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Wahlkampf: Nach Aschaffenburg: Jetzt wird es endgültig eng für Scholz



Einen Monat vor der Wahl bringt die Tat von Aschaffenburg den Kanzler in Bedrängnis. Auch für die Union ist die Debatte gefährlich – das zeigt ein Auftritt von Friedrich Merz. 

In normalen Zeiten gilt die Regel, dass Politiker, die seriös erscheinen wollen, sich zumindest für einen Tag zurücknehmen. Es heißt, Anteilnahme auszudrücken, die Ermittlungen abzuwarten und ansonsten Ruhe zu bewahren. 

Doch dies sind keine normalen Zeiten. Die Bundestagswahl steht in gut vier Wochen an. Damit beginnt die finale Phase der Kampagne, in der sich die noch Unentschlossenen entscheiden. Das heißt: Wer jetzt einen Fehler macht, wird dafür am 23. Februar garantiert bestraft.

Und so war das schreckliche Verbrechen von Aschaffenburg nur ein paar Stunden alt, als sich fast alle Spitzenpolitiker Deutschland geäußert hatten – und zwar dezidiert politisch. Jetzt sei "falsch verstandene Toleranz völlig unangebracht", erklärte etwa SPD-Kanzler Olaf Scholz.

Die grausame Tat von Aschaffenburg

Denn für ihn wird es jetzt richtig eng. Am Mittwochmittag hatte ein Mann in einem Park in der Aschaffenburger Innenstadt eine Kindergartengruppe mit einem Küchenmesser angegriffen. Er tötete einen zweijährigen Jungen marokkanischer Herkunft. Auch ein 41-jähriger Deutscher, der offenbar eingeschritten war, wurde tödlich verletzt. 

Der mutmaßliche Täter: ein 28-Jähriger aus Afghanistan, offenbar psychisch labil und polizeibekannt wegen früherer Gewalttaten. Sein Asylverfahren war beendet worden, nachdem er Anfang Dezember seine Ausreise angekündigt hatte. Und trotzdem in Deutschland blieb.

Aschaffenburg Angriff 14.05

Auch wenn die Ermittler derzeit ein terroristisches Motiv nicht für wahrscheinlich halten: Die Attacke hat jetzt schon den Wahlkampf verändert. Das Thema Wirtschaft, das zuletzt dominierte, wird wieder von der Migration und Sicherheit überlagert.

Der Kanzler ergreift die Flucht nach vorn

Und so reagierte der Kanzler prompt. Kaum hatte er sich am Mittwochnachmittag in Paris vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron verabschiedet, da telefonierte er auf dem Weg zum Flughafen gleich zweimal mit SPD-Innenministerin Nancy Faeser. 

Der Kanzler nimmt für sich in Anspruch, die Migrationspolitik verschärft zu haben, die Zahl der Asylbewerber ist gesunken, die der Abschiebungen gestiegen. Und trotzdem hinkt er noch hinter seinen eigenen großspurigen Ankündigungen her. Von Abschiebungen "im großen Stil" zum Beispiel kann bislang keine Rede sein.

Deshalb ergriff Scholz die Flucht nach vorn. Nach den üblichen Trauerbekundungen entschied er sich zu einer Art kontrolliertem Wutausbruch: "Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen", erklärte er. Zumal dann, wenn sie von Menschen begangen würden, die zuvor in Deutschland Schutz gesucht hätten. 

Der nächste Abschiebeflug ist terminiert

Am Abend traf sich Scholz dann im Kanzleramt mit Faeser, ihrem Staatssekretär Hans-Georg Engelke sowie den Chefs der Sicherheitsbehörden. Hinterher versprach er, den Fall schnell aufzuklären und "die nötigen Konsequenzen" zu ziehen: "Jetzt". 

Die Ankündigung soll nach Entschlossenheit klingen, dürfte aber nach drei Jahren Regierungszeit auf viele Menschen eher hilflos und wie Aktionismus kurz vor der Bundestagswahl wirken. Zu hören ist, dass schon in den nächsten Wochen ein weiterer Abschiebeflug mit Schwerverbrechern nach Afghanistan abheben könnte.

Ein erster Wahlkampfauftritt des Kanzlers nach der Tat von Aschaffenburg ist für den späten Nachmittag in Erfurt terminiert. Scholz dürfte gegen den Druck, der nun auf ihm lastet, vor allem argumentieren, dass er Veränderungen in der Migrationspolitik durchgedrückt habe, an denen andere Regierungen gescheitert seien – zum Beispiel eine gemeinsame europäische Asylpolitik. 

Das Dilemma der Union

Und immerhin, in Richtung Opposition könnte Scholz den Vorwurf richten, dass die von der Union geführten Länder im Bundesrat von der Ampel verabschiedete Sicherheitsgesetze blockierten. Aber ob das reichen wird?

Klar ist: Auch für den Unions-Kanzlerkandidaten kommt die Tat politisch zur Unzeit. Friedrich Merz versuchte in den vergangenen Wochen, andere Themen als die Migration in den Fokus zu rücken. Er stellte seinen Wirtschaftsplan vor, an diesem Donnerstag folgt eine Rede zu den transatlantischen Beziehungen. Die Debatte um Aschaffenburg dürfte alles überlagern.

