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Wie sinnvoll sind Sozialabgaben auf Kapitaleinkünfte?



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Stand: 16.01.2025 07:00 Uhr

Auf Einnahmen aus Aktien- oder Zinsgeschäften werden meist keine Sozialabgaben gezahlt. Die Grünen wollen das ändern und damit Reiche stärker zur Kasse bitten. Wie Expertinnen und Experten die Idee bewerten.

Till Bücker

Der Vorschlag der Grünen, zur Finanzierung der Sozialversicherungen auch Kapitalerträge heranzuziehen, hat eine breite Debatte ausgelöst. CSU und FDP warnen vor einem Griff in die Taschen der Menschen, auch von SPD und AfD kommt Kritik. Aber worum geht es genau bei der Idee, und wie schätzen Expertinnen und Experten das Ganze ein?

Was ist das Problem mit der Sozialversicherung?

Weil die Sozialkassen leer sind, die Ausgaben der Versicherungen aber steigen, drohen in den kommenden Jahren immer höhere Beiträge für Verbraucherinnen und Verbraucher. Ohne politisches Eingreifen drohe in diesem Jahrzehnt etwa ein Anstieg der Krankenkassenbeiträge auf 20 Prozent, hatte der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, jüngst in einem SZ-Interview gesagt. Schon zu Jahresbeginn haben die meisten gesetzlichen Krankenkassen den Zusatzbeitrag, der auf den allgemeinen Satz gerechnet wird, kräftig angehoben - im Schnitt auf 2,91 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens.

Auch in den anderen Sozialversicherungen sieht es nicht besser aus. Bis 2035 könnten die Beiträge über alle verschiedenen Versicherungszweige hinweg insgesamt um 7,5 Punkte auf 48,6 Prozent steigen. Das prognostizieren die Forschenden des Berliner IGES Instituts. Schon jetzt gehen 42,3 Prozent des Bruttolohns für Krankenkassen, Renten- und Pflegeversicherung sowie Arbeitslosenversicherung drauf - ein Rekordwert. Nicht wenige bezeichnen die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme daher als "eine der großen Aufgaben der kommenden Regierung".

Worum geht es bei der Idee der Grünen?

"Wir würden gern die Beitragsgrundlage erhöhen", hatte Robert Habeck am Sonntagabend im Bericht aus Berlin angekündigt. Der Grünen-Kanzlerkandidat kritisierte, dass Kapitalerträge bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt seien. Arbeitslöhne würden dadurch stärker belastet als Kapitalerträge. "Und deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen (...) sozialversicherungspflichtig machen." Dass Kapitaleinnahmen zur Finanzierung des Gesundheits- und Pflegesystems herangezogen werden sollen, steht auch im Programmentwurf der Partei zur Bundestagswahl.

Derzeit würden steigende Kosten des Gesundheitssystems über die Löhne und Gehälter finanziert, so Habeck weiter. "Der Druck auf die Löhne wird also immer höher, und zwar auf die Löhne der arbeitenden Bevölkerung. Diejenigen, die morgens aufstehen und abends erschöpft und müde nach Hause kommen." Es sei die Frage, ob dies gerecht sei oder ob es besser sei, "weitere Einkünfte von Menschen, die Gewinne erzielen, solidarisch einzugliedern".

Wie soll das konkret aussehen?

Noch ist vieles an der Idee offen. Die Details dazu müssten in einem etwaigen Gesetzgebungsverfahren geklärt werden, sagte Habeck. Grundsätzlich geht es aber um die "Einbeziehung der Kapitaleinkünfte von Leuten, die große Kapitaleinkünfte haben". Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge betonte, der Vorschlag würde Millionäre belasten. "Gerade diejenigen, die Millionen auf dem Konto liegen haben und selber nicht mehr arbeiten gehen müssen, weil das Geld für sie arbeitet." Es gehe um ein durchdachtes Konzept mit hohen Freibeträgen für Sparerinnen und Sparer.

