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USA, Dänemark, Unabhängigkeit: "Geografisch und geologisch gehört Grönland zum nordamerikanischen Kontinent"



In einer bemerkenswerten Pressekonferenz spricht Donald Trump über seine Ambitionen in der Außenpolitik. Unter anderem möchte der kommende US-Präsident Grönland den USA einverleiben, wenn es sein muss, mittels wirtschaftlichem oder militärischem Zwang. Das sei "eine absolute Notwendigkeit" im Sinne der nationalen Sicherheit der USA und der Freiheit in der Welt, sagte Trump bereits im Dezember. Im Interview für den ntv-Podcast "Wieder was gelernt" erklärt der Politikwissenschaftler und Grönland-Experte Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), was hinter den Aussagen steckt und wie realistisch die Ambitionen des baldigen US-Präsidenten sind.

ntv.de: Waren Sie überrascht von Trumps Grönland-Aussagen?

Michael Paul: In dieser Massivität schon. Aber das Interesse der USA an Grönland ist sehr alt. US-Regierungen haben insgesamt bisher siebenmal erwogen, Grönland zu kaufen. Zuletzt Trump selbst, der Grönland während seiner ersten Amtszeit kaufen wollte. Die erste Erwähnung einer solchen Idee stammt aus dem Jahr 1832. Früher waren solche Geschäfte üblich. Die USA haben 1867 Alaska dem zaristischen Russland abgekauft. Aber wir befinden uns nicht mehr im 19. Jahrhundert.

Trump-Sohn Donald Trump Jr. war am Dienstag zu einem Besuch in Grönlands Hauptstadt Nuuk. Offiziell aus "privaten Gründen", um Videoaufnahmen für einen Podcast aufzunehmen und "ein wenig Spaß zu haben", wie Fox News berichtet. Wie bewerten Sie diesen Besuch?

Ich gönne jedem viel Spaß, aber natürlich hat die Anwesenheit eines Familienmitglieds von Donald Trump auf Grönland eine gewisse politische Bedeutung.

Warum hat Trump ein solch großes Interesse an Grönland?

Grönland ist wegen seiner geostrategischen Lage wichtig. Heute spricht man insbesondere über das Greenland-Iceland-UK-Gap, die GIUK-Lücke. Hier müssen russische U-Boote und Schiffe durchfahren, wenn Sie in den Atlantik wollen. Wenn man Grönland kontrolliert, kontrolliert man auch die Nordwestpassage und die Transpolare Route. Ein riesiges Meeresgebiet. Darüber hinaus ist die Region wegen seiner Ressourcen interessant, angeblich schlummert in Grönland eine der größten Lagerstätten von Seltenen Erden.

Der Großteil der Rohstoffe unter dem grönländischen Eis ist noch unentdeckt und unerforscht ...

Genau. Grönland ist zu 80 Prozent von Inlandeis bedeckt. Das ist bis zu 3000 Meter tief. Insofern können wir davon ausgehen, dass Grönland sehr viel mehr Ressourcen hat, als derzeit nachweislich vorhanden sind.

Und am liebsten möchte Grönland vollkommen eigenständig darüber verfügen. Die weltweit größte Insel ist zusammen mit Dänemark und den Färöer aber ein Teil des Königreichs Dänemark. Wie autonom ist Grönland innerhalb dieses Königreichs?

Theoretisch könnte Grönland sehr viel autonomer sein, als es ist. Aber es gibt folgendes Problem: In diesem Königreich stellt Grönland 98 Prozent des Territoriums, aber nur 2 Prozent der Bevölkerung. Die Insel ist etwa sechsmal so groß wie Deutschland, hat aber nur 56.000 Einwohner. Damit können sie gewissermaßen keinen Staat "machen". Sie benötigen Fachleute für administrative Aufgaben. Grönland hat außerdem in seiner neuesten Arktisstrategie sehr ehrgeizige Ziele formuliert. Zum Beispiel möchte die Regierung die Küstenwache von der bisher militärischen in die zivile Nutzung überführen. Dafür benötigt man Schiffe und Personal. Es fehlt aber das Geld. Eine Verfassung hat Grönland auch nicht. Die wird diskutiert, liegt bisher aber nur als Entwurf vor.

