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Wie sich Amazon im Lebensmittelgeschäft behaupten will



Stand: 14.11.2024 14:23 Uhr

Nachdem Amazon zuletzt eine Partnerschaft mit dem Online-Supermarkt Knuspr verkündete, wird nun die Bedeutung dieses Schritts klar: Der Konzern stellt seinen eigenen Lieferdienst für Lebensmittel ein.

Till Bücker

Vor mehr als sieben Jahren hat der weltgrößte Online-Händler Amazon in Deutschland eine Offensive gestartet, um auch im Lebensmittelgeschäft zu einem wichtigen Player aufzusteigen.

Nachdem es bereits in mehreren Städten und Großstadtregionen der USA sowie in London und Tokio möglich war, konnten Prime-Mitglieder seitdem auch hierzulande ihren Wocheneinkauf mit AmazonFresh online erledigen - zunächst in Berlin und Potsdam, später auch in Hamburg und München.

Produktangebot deutlich verringert

Schon zuvor hatte Amazon Lebensmittel verkauft. So konnten Prime-Mitglieder in Berlin und München über Prime Now bereits Produkte bestellen, darunter auch eine kleine Auswahl an frischen Artikeln. Darüber hinaus gab es bei Amazon für alle Kundinnen und Kunden ein Angebot an vorwiegend haltbaren Lebensmitteln. Mit AmazonFresh erweiterte der Online-Riese es für Prime-Abonnenten um frische Produkte - etwa Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch, Milch- und Kühlprodukte oder frische Backwaren. Dazu kamen Artikel aus lokalen Geschäften.

Ziel war es mit der Einführung von AmazonFresh im Mai 2017, dem Marktführer Rewe Marktanteile abzunehmen. Doch die Nachfrage blieb mau. Zum Start gab es mehr als 85.000 Artikel im Angebot, der Lebensmittel Zeitung zufolge wurde es mittlerweile auf unter 9.000 Produkte verringert. "Die groß geplante Expansion ist ausgefallen", sagte Matthias Schu, E-Commerce-Experte an der Hochschule Luzern, kürzlich dem Handelsblatt. Nun ist das Projekt auch endgültig gescheitert.

"AmazonFresh wird ab dem 14. Dezember 2024 nicht mehr verfügbar sein. Wir möchten uns für damit verbundene etwaige Unannehmlichkeiten entschuldigen", schrieb der Konzern gestern an seine Kundinnen und Kunden. Gegenüber tagesschau.de bestätigt eine Sprecherin: "Ab dem 14. Dezember werden wir das AmazonFresh-Angebot, das derzeit für bestimmte Kund:innen in Berlin, München und Hamburg verfügbar ist, einstellen."

Verbraucher können weiterhin Lebensmittel bei Amazon bestellen

"Wir haben unser Angebot und unser Logistik-Netzwerk in Deutschland evaluiert und beschlossen, unser Lebensmittelangebot auf Amazon.de zu vereinfachen und uns auf unser umfangreiches und wachsendes Geschäft mit haltbaren Lebensmitteln zu konzentrieren", so die Sprecherin weiter. Bis zum 13. Dezember werden AmazonFresh-Bestellungen noch ausgeliefert. Dann ist Schluss. Komplett auf den Verkauf von frischen Lebensmitteln verzichtet Amazon aber nicht.

Denn in der vergangenen Woche gab das Unternehmen eine Kooperation mit dem bisherigen Konkurrenten Knuspr bekannt. Auftakt der Partnerschaft mit dem Online-Supermarkt ist der Großraum Berlin, teilte Amazon mit. In den kommenden Monaten sollen zudem das Rhein-Main-Gebiet und der Großraum München folgen. Der deutsche Ableger der tschechischen Rohlik-Gruppe bietet nach Firmenangaben mehr als 15.000 Produkte zu Supermarktpreisen, darunter Artikel von lokalen Lieferanten. Die Auslieferung erfolgt noch am gleichen Tag.

Für Amazon ist der Deal ein Eingeständnis, beim Handel mit frischen Lebensmitteln auf Hilfe angewiesen zu sein. Neben Knuspr kooperiert der Konzern auch mit Tegut. Prime-Mitglieder können sich innerhalb von zwei Stunden Produkte der Supermarktkette nach Hause liefern lassen. Bis 2021 war Tegut Teil von Prime Now, seitdem gibt es die Produktpalette als eigene Darstellung bei Amazon ("Store Front").

Online-Lebensmittelhandel noch kein großer Faktor

Der Online-Handel mit Lebensmitteln ist in Deutschland bislang ein Nischenmarkt. Nach Angaben des Handelsverbands (HDE) kam er im vergangenen Jahr auf einen Marktanteil von rund 2,9 Prozent. Mit Beginn der Corona-Krise ist er damit leicht gestiegen. Zum Vergleich: 2015 betrug der Anteil noch mickrige 0,8 Prozent. Dennoch kauft die überwiegende Mehrzahl der Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Lebensmittel nach wie vor im stationären Handel.

Offizielle Statistiken zum Umsatz der Lieferdienste gibt es nicht, nur wenige Anbieter veröffentlichen konkrete Zahlen. Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) geht davon aus, dass 2023 in dem Bereich 3,7 Milliarden Euro erwirtschaftet wurden. Immerhin: 2015 waren es noch lediglich 736 Millionen Euro. Seitdem kletterten die Einnahmen also um mehr als das Fünffache.

Trotzdem lagen Lebensmittel bei den online meistverkauften Warengruppen 2023 gerade einmal auf Platz neun. Vor allem Kleidung und Elektronikartikel waren wesentlich beliebter. Insgesamt machen Lebensmittel nicht einmal fünf Prozent vom gesamten E-Commerce aus, der laut bevh einen Umsatz von 79,7 Milliarden Euro erzielte.

Eine Branche im Umbruch

Auffällig beim Online-Lebensmittelhandel sei das starke Stadt-Land-Gefälle, so Experte Schu gegenüber dem Handelsblatt. In großen Städten wie München und Berlin liege der Anteil des Online-Geschäfts bei bis zu 15 Prozent. In vielen ländlichen Gebieten gebe es dagegen nicht mal einen Anbieter, sodass so gut wie niemand die Möglichkeit nutze. Damit Unternehmen wie Amazon und Knuspr wirklich profitabel einen Lieferdienst betreiben können, brauche es eine gewisse Bewohnerdichte, um die Fahrzeuge auslasten zu können.

Das ist bei vielen Anbietern offenbar nicht der Fall. Zwar entwickelte sich der Markt während der Pandemie, als Milliarden in Start-ups flossen, zu einem Top-Geschäftsmodell; doch inzwischen stehen hoch gehandelte Firmen kurz vor der Insolvenz. Außerdem zogen sich die Kuriere Gorillas und Getir zuletzt aus Deutschland zurück, übrig geblieben sind nur die Fahrräder von Flink. Und selbst die spezialisierten und expandierenden Online-Supermärkte Knuspr und Picnic stecken hierzulande noch in den roten Zahlen.

Die Supermarktkette Rewe setzt derweil neben verschiedenen Kooperationen - inzwischen auch mit Lieferando - seit zwölf Jahren auf ihren eigenen Lieferdienst. Dieser hat im Sommer sogar seine letzten Lücken im Ruhrgebiet geschlossen und auch den Abholservice ausgebaut. Fachleute trauen vor allem diesem Angebot zu, in absehbarer Zeit profitabel zu werden. Ob Amazon es in der Sparte auch schafft, wird sich zeigen.

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