt.
In diesem Bauerntheater perfekt mitgespielt hat CDU-Chef Friedrich Merz: Er sei "entsetzt" über Lindners Milei-Erwähnung, echauffierte sich der Konservative, etwas tantig, bei "Maischberger". Er sei "einigermaßen sprachlos gewesen". Sprachlos? Wegen Musk und Milei?
Was Merz da macht, nennt man im Amerikanischen "pearl-clutching": Das entsetzte Greifen an die eigene Perlenkette, die natürlich metaphorische, wie ich mit Blick auf Friedrich Merz vermute. Dieses Verhalten gab Lindner Gelegenheit zum Kontern: Es tue ihm leid, dass er zu Friedrichs Entsetzen geführt habe, sagte er treuherzig in einem neuen Video. Aber, erklärt Lindner seinem Wunschkoalitionär aufgeräumt, Musk und Milei hätten doch nun einmal Erfolg und seien mutig. Das solle doch eher zu "Neugier" führen.
Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt
Vielleicht, sagt Lindner, könne man sich von beiden etwas abschauen - statt, wie Merz, sich offen für einen abermaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu zeigen. Zack, das saß! Lindner kann wieder boxen, scheint es. Kurz nach seinem Musk-Milei-Stunt trat Lindner in einem Podcast mit zwei Finanz-Männern auf und wird dort dermaßen männlich gelobt, geknufft und geschulterklopft, dass sogar den Mikrofonen Bärte wachsen.
Gut: Manche der eigenen Leute müsste Lindner mit dem neuen FDP-Kurs womöglich schon noch überzeugen. Zum Beispiel Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es sei "absolut indiskutabel", dass sich die FDP in Richtung der Demokratie-zerstörenden Männer Musk und Milei entwickle, sagte sie dem "Spiegel". Dabei ist sie nicht die einzige Liberale, die gerade ein wenig um die Seriosität der Partei fürchtet.
Und welches Versprechen kann Milei uns Deutschen schon geben? Die Inflation in Argentinien hat er unter Schmerzen gedrückt, immerhin. Es gibt Ökonomen, die seinem Spardiktat einiges abgewinnen können, er hat die Sozialhilfe am unteren Ende gestutzt, auf das gerade so Nötige. Denken Sie auch gerade an unseren Streit um das "Bürgergeld"?
Ein Hauch Geier Sturzflug
Sogar die "Süddeutsche Zeitung" lobt auf einmal Lindner fürs Milei-Loben: "Wer diese Krise überwinden will, wird ohne tiefgreifende Reformen und, ja, auch ohne ein bisschen Disruption nicht auskommen. Das ist Lindners - berechtigte - Botschaft." Die "Süddeutsche"! Wachstum hoch, Bürokratie weg, Disruption her, hurra! Der FDP-Mann hat ganz offensichtlich einen Nerv getroffen.
Ein Hauch von "Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt" weht also durchs Land. Die Zeile sangen bekanntlich Geier Sturzflug 1978 in satirischer Erwartung eines Regierungswechsels zu Schwarz-Gelb. Dann, das scheint sicher, werden wir alle Milei-onäre!
Und niemand spricht mehr darüber, dass in der FDP womöglich gelogen wird.