Der künftige US-Präsident wird mehr von den Europäern verlangen, meint der konservative Sicherheitsexperte Matthew Kroenig – und erklärt, wie Trump den Ukrainekrieg beenden könnte.
Prof. Kroenig, es gibt viele Spekulationen darüber, wie Donald Trump versuchen könnte, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Wie sieht der Plan aus?
Trump hat versprochen, dass er den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden wird, er muss also schnell liefern. Er will Selenskyj zu Verhandlungen überreden, indem er sagt, er würde die Hilfen einstellen, falls die Ukraine nicht verhandelt. Und zu Putin sagt er, er werde der Ukraine noch mehr liefern, falls Russland sich verweigert. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es zu Verhandlungen kommen wird.
Und was könnte dabei herauskommen?
Dazu hat Trump noch nichts gesagt, das ist also spekulativ. Ich kann mir einen Waffenstillstand vorstellen, der sich ungefähr an den derzeitigen Konfliktlinien orientiert. Die haben sich in den letzten zweieinhalb Jahren nicht sonderlich bewegt. Im Moment erobern die Russen Territorium, also sind sie vielleicht nicht bereit, sich zu einigen. Aber wenn es zu einer Art Patt kommt, sieht es anders aus. Es stellt sich dann sofort die Frage, wie der künftige Status der Ukraine aussieht. Sollte sie in die Nato oder nicht? Wie sähen Sicherheitsgarantien aus, die einen erneuten russischen Angriff verhindern könnten? All diese Fragen müssen beantwortet werden.
Sollte der Krieg eingefroren werden, sendet das nicht ein Signal an Wladimir Putin, dass sich Eroberungskriege für ihn lohnen?
Putin hat diese Lektion bereits gelernt, denke ich. Er hat in den letzten 20 Jahren etwa zehnmal militärische Gewalt angewendet und es hat fast immer für ihn funktioniert. Als er sein Amt antrat, ging er gegen Tschetschenien vor, um seine Macht zu festigen. Er hat 2008 Georgien angegriffen, um das Land aus der Nato herauszuhalten. Er hat 2014 zum ersten Mal Gewalt in der Ukraine eingesetzt, ohne dass es zu nennenswerten Rückschlägen kam. Er hat 2015 in Syrien eingegriffen, um Assad im Bürgerkrieg zu helfen. Er hat Gewalt eingesetzt, um Diktatoren in Belarus und Kasachstan zu stützen. Es hat sich immer für ihn gelohnt.
Aber das kann doch kein Argument dafür sein, Putin nun erneut damit durchkommen zu lassen.
Ich wüsste nicht, was die Alternative ist. Es wäre wunderbar, wenn wir der Ukraine helfen könnten, einen Sieg zu erringen und ihr gesamtes Gebiet zurückzuerobern, aber das ist einfach nicht realistisch. Zumal ein Waffenstillstand entlang der derzeitigen Grenzen nicht das ist, was Putin zu erreichen gehofft hatte. Er wollte die gesamte Ukraine wieder in Russland eingliedern oder zumindest eine prorussische Marionette an die Spitze setzen, damit Kiew ihm gegenüber loyal ist. Wenn es also zu einem Waffenstillstand käme, wäre das nicht das, was sich Putin zu Beginn des Krieges erhofft hat.
J.D. Vance hat während des Wahlkampfes eine entmilitarisierte Zone zwischen der Ukraine und Russland vorgeschlagen. Wer würde die absichern?
Wenn ich an eine entmilitarisierte Zone denke, kommt mir die koreanische Halbinsel in den Kopf. Dort sind die Truppen von Süd- und Nordkorea durch etwa eine Meile Niemandsland getrennt. So etwas könnte auch in der Ukraine funktionieren, sodass man vielleicht keine Friedenstruppen braucht. Man benötigt womöglich nur eine solche Pufferzone, die so befestigt ist, dass keine der beiden Seiten sie leicht überwinden kann.
In seiner ersten Amtszeit hat Präsident Trump darüber nachgedacht, aus der Nato auszutreten. Wird das nun wieder aktuell?
Das glaube ich nicht. Er hat im Wahlkampf mehrmals gesagt, dass er sich nicht aus der Nato zurückziehen würde. Und wenn man sich die Leute ansieht, die er ernannt hat, allen voran Mike Waltz und Marco Rubio, dann weiß ich, dass die den Wert der Nato verstehen. Ich denke, dass Trump die Nato-Verbündeten wieder dazu drängen wird, mehr zu tun und damit hat er meiner Meinung nach recht. Die Verbündeten, darunter auch Deutschland, müssen mehr für die Verteidigung des Nato-Gebietes leisten.
