Beim "Parteitag der Friseure" versteigen sich Spitzenpolitiker in einen Überbietungswettbewerb: Wer geht öfter zum Friseur? Szenen aus einem haarigen Wahlkampf.
Mit einem fast schon haarspalterischen Überbietungswettbewerb macht die bundespolitische Elite auf sich aufmerksam: "Ich gehe gerne zum Friseur", sagt Felix Banaszak, Vorsitzender der Grünen, kurze, dunkle Locken.
"Ich bin wahrscheinlich alle drei, vier Wochen beim Friseur", sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD, die Haare seitlich etwas kürzer geschnitten als oben.
Wolfang Kubicki legt noch einen drauf: "Öfter als ich kann man fast nicht zum Friseur gehen", sagt der FDP-Politiker, prononcierte Geheimratsecken. Ach so?
Und Gregor Gysi von den Linken, die Glatze glänzt über dem restlichen Haarkranz, bekennt ganz grundsätzlich: "Ein Land ohne Friseurgeschäfte kann und will ich mir nicht vorstellen."
Alles nur Spaß?
Nein, das ist Wahlkampf. Oder anders: Auch das ist Wahlkampf. Während sich die große politische Diskussion weniger als vier Wochen vor der Bundestagswahl auf das Thema Migration konzentriert, sind in Berlin am Montag Friseurinnen und Friseure aus dem ganzen Land zusammengekommen. Auch in der aufgeheizten Lage nach den Morden von Aschaffenburg haben die angekündigten Spitzenpolitiker nicht abgesagt, sie alle laufen beim "Parteitag der Friseure" auf, organisiert vom Branchenblatt "imsalon".
Im Wahlkampf sagt man wohl auch: "Und ich möchte, dass die Leute gut frisiert sind"
Zugegeben, es war mit relativ wenig Aufwand verbunden, kurz aus dem Regierungsviertel in die Bolle Festsäle am kleinen Tiergarten zu fahren, und ein bisschen um Stimmen zu buhlen. Fahrtzeit mit dem Auto: fünf Minuten. Auch Jens Spahn, Unionsfraktionsvize (Frisur: unauffällig) und Amira Mohamed Ali vom Bündnis Sahra Wagenknecht (glänzende Locken, gewissenhaft frisiert) sind gekommen. Anders als ihre anwesenden Kollegen verrieten sie jedoch nicht, wie oft sie eigentlich im Salon sitzen.
Beim Einschmeicheln machte Spahn das locker wett. Es gebe "wohl wenige Berufe, in denen man so viel mitbekommt, was los ist im Land", sagt der CDU-Mann. "Wahrscheinlich braucht man, wenn man mit ihnen redet, gar keine Umfragen mehr." Dann vielleicht gleich mal ein paar wichtige CDU-Forderungen testen?
Das nimmt ein Parteikollege Spahns kurze Zeit später selbst in die Hand: "Wenn das Leute sind, die zu Hause Haare schneiden und Bürgergeld nebenbei kassieren, da kann ich Ihnen Abhilfe schaffen", sagt Klaus-Peter Willsch, CDU-Bundestagsabgeordneter, als es um den Kampf gegen Schwarzarbeit geht. "Wir werden das Bürgergeld abschaffen!" Applaus brandet auf im Festsaal. Man werde die unterstützen, die es wirklich brauchten, so Willsch. "Aber die, die arbeiten können, sollen arbeiten gehen." – "Ja!", "Eben!", "Endlich!" schallt aus dem Saal zurück.
Die Position des Linken Gysi dürfte das nicht sein, doch auch er kommt im Publikum gut an. Immerhin nennt sich der 77-Jährige selbst "Silberlocke". Das sei ja "verdammt lustig", findet der Moderator.
"Silberlocke" Gysi jedenfalls, einer der drei Alten, die die Linkspartei mit Hilfe eines gewonnenen Direktmandats in den Bundestag retten wollen, schien die Idee zu gefallen, dass die Friseurinnen und Friseure bei diesem Vorhaben in besonderer Weise nützlich sein könnten. Die Revolution von unten, im ganzen Land? Die Subversion beim Undercut? Bei den Friseuren gebe es ja ständig Gespräche, stellt Gysi fest, vielleicht überzeugten sie manchmal auch wen. Er jedenfalls habe einen Wunsch: "Ich möchte keine weitere Rechtsentwicklung, ich möchte keine Einschränkung von Demokratie, und ich möchte, dass die Leute gut frisiert sind."
Arbeitsminister: "Wir haben immer mehr Barbershops in meiner Heimatstadt"
Es wird nicht ganz klar, wie viel sich die Politikerinnen und Politiker zuvor mit der Situation der Friseurinnen und Friseure im Land beschäftigt haben – und ob sich in Zukunft wirklich etwas für sie ändern wird. Kubicki jedenfalls bekennt: "Dass die Branche offensichtlich so mit dem Rücken an der Wand steht, das war mir so nicht bewusst".
Immerhin beteuern alle Anwesenden, dass sie gegen die Schwarzarbeit vorgehen wollten, die in der Branche grassiert. Eigentlich hatte das die Ampel schon angekündigt. Mit dem vorzeitigen Bruch der Regierung kam es nicht mehr zum sogenannten Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Bei den Friseuren versprechen alle, SPD, Grüne, FDP, aber auch die CDU, dass dieses Gesetz nach der Wahl nicht vergessen werde. Er sei sich sicher, dass das komme – "egal, wer die Regierung stellt", sagt Kubicki von der FDP.
Es ist eine zentrale Forderung der Inhaber der rund 80.000 Salons im Land. Die Branche ist in besonderem Maß mit Schwarzarbeit konfrontiert, da sich Haare auch relativ einfach im privaten Umfeld schneiden lassen. "In Zeiten knapper Kassen ist Schwarzarbeit das wohl am stärksten wachsende Segment in unserem Handwerk", heißt es in einem Branchenpapier. Es mangele an Kontrollen. "Betriebe mit offensichtlich hinterfragungswürdigem Geschäftsgebaren sollten zumindest den Druck möglicher Strafen spüren."
Er kenne das Problem, sagt Hubertus Heil. "Wir haben immer mehr Barbershops in meiner Heimatstadt in Niedersachsen", sagt der Bundesarbeitsminister, "und einige sind Geldwäscheanlagen." Man müsse dafür sorgen, "dass sich alle an Recht und Gesetz halten, und dass die ehrlichen Leute, Ihre Unternehmer, nicht die Dummen sind."
Bei aller Freundlichkeit, so ganz einfach machen es sich die Politiker nicht. Die Forderung der Friseurbranche nach einer vergünstigten Mehrwertsteuer von sieben Prozent auf Waschen, Schneiden, Färben, Föhnen lehnen alle deutlich ab – und werden dafür ausgebuht.
Moment mal, alle? Eine nicht: Amira Mohamed Ali hat wohl auf einen einfachen Punktsieg gehofft. Sie könne das Versprechen machen. Sie sei ja eine der beiden Parteivorsitzenden des BSW, und sie sei dafür, diesen Punkt noch ins Wahlprogramm aufzunehmen. "Ich finde das richtig."
Vergleich Donald Trump und Elon Musk 19.55
Gysi wirft ein: "Euer Programm ist ja schon beschlossen, also in das kriegst du's nicht mehr rein", und kringelt sich vor Lachen. Was Mohamed Ali erwidert, geht im Lachen des Saals unter.
Alle anderen sind sich in diesem Punkt einig: Angesichts knapper Kasse sei es am wichtigsten, dass die Wirtschaft wieder brumme. Nur so würden die Kundinnen und Kunden Geld für Haare und Beauty ausgeben.
FDP-Mann Kubicki: Wuschelkopf ist ja schön, aber …
Kubicki jedenfalls sieht die Lage so: "Wuschelkopf ist zwar schön, aber eine Frisur ist auch nicht schlecht." Und während man sich noch fragt, ob diese Spitze ehe gegen die BSW-Chefin oder den Grünen-Vorsitzenden gerichtet ist, legt Kubicki noch einen drauf: Er fordert ein "gesellschaftliches Empfinden" dafür, "dass es toll sein kann, sich stylisch aufzudonnern". Politik am Limit, das könnte auch eine Botschaft dieses "Parteitags der Friseure" sein.
Nach diesem wilden Ritt wird abgestimmt: Wer kam im Saal am besten an?
Die "Koalition der Friseure"? Trommelwirbel! Eine Koalition aus CDU/CSU und Linken, beide kommen auf 23 Prozent. Der Saal bricht in Lachen aus. Bald ist echte Bundestagswahl. Die Friseure wünschen viel Spaß dabei.