4 hours ago

Verlorenes Votum im Bundestag: Merz sieht sich gestärkt - Weidel spricht von "Demontage"



Das Ergebnis steht nach stundenlangen Gesprächen und Debatten fest: der Unionsantrag zur Begrenzung der Migration fällt im Bundestag durch. Kanzlerkandidat Merz ist dennoch zufrieden, ihn eingebracht zu haben. Schuld an dessen Scheitern seien ohnehin nur Grüne und SPD. Das Abstimmungsergebnis sagt etwas anderes.

Nach dem Scheitern des sogenannten Zustrombegrenzungsgesetzes hat Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in einer Sonderfraktionssitzung von CDU/CSU die SPD und die Grünen scharf kritisiert. "Die Grünen und die Sozialdemokraten standen eindeutig mit dem Rücken zur Wand", sagte er nach Teilnehmerangaben. Der Gesetzentwurf sei gescheitert, weil die SPD das Wahlkampfthema behalten wolle und deshalb zu keinen Kompromissen bereit gewesen sei.

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"Wir haben unsere eigenen Vorstellungen zur Abstimmung gestellt. Und wir versprechen den Menschen im Lande, dass es in der Mitte des Parlaments eine Kurskorrektur geben wird." Allerdings stellte er klar: "Ich hätte gerne ein anderes Ergebnis gesehen". Zuvor hatten Union, AfD, FDP und BSW keine Mehrheit für den Migrations-Gesetzentwurf bekommen. 338 Parlamentarier stimmten für den Antrag, 350 dagegen, 5 enthielten sich.

Trotz der teils giftigen Atmosphäre und der Ablehnung des Unionsantrags sieht Merz derweil keine bleibenden Schäden für seine Fraktion. "Ich bin mir ganz sicher, dass wir nach der Bundestagswahl mit den demokratischen Parteien der politischen Mitte in diesem Land, in diesem Hause hier vernünftige Gespräche führen können", sagte er. "Ich will es mal so sagen: Wir sind von einer Krise der Demokratie in Deutschland ziemlich weit entfernt." Trotz der Niederlage seiner Union sagte er: "Wir gehen aus diesem Tag wirklich gestärkt hervor." Alle Parteien hätten gezeigt, wo sie in der Migrationspolitik stünden. Er sei zufrieden, dass er die Abstimmung auf die Tagesordnung gesetzt habe.

"Der deutsche Parlamentarismus war der eigentliche Sieger dieser Woche." Er gehe davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland der Union nun wirklich glauben würden, "dass wir es ernst meinen mit der Wende in der Asyl- und Einwanderungspolitik", ergänzte Merz.

Nach den Worten von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist Friedrich Merz dagegen gleich zweimal gescheitert. "Gescheitert, den Weg zur AfD zu suchen, gescheitert an der Mehrheit im Deutschen Bundestag, die er eigentlich hätte haben können", sagte Mützenich vor Journalisten. Er warf Merz ein Bündnis mit der in Teilen rechtsextremen AfD vor, indem er von einer Koalition sprach: Merz hätten "offensichtlich drei Dutzend Stimmen aus dieser neuen Koalition zusammen mit der AfD gefehlt". Er sei den Abgeordneten aus der Unions-Fraktion, die ihrem Vorsitzenden nicht gefolgt seien, ausdrücklich dankbar.

Grüne wettern gegen Merz' "Erpressungsversuch"

Die Grünen reagierten derweil erleichtert auf das Abstimmungsergebnis. Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte, nach einem sehr schwierigen Tag im Bundestag sei das eine gute Nachricht. Zugleich sagte sie, es seien "große Risse" in der demokratischen Mitte sichtbar geworden. Darüber kann niemand froh sein." Ihre Co-Chefin Katharina Dröge warf mit Blick auf Verhandlungen der Union einen Erpressungsversuch vor. Die Fraktion habe nach dem Motto gehandelt: "Stimmt zu, sonst stimmen wir mit den Nazis." Weiter sagte sie: "Man sieht schon jetzt, wie zersetzend es ist für die parlamentarische Demokratie, wenn demokratische Kräfte anfangen, mit Rechtsextremen Bündnisse zu schließen."