Im Moment erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato knapp. Zugleich keimt eine Diskussion über drei Prozent auf. Wird Trump das von den Europäern fordern?
Zwei Prozent werden sicher nicht ausreichen. Trump hat im Wahlkampf gesagt, dass drei Prozent die neue Schwelle wird. Und selbst das ist noch nicht genug. Auf dem Nato-Gipfel von Vilnius wurden jedem Mitgliedsstaat Fähigkeitsziele für die Streitkräfte vorgegeben, die sie bereitstellen müssen. Ich habe mit mehreren hochrangigen Nato-Vertretern gesprochen, die mir sagten, dass wir nicht annähernd so weit sind und dass der Durchschnitt im gesamten Bündnis wahrscheinlich eher bei dreieinhalb Prozent liegen müsste, um diese Fähigkeiten zu erreichen.
Was können die Europäer tun, um künftig eine gute Beziehung zu den Vereinigten Staaten und Präsident Trump zu haben?
Sie müssen die geforderten Fähigkeiten bereitstellen und die finanziellen Zusagen einhalten. Und die Europäer sollten Trump Anerkennung zollen, wo Anerkennung fällig ist. In seiner ersten Amtszeit hatte Trump recht, dass die Verbündeten mehr Geld ausgeben müssen. Er hatte auch recht, dass Nord Stream 2 keine gute Idee war.
Marco Rubio soll Außenminister werden, Mike Waltz Nationaler Sicherheitsberater und Pete Hegseth Verteidigungsminister. Welche Außen- und Sicherheitspolitik darf man von ihnen erwarten?
Rubio und Waltz kenne ich persönlich. Für Rubio habe ich im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gearbeitet. Sie bringen erstklassige Erfahrung und gutes Urteilsvermögen mit. Zugleich werden sie loyal gegenüber dem Präsidenten sein. Das ist die entscheidende Kombination. In diesen Tagen wird gerne über Loyalisten als etwas Negatives gesprochen. Aber alle Präsidenten wollen loyale Berater. Tony Blinken hat 20 oder 30 Jahre lang für Joe Biden gearbeitet, bevor er zum Außenminister ernannt wurde.
Und Hegseth?
Um ehrlich zu sein, kannte ich den designierten Verteidigungsminister nicht, bis er angekündigt wurde. Wie viele andere auch war ich überrascht. In der Zwischenzeit habe ich mir einige seiner Auftritte auf Fox News angesehen. Viele seiner Einschätzungen halte ich für richtig. Wir müssen das Verteidigungsministerium reformieren, damit es sich mehr auf seine Hauptaufgabe konzentriert und weniger auf Diversität, Gerechtigkeit, Inklusion und andere soziale Fragen. Er hat aber noch nie ein so großes Ministerium geleitet. Er wird also einen guten stellvertretenden Verteidigungsminister brauchen, der ihm bei der Leitung des Pentagon helfen kann.
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Hegseth hat auch gesagt, dass er kein Fan von Frauen in Kampfeinsätzen ist. Das klingt ziemlich gestrig.
Wenn es eine Frau gibt, die einen 90 Kilogramm schweren Mann, der im Kampf verletzt wurde, in Sicherheit bringen kann, spielt das Geschlecht keine Rolle. Hegseths Sorge ist, dass die Standards gesenkt wurden, um Frauen für Kampfeinsätze zuzulassen. In Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, will man niemanden dabeihaben, der den Job nicht machen kann. Meiner Meinung nach ist die Biden-Administration zu weit gegangen, um Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion im Militär zu erreichen. Genau deswegen holt Trump jemanden wie Hegseth.
Im Wahlkampf sagte Trump, dass er das Militär gegen den "Feind von innen" einsetzen möchte. Wie sehr besorgt Sie das?
Ich bin mir nicht sicher, was er damit gemeint hat, also mache ich mir keine allzu großen Sorgen. Er war bereits eine ganze Amtszeit lang Präsident und hat das Militär nicht gegen innere Feinde eingesetzt. Ich denke also, es handelt sich um Wahlkampfrhetorik und nicht um etwas, das uns beunruhigen müsste.
Richard Grenell war ebenfalls als Außenminister und Sicherheitsberater im Gespräch. Bislang hat er keinen Posten bekommen. Überrascht Sie das?
Grenell war der einzige außenpolitische Experte, den Trump bei seinem Treffen mit Selenskyj vor einigen Wochen in New York dabei hatte. Insofern bin ich überrascht, dass er noch keine Position erhalten hat. Aber die Ernennungen laufen noch und es gibt weiterhin viele gute Jobs zu vergeben. Kürzlich habe ich das Gerücht gehört, dass Grenell vielleicht Sonderbeauftragter für die Lösung des Ukraine-Russland-Krieges werden könnte.