3 months ago

Warnung vor der "Umsturzpartei": "Die AfD ist eine Partei für Antisemiten"



Wie gefährlich ist die AfD? Gefährlicher, als viele meinen, warnt das Jewish American Commitee Berlin. Die Organisation veröffentlicht eine Broschüre über die Partei, die bei den Landtagswahlen im Osten stärkste Kraft werden könnte. Die AfD, steht darin, arbeite an einem "Umsturz".

Bitte keine Fotos, die die Adresse dieses Büros erkennen lassen, mahnt Remko Leemhuis. Der Direktor des American Jewish Commitee (AJC) Berlin will keinesfalls seine Mitarbeiter gefährdet wissen. Rechtsextremismus, antisemitischer Linksextremismus, Islamisten und gewaltbereite Palästinenser: Juden droht in der deutschen Hauptstadt Gefahr aus allen Richtungen. Einer dieser Gefahren widmet sich die Organisation in einer neuen Broschüre. "Die Umsturzpartei. Wie die AfD unsere Demokratie gefährdet" sind die samt Quellennachweis 60 Seiten betitelt, die kostenlos zum Download angeboten werden.

Die Broschüre solle klarstellen, dass "jene, die ihr Kreuz bei der AfD setzen, ganz genau wissen, für was für eine Programmatik sie sich entscheiden", schreibt Leemhuis im Vorwort. Tatsächlich stehen aber nicht die Wähler der Partei im Fokus der Veröffentlichung, sondern die AfD selbst - ihr Führungspersonal und dessen Verbindungen in die rechtsextremistische Szene, ihre Ideologie und Ziele, ihre Strategie, ihre Unterstützer. Es handelt sich vor allem um eine Zusammenfassung all der Recherchen zur AfD und der Neuen Rechten, an denen die beiden Autoren, Andrea Röpke und Andreas Speit, zum Teil beteiligt waren. Beide recherchieren seit vielen Jahren zum Rechtsextremismus in Deutschland.

Völkisch? "Tut mir auch nicht so weh erstmal"

Der Titel "Umsturzpartei" sei auch eine "Provokation", sagt Röpke vor den zur Präsentation erschienen Journalisten, aber nicht nur: "Ich glaube tatsächlich, dass die AfD dieses Ziel lebt", sagt Röpke. Die Vorstellungen der AfD von einer mehr oder weniger homogenen Volksgemeinschaft und davon, möglichste viele Menschen mit Migrationshintergrund irgendwie wieder aus Deutschland herauszubekommen, "lassen sich nicht gewaltlos umsetzen", sagt Röpke. Besorgniserregend sei, dass die Wählerschaft der AfD auf jede neue Enthüllung stets gleich reagiere: "Sie blendet immer wieder auch die Wahrheiten aus und stellt sich wirklich total konform wie eine Armee hinter diese Partei." Wie Leemhuis ist auch Röpke der Ansicht, dass die rechtsextremistische Einstellung der AfD-Wähler noch zu wenig diskutiert werde.

Anwesend bei der Vorstellung ist auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Schuster sagt, er könne im Bundesparteiprogramm der AfD nichts Antisemitisches finden. "Aber sie ist eine Partei für Antisemiten. Das ist ohne Zweifel", sagt Schuster. Er sei weniger überzeugt, dass die AfD-Wähler mehrheitlich rechtsextremistisch seien. Die frustrierten, von der Politik entfremdeten Menschen dächten über minderheitenfeindliche Positionen der AfD "nun ja, was soll's. Tut mir auch nicht so weh erstmal", sagt Schuster. Es sei Strategie der AfD, im Kleinen zu beginnen, etwa auf kommunaler Ebene. Das gehe "leider bestens auf", sagt Schuster mit Blick auf die nahenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

"Die AfD ist nicht die neue NSDAP", sagt AJC-Direktor Leemhuis. "Damit sollte man schon etwas vorsichtiger sein." Dennoch sei das historische Beispiel eine Mahnung, wie schnell es den Nazis nach der Regierungsübernahme gelungen war, die demokratischen Institutionen der Weimarer Republik auszuhebeln. Auch Röpke hält deshalb wenig von Argumenten, die AfD werde sich bei einer Regierungsbeteiligung schnell selbst "entzaubern." Ist die Bundesrepublik heute wirklich resilienter als Weimar 1933? Röpke verweist auf die Forschung des Soziologen Wilhelm Heitmeyer, der seit mehr als 15 Jahren vor wachsender "Demokratiemüdigkeit" warne. "Ein Großteil der Wählerschaft der AfD, die geschlossen dahintersteht, lehnt autoritäre Regime, eine Führerdiktatur, nicht ab", sagt Röpke.

Neonazis und mutmaßliche Putschisten

Die rechtsextremistischen Biografien führender AfD-Funktionäre und ihr Netzwerk zu anderen rechtsextremistischen Institutionen und Bewegungen sind ein wichtiger Teil der Broschüre. Röpke erinnert an Andreas Kalbitz, Björn Höckes Vertrautem, der wegen seiner Mitgliedschaft in der neo-nationalsozialistischen Organisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) aus der AfD ausgeschlossen wurde. Dennoch sei Kalbitz im Frühjahr im AfD-Kommunalwahlkampf zugegen gewesen. Oder an Steffen Kotré. Der Bundestagsabgeordnete habe seine frühere Fraktionskollegin Birgit Malsack-Winkemann im Gefängnis besucht, obwohl die einstige Richterin zu den Mitangeklagten um Prinz Reuß gehört, die laut Anklage die Bundesregierung stürzen und zahlreiche Menschen ermorden wollten.

Kotré habe sich schon 2004 mit dem Holocaustleugner Horst Mahler solidarisiert, schreibt Röpke. Thüringens AfD-Landeschef Höcke habe sich in einer Rede mehrfach für die wiederholt verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck starkgemacht. Wenn man sich an Alexander Gaulands "Fliegenschiss" erinnert, der der Holocaust angeblich in der deutschen Geschichte sei, bekommt man eine Ahnung von der Geschichtspolitik, die die AfD anstrebt. Hierzu passt auch eine Rede Höckes aus dem vergangenen Jahr: "Wir werden den Kampf gegen Rechts einstellen." Den gegen den Klimawandel übrigens auch, weil die AfD diesen bestreitet.

Kreml-nah und steuerfinanziert

Auch auf die AfD-Beziehungen zu Russland geht die AJC-Broschüre ein. Die Autoren zählen mehr als 100 Reisen von AfD-Politikern nach Russland in den Jahren 2015 und 2020. Auch nach Beginn der großangelegten Invasion in die Ukraine im Februar 2022 reisten AfD-Funktionäre nach Russland und in die besetzten Gebiete der Ukraine. Eine Annäherung an Russland verheiße "die Befreiung aus einer unfreiwilligen amerikanischen Knechtschaft", zitieren die Autoren Höckes Rede bei einer Pegida-Veranstaltung. Die Parteivorsitzende Alice Weidel habe beim Bundesparteitag gesagt, die Ukraine gehöre "nicht zu Europa". Die Beispiele einer auffälligen Kreml-Nähe der AfD sind zahlreich.

Die Affären der Partei, ihre extremistische Sprache in nicht-öffentlichen Chats, ihre Verbindungen, ihre strategische "Entgrenzung des Sagbaren": All das zeige die wahre Gefährlichkeit der AfD auf, sagt Röpke. Zugleich finanziere sich keine andere Partei so sehr wie die AfD über Zuweisungen öffentlicher Gelder. Sie befürworte - anders als Zentralratspräsident Schuster - eine "Verbotsdiskussion" über die AfD. "Sie strebt eine autoritäre Herrschaft an, bei der viele Menschen auf der Strecke bleiben sollen", sagt Röpke. Und: "Diese Partei ist nicht normal."

Adblock test (Why?)

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2024. All rights are reserved