Was steht in diesem Entwurf?

Man will frei entscheiden, ob man sich eher dem dänischen Königreich anschließt oder den USA. Das ist schlichtweg ein politischer Prozess, der seine Leitlinien hat. Damit fährt man gut. Aber in Grönland ist gerade Wahlkampf, das macht alles natürlich komplizierter.

Die Partei um Regierungschef Múte Egede strebt die Unabhängigkeit an. Gibt es in der Bevölkerung eine Mehrheit dafür?

Ja, aber den meisten Menschen ist bewusst, dass das nicht einfach umzusetzen ist. Die Beiträge der Europäischen Union sind wertvoll für die Bildung, weil die Menschen erst in vielerlei Gewerke und hoheitliche Aufgaben hineinwachsen müssen. Auch das Joint Arctic Command, ein Teil der dänischen Streitkräfte, hat erste Ausbildungshilfe gegeben. Das sind nützliche Schritte. Insofern ist das dänisch-grönländische Verhältnis eigentlich auf einem guten Weg. Aber beide Seiten - die dänische und die grönländische - wissen, dass es Zeit braucht, um die Unabhängigkeit zu entwickeln. Setzt man das zu schnell um, besteht die Gefahr, dass Grönland tatsächlich zum Spielball der verschiedenen Mächte und der amerikanischen Wirtschaftsinteressen wird.

Michael Paul ist seit 2007 Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Michael Paul ist seit 2007 Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Michael Paul ist seit 2007 Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

(Foto: SWP)

Aber grundsätzlich halten Sie die Unabhängigkeit für ein realistisches Szenario?

Aber nicht in den nächsten zwei bis drei, sondern eher in fünf bis zehn Jahren. Wenn sich Grönland keiner neuen Herrschaft unterwerfen will, muss man eigene Resilienz und Fähigkeiten entwickeln, die man bisher nicht hat. Das braucht Zeit.

Würde Kopenhagen Grönland denn überhaupt aus dem Königreich Dänemark entlassen?

Dafür gibt es ein festgelegtes Verfahren. Das steht im Staatsvertrag von 2009, der damals die Selbstverwaltung von Grönland regelte. Das Folketing, das dänische Parlament, müsste zustimmen und der König unterzeichnen.

Die grönländische Hauptstadt Nuuk liegt 300 Kilometer Luftlinie näher an Washington als an Kopenhagen. Rein geografisch klingt eine Zugehörigkeit zu den USA weniger absurd als politisch.

Absurd ist es tatsächlich nicht. Politisch gehört Grönland zu Europa, geografisch und geologisch aber zum nordamerikanischen Kontinent. Deshalb hatten die USA 1867 nach dem Erwerb von Alaska nicht nur geplant, Kanada in die Vereinigten Staaten zu integrieren, sondern auch Teile von Grönland.

Gibt es ein Szenario, indem Trump tatsächlich Grönland unter die Kontrolle der USA bringt?

Ich kann es mir nicht vorstellen. Trump ist bekannt dafür, dass er mit großen Plänen antritt und dann nur kleine Teile realisiert. In diesem Fall stellt er wieder ein großes Vorhaben in den Raum, das letzten Endes in einer relativ pragmatischen Zusammenarbeit münden wird. Die Grönländer wären dankbar und froh, wenn die Amerikaner ihr wirtschaftliches Engagement in Grönland vergrößern. Das allein wäre ein großer Deal. Insofern kann man schnell und einfach zusammenkommen, ohne dass sich Grönland den USA als neuer Hegemon unterwirft. Trump tritt offene Türen ein. Aber er macht mehr Lärm als notwendig.

Mit Michael Paul sprach Kevin Schulte. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Interview können Sie sich im Podcast "Wieder was gelernt" anhören.

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