Merz und die Union sind in der Migrationspolitik gleich doppelt unter Druck. Die AfD sitzt der Union im Nacken. Und jeder Fall, in dem ein Asylbewerber beteiligt ist, erinnert an die Verantwortung Angela Merkels. Der Kanzlerkandidat hat sich von deren liberalem Flüchtlingskurs verabschiedet, zuletzt auch mit zweifelhaften Forderungen wie jener zum Entzug der Staatsbürgerschaft von kriminellen Doppelstaatlern. Friedrich Merz bereitet sich auf Trump vor 9.30

Um nicht gleich wieder in die Defensive zu geraten, entschied sich Merz am Vormittag für einen Auftritt, der Führungsstärke demonstrieren sollte. Sein Plan: ein faktisches Einreiseverbot für illegale Einwanderer, mehr Abschiebekompetenzen für die Bundespolizei – und im Zweifel Haft für all jene, die ausreisepflichtig sind. "Mir ist völlig gleichgültig, wer das mitgeht. Ich werde diesen Weg beschreiten, keinen anderen. Kompromisse sind nicht mehr möglich."

Besonders erfolgreich ist die Union aber auch mit ihrem härteren Kurs noch nicht gewesen, was auch daran liegen dürfte, dass sie trotz aller Rhetorik so wirkt, als wolle sie nur alte Fehler kompensieren. Aufgrund der Merkel-Jahre fehlt es auch der Union an Glaubwürdigkeit.

Erschwerend kommt im Fall von Aschaffenburg hinzu, dass jetzt bayerische Behörden im Fokus stehen. Ausgerechnet Markus Söder, der CSU-Chef, der sich seit Jahren als Treiber in der Migrationsdebatte sieht, muss nun selbst Fragen danach beantworten, wo seine Beamten womöglich versagt haben. 

Zwar hielt dies seinen Statthalter in Berlin, Alexander Dobrindt, nicht davon ab, direkt nach dem Messerangriff wieder einmal "eine Vollbremsung" in der Migrationspolitik zu fordern. Doch auch noch so markige Worte dürften den Aufklärungsbedarf des bayerischen Agierens nicht überdecken.

Für einige geht es um die parlamentarische Existenz

Und die Grünen? Für sie ist die Themenverschiebung ungut, weil sie ihre flüchtlingsfreundliche Politik infrage stellt. Doch die Kernklientel der Partei wird dies kaum betreffen. Vizekanzler Robert Habeck dürfte aber ein Interesse daran haben, dass sich das Augenmerk auf die Umstände vor Ort in Bayern konzentriert – und sich so kurz vor der Wahl keine große bundespolitische Debatte über eine härtere Linie in der Migrationspolitik entspinnt.

Noch schwieriger wird es allerdings für jene Parteien, deren parlamentarische Existenz infrage steht. Das BSW versucht ähnlich wie die AfD, die Tat zu skandalisieren. Doch als Linke-Abspaltung, die in zwei Ländern mitregiert, verblasst der Populismus neben dem der AfD. Derweil muss die echte Linkspartei fürchten, dass jetzt niemand mehr über ihre Sozialthemen spricht. 

Bleibt die FDP. Sie hat bis vor Kurzem mitregiert. Wie bei allem anderen, was sie derzeit kritisiert, hat sie vor allem eins: ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Die AfD profitiert

Während also Aschaffenburg die meisten etablierten Parteien in Bedrängnis bringt, profitiert allein die AfD. Im Unterschied zum Anschlag in Magdeburg kurz vor Weihnachten passt die Tat fast passgenau in die wichtigste Erzählung der Partei. Dass es sich wahrscheinlich nicht um eine islamistische Tat handelt, ist egal: Der mutmaßliche Täter ist ein Afghane, der eigentlich nicht mehr in Deutschland sein sollte. 

Und das reicht Alice Weidel völlig aus. Der Bundestag müsse bereits nächste Woche über die Schließung der Grenzen und die Zurückweisung Illegaler abstimmen, forderte die AfD-Chefin. Und sie erklärte: "Es darf keine Brandmauertoten mehr geben!"

Damit setzt Weidel ihre Strategie fort, die Union zum Hauptgegner zu erklären. Denn mit dem Begriff "Brandmauertote" macht sie vor allem CDU und CSU für die Tat verantwortlich. Die offen implizierte Logik: Gäbe es deren sogenannte Brandmauer gegenüber der AfD nicht, wären die Grenzen längst geschlossen und hätten die Massenabschiebungen begonnen. Mannheim  AfD Analyse 15.28

Die AfD, die in den Umfragen um die 20 Prozent pendelt, könnte damit noch einmal zulegen. Dafür spricht jedenfalls die Erfahrung des Europawahlkampfs im vergangenen Juni. Damals hatte die Partei wegen ihrer Skandale und der großen Gegendemonstrationen, aber vor allem dank der neuen Konkurrenz durch das BSW an Momentum eingebüßt. Doch der islamistische Anschlag in Mannheim nur wenige Tage vor der Wahl reanimierte die Partei: Sie schnitt mit knapp 16 Prozent besser als erwartet ab.

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