"Friedrich Merz hat sein Versprechen, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, gebrochen. Er hat Erpressung als Mittel der Politik eingesetzt", sagte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck. Damit habe er der AfD den größten Erfolg beschert, nämlich die Spaltung der Demokraten. Eine dramatische, bittere Woche gehe zu Ende, so Habeck weiter. "Wir haben alles versucht, zu einer Lösung unter den Demokraten zu kommen. Aber Merz war im Blindflug unterwegs gen Abgrund. Dank und Respekt gebührt jenen, die verhindert haben, dass erstmals im Deutschen Bundestag ein Gesetz durch eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD zustande gekommen ist. Sie haben sich gegen ihre Fraktionslinien gestellt, das verdient Hochachtung."

Grünen-Vorsitzender Felix Banaszak sieht im Scheitern des Unionsantrags eine große Schlappe für die Spitzen von CDU und CSU. Sowohl CDU-Chef Friedrich Merz als auch FDP-Chef Christian Lindner und FDP-Fraktionschef Christian Dürr seien bereit gewesen, den Tabubruch von Mittwoch, als ihre Parteien gemeinsam mit der AfD für Merz' Anträge stimmten, zu wiederholen. "Dafür haben sie offenbar nicht mal Mehrheit in eigenen Fraktionen", sagte Banaszak im Gespräch mit ntv. Wenn Union die Zustimmung zum Gesetzentwurf durch das Drohen mit AfD erpresst, helfe sie nur der AfD, indem sie ihr "Tür und Tor" öffne. Das Scheitern des Gesetzes werde für Gesprächsstoff in der Union sorgen, so Banaszak weiter.

Weidel sieht Merz demontiert

Die AfD sprach dagegen von einer Implosion der Union. Bei der AfD habe es keine Abweichler gegeben, sagte Parteichefin Alice Weidel. Für Friedrich Merz sei die Abstimmungsniederlage im Bundestag dagegen eine herbe Niederlage. Echten Wandel in der Migrationspolitik werde es nur mit der AfD geben. "Das ist die Demontage von Friedrich Merz als Kanzlerkandidat gewesen", sagte sie weiter. Seine eigene Fraktion habe ihn "abgesägt". "Er kann kein Kanzler, er kann kein Kanzlerkandidat", sagte Weidel. Ihr Co-Chef Tino Chrupalla ergänzte, die Union müsse sich fragen, wer der eigentliche Kanzlerkandidat sei - Merz oder die frühere Kanzlerin Angela Merkel.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr wies Kritik von Merz am Abstimmungsverhalten der FDP zurück. Dürr sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die CDU/CSU-Fraktion hat ihren Gesetzentwurf heute zur Abstimmung gestellt und bei der CDU/CSU-Fraktion lag die Verantwortung für die nötige Mehrheit. Die Union hatte mehr Abweichler als am Mittwoch - und das bei ihrem eigenen Gesetz. Das spricht nach den Einlassungen von Altkanzlerin (Angela) Merkel Bände. Die FDP hat heute alles versucht, damit es eine Mehrheit in der Mitte gibt." Die ehemalige Bundeskanzlerin hatte vor der Abstimmung am Mittwoch erklärt, sie halte es für falsch, "sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen".

Bei der heutigen Entscheidung über den Gesetzentwurf der Unionsfraktion haben innerhalb der Unionsfraktion zwölf Abgeordnete nicht abgestimmt. Die anderen 184 Abgeordneten stimmten dem Antrag zu. Bei der FDP war die Zahl der Abweichler sogar noch höher. 67 Abgeordnete stimmten dem Gesetzentwurf zu, 16 gaben keine Stimme ab, 5 enthielten sich und 2 stimmten sogar aktiv dagegen.

Die Vorsitzende der Linke-Gruppe, Heidi Reichinnek, begrüßte das Scheitern des Unionsantrags im Bundestag. "Ich bin sehr erleichtert", sagte sie dem TV-Sender Phoenix. Ohne die Stimmen der Linke hätte die Ablehnung so nicht funktioniert. Reichinnek nannte es zugleich "schrecklich, dass es überhaupt so weit kommen musste".

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