Wie hoch diese Freibeträge aussehen könnten, ist unklar. Bei der Besteuerung von Kapitalerträgen wie Aktienverkäufen, Dividenden oder Zinsen beträgt die jährliche Grenze 1.000 Euro. Bis zu dieser Summe sind Gewinne steuerfrei. Auf alle Einnahmen darüber müssen Anlegerinnen und Anleger eine Abgeltungssteuer von 25 Prozent sowie einen Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer zahlen. Verluste aus Kapitalerträgen dürfen allerdings verrechnet werden. Wenn Freistellungsaufträge bei den jeweiligen Banken eingerichtet sind, wird die Abgeltungssteuer von den Kapitalerträgen automatisch abgezogen.

Übrigens: Wer freiwillig gesetzlich krankenversichert ist, zahlt bereits auf alle Arten von Einkünften Krankenkassenbeiträge - sprich auch auf Kapitalerträge. Zu dieser Gruppe zählen Selbstständige, Beamtinnen und Beamte oder einige Rentner. Gutverdienende Angestellte werden zwar teilweise auch als freiwillig versichert eingestuft, haben aber ohnehin ein Einkommen, das über der sogenannten Bemessungsgrenze liegt. Diese bestimmt, bis zu welchem Bruttogehalt Beiträge abgezogen werden. Bei der Krankenversicherung liegt sie bei einem Monatseinkommen von rund 5.500 Euro. Wer mehr verdient, muss davon nichts mehr in die Sozialversicherung zahlen.

Wie sind die Reaktionen auf den Grünen-Vorstoß?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ging auf Distanz zum Grünen-Vorschlag. "Das ist ein alter Hut, das hat noch nie funktioniert", sagte er. "Kapitalerträge werden besteuert. Das ist der richtige Weg. Aber sie haben mit Sozialbeiträgen nichts zu tun." Der CDU-nahe Wirtschaftsrat kritisierte, Habecks Pläne würden "private Vorsorgebemühungen konterkarieren". Laut der Vorsitzenden der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, wisse Habeck offensichtlich nicht, wer in Aktien anlege. Das seien häufig junge Menschen, die auf ihre Löhne bereits Steuern und Abgaben gezahlt hätten.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies die Forderung bei der Klausurtagung der bayerischen CSU-Landtagsfraktion im Kloster Banz ebenfalls zurück und verwies auf die Beitragsbemessungsgrenzen. Großverdiener seien also gar nicht betroffen. "Das heißt, der Vorschlag von Habeck bedeutet, dass er zwar über Millionäre spricht, aber die kleinen Sparer trifft", so Dobrindt. "Deswegen lehnen wir diese Vorschläge rundweg ab." CSU-Chef Markus Söder warf dem Grünen-Spitzenkandidaten vor, mit seinem Vorschlag eine Verunsicherung der Bürger ausgelöst zu haben. "Da fehlt es einfach an der Kompetenz", sagte Söder am Mittwoch am Rande der Klausurtagung. Der Plan sei ein "elitäres, abgehobenes Modell".

Positive Reaktionen kamen unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Der DGB fordert schon lange, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auch von Kapitaleinkünften zu erheben, weil das gerechter ist", so Vorstandsmitglied Anja Piel. Wichtig sei aber, dafür einen Freibetrag festzulegen. "Reiche Personen mit hohen Kapitaleinkünften zahlen heute fast nichts", heißt es nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa aus Kreisen der Krankenkassen. "Wenn Reiche ernsthaft mehr zahlen, könnten die Beiträge sinken." Aber so ein Modell müsse genau konzipiert und gerechnet werden, so dass die gewünschten Effekte erzielt würden. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) begrüßte den Vorstoß.

Was bringt die Umsetzung den Sozialversicherungen?

"Wenn man den Vorschlag von Robert Habeck so versteht, dass die Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Kapitaleinkommen ausgeweitet wird, während ansonsten die Rahmenbedingungen (i.e., der Personenkreis der Pflichtversicherten verändert sich nicht, und die Beitragsbemessungsgrenzen bleiben unverändert) bestehen bleiben, kommt nur wenig zusätzliches Beitragsaufkommen zusammen", erklären Anne Steuernagel und Marcel Thum vom ifo Institut gegenüber tagesschau.de. Die beiden Forschenden hatten sich bereits 2023 in einem Forschungspapier mit der Wirkung einer Beitragspflicht für Zinsen, Dividenden und Mieten auf die Sozialkassen beschäftigt.

"Unsere Berechnungen mit dem Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP) haben ergeben, dass selbst bei einer Beitragspflicht ab dem ersten Euro Kapitaleinkommen nur eine Steigerung des Beitragsaufkommens von circa drei Prozent möglich wäre", so die ifo-Experten. In den anderen Sozialversicherungszweigen fielen die Steigerungen sogar noch etwas geringer aus. Würden Kapitaleinkünfte zusätzlich erst ab Überschreiten eines Freibetrages sozialversicherungspflichtig werden, wäre die Beitragssteigerung vermutlich noch deutlich geringer.

Außerdem würden nach aktuellem Stand nur die Kapitaleinkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bis zur Beitragsbemessungsgrenze belastet werden, so Steuernagel und Thum. "Diejenigen, die unter der Beitragsbemessungsgrenze verdienen, haben aber typischerweise keine großen Kapitaleinkommen. Oder anders formuliert: Das meiste Kapitaleinkommen beziehen Leute, die gar nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder in der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung über der Beitragsbemessungsgrenze verdienen."

Was sagen andere Ökonomen?

"Die Grundidee ist richtig, die Finanzierungsbasis der Sozialversicherung auf eine breitere Basis zu stellen und nicht nur dem Faktor Arbeit anzulasten", meint Jens Südekum, Berater des Bundeswirtschaftsministeriums und Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Düsseldorf. Offen sei aber, ob der Umsetzungsvorschlag, der direkt bei den Kapitalerträgen ansetzt, tatsächlich der Beste ist. "Einfacher könnte es sein, versicherungsfremde Leistungen in der Sozialversicherung noch stärker über den Bundeszuschuss aus dem Haushalt zu finanzieren, also letztlich über allgemeine Steuern statt über Beiträge."

Ökonom Andreas Hackethal betont, dass Sozialversicherungsbeiträge im Falle der Umsetzung auch auf Mieteinnahmen anfallen müssten. "Andernfalls würde Finanzkapital in Immobilien umgeschichtet, und es profitieren die Immobilienbesitzer", sagt der Professor für Finanzen an der Goethe-Universität Frankfurt. "Und damit es nicht zu Ungerechtigkeiten zwischen Berufsgruppen komme, müssten auch Beamte und Selbständige Sozialabgaben auf Kapitalerträge entrichten." Einfacher sei es, die Steuern auf Kapitalerträge zu erhöhen und die Spekulationsfrist bei Immobilien abzuschaffen.

Generell sei die Idee interessant, löse aber die Finanzierungsprobleme der Sozialversicherung nicht, sagt auch Andreas Peichl, Leiter des Zentrums für Makroökonomik am ifo Institut. Kurzfristig führe sie zwar zu mehr Einnahmen und gebe der nächsten Regierung mehr Spielraum. Mittel- bis langfristig werden die Finanzierungsprobleme dem Experten zufolge jedoch verschärft, da durch neue Beiträge auch neue Ansprüche entstehen. "Wenn man Kapitaleinkommen stärker belasten möchte, dann sollte dies über das Steuersystem passieren", meint er. "Dies wäre ehrlicher, ebenso wie die strukturellen Probleme der Sozialversicherung - insbesondere bei der Rente - endlich anzugehen."

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