Die Bundeswehr könnte in der Ukraine eine Rolle spielen – wenn es nach einem möglichen Waffenstillstand darum geht, einen fragilen Frieden zu sichern. Hier sind die Szenarien.
Donald Trump will den Ukrainekrieg beenden, und Europa soll dafür zahlen. In dem Plan des künftigen US-Präsidenten geht es laut Medienberichten im Kern darum: Der Krieg in der Ukraine wird eingefroren und der Frieden von westlichen Truppen überwacht. So wie in Korea nach dem Ende des dortigen Krieges vor über 70 Jahren.
Mit einem entscheidenden Unterschied: In der Ukraine sollen keine amerikanischen Soldaten eingesetzt werden. Finanzierung, Ausstattung, Manpower – das alles soll von europäischen Staaten gestellt werden.
Europäische Truppen in der Ukraine? Klar, nur zur Friedenssicherung, nicht um in den Krieg zu ziehen – und dennoch wäre das vor zwei Jahren noch unsagbar gewesen. Heute wird in den europäischen Hauptstädten immerhin schon darüber geflüstert – so laut, dass es kaum zu überhören ist. Die französische Zeitung "Le Monde" berichtete letzte Woche über geheime Verhandlungen Frankreichs und Großbritanniens über Truppenentsendungen zur Überwachung eines möglichen Waffenstillstandes in der Ukraine. Sogar öffentlich wird darüber gesprochen: Der ehemalige Premierminister des Vereinigten Königreichs, Boris Johnson, sagte letzte Woche, er sehe eine multinationale, europäische Friedenstruppe als notwendig an.
Nach Waffenstillstand: Auch Baerbock und Scholz schließen Truppen nicht aus
Und plötzlich schließt selbst die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nicht aus, auch deutsche Soldaten zur Sicherung eines Waffenstillstands zu schicken. Auf die Frage nach einer möglichen deutschen Rolle in einer Friedenstruppe sagte sie, man werde natürlich alles, was dem Frieden in der Zukunft diene, "von deutscher Seite mit allen Kräften unterstützen". Heißt: Die deutsche Außenministerin schließt deutsche Truppen in der Ukraine nicht mehr aus.
Baerbock schließt Bundeswehreinsatz zur Friedenssicherung nicht aus 09.29
Olaf Scholz ordnete am Mittwoch in der Regierungsbefragung ein: In der gegenwärtigen Situation würde er ausschließen, die Bundeswehr in die Ukraine zu schicken. Er sagt damit auch, dass er es nicht ausschließt, Truppen zu schicken, wenn sich die Situation ändert. Und ein Ende des Krieges wäre sicherlich eine komplett andere Lage. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius zeigte sich am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk offen: "Wir bereiten uns vor, wir spielen die Szenarien durch, aber das machen wir vertraulich."
05: Pistorius hält deutsche Beteiligung an einer UkraineFriedenstruppe für offen - 98e94b96fef2ed4a
Aber wäre ein Bundeswehreinsatz zur Absicherung eines Waffenstillstands überhaupt denkbar? Wie genau so ein Einsatz aussehen könnte, dazu ist bislang nichts bekannt. Sicher ist, er birgt nicht nur technische Herausforderungen, sondern vor allem Probleme rechtlicher und außenpolitischer Art.
Jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr muss vom Bundestag genehmigt werden – und mit dem Völkerrecht im Einklang sein. Einsätze sind rechtlich am einfachsten, wenn sie im Rahmen des "Systems gegenseitiger Sicherheit" stattfinde, also unter Führung der Vereinten Nationen, der Nato oder der EU. Solche Einsätze sind, vorausgesetzt der Bundestag stimmt zu, nach dem Grundgesetz erlaubt. Aber: Keine dieser Optionen ist unproblematisch.
Die Szenarien für einen Bundeswehreinsatz
Ein Nato-Einsatz an der russisch-ukrainischen Front wäre für den russischen Staat wohl in jedem Fall inakzeptabel: Seit Jahren spielt die russische Propaganda die Gefahr einer Ukraine als Nato-Aufmarschgebiet hoch. Dieses Narrativ ist einer der wesentlichen Gründe für die russische "Spezialoperation", also den Krieg, in der Ukraine. Hinzu kommt: Ein Nato-Einsatz würde die USA stärker einbeziehen, als ihr lieb wäre, sie will die Verantwortung ja explizit auf Europa abwälzen. Fazit: höchst unwahrscheinlich.
Die Europäische Union könnte die Federführung über die Friedensmission übernehmen. Die EU wäre vermutlich für Russland akzeptabler. Und sie hat Erfahrung. Unter dem Label ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) hat die EU seit 2003 weltweit über 40 Friedensmissionen geführt. Das Problem: Die GSVP führt, Stand 2023, gerade einmal 3500 Soldaten. Ihre Missionen bisher waren nicht annähernd so groß, wie es eine Friedensmission in der Ukraine wäre. Dazu kommt: Die Rollen und Aufgaben werden vom Europäischen Rat bestimmt. In dem sind die Regierungschefs aller EU-Länder vertreten. Und ob Länder wie Österreich und Ungarn überhaupt dazu bereit wären, eine solche Mission zu tragen, das ist ungewiss.
02: Scholz in Kiew Russland kann Ukraine keinen Diktatfrieden aufzwingen - 8e8e124bba529698
Was bliebe übrig? Ein Einsatz unter UN-Führung wäre denkbar. Die Vereinten Nationen haben neben viel Erfahrung mit Friedensmissionen auch eine große Legitimität. Das Problem: Russland hat im UN-Sicherheitsrat ein Veto, kann jeden UN-Einsatz also blockieren.
Eine vierte Möglichkeit drängt sich dabei beinahe auf: Es gab ja schon einmal einen Einsatz an der Front in der Ukraine, an dem auch deutsche Soldaten beteiligt waren. Damals, 2014, als Russland den Krieg in der Ostukraine begann, richtete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Beobachtermission ein. 2022, als Russland den Krieg eskalierte, waren 1301 Mitarbeiter der OSZE in der Ukraine, um den Waffenstillstand "Minsk II" zu beobachten. Das Problem: Die OSZE-Mission bestand aus reinen Beobachtern – sie notierten, wer, wann, wo auf wen geschossen hat. Ob ein solches Mandat der Ukraine ausreicht, nachdem es ja bereits einmal daran gescheitert ist, den Frieden zu sichern – das ist mehr als fraglich.
Koalition der Willigen
Eine letzte Möglichkeit wäre eine Art "Koalition der Willigen." Die europäischen Staaten, die sich beteiligen wollen – Großbritannien, Frankreich, Deutschland, vielleicht weitere – würden gemeinsam Soldaten entsenden. Auslandseinsätze, die nicht in internationalen Organisationen eingebettet sind, sind nach deutschem Recht umstritten. Sollte es dazu kommen, würdem AfD und BSW mit großer Sicherheit gegen den Einsatz deutscher Soldaten klagen – und dann würde eine Säule eines möglichen Waffenstillstands vor einem deutschen Gericht entschieden werden. Ein großes Risiko.
Wie müssten diese Truppen aussehen?
Die Front in der Ukraine ist derzeit etwa 1200 Kilometer lang. Eine Friedenstruppe müsste entsprechend personell ausgestattet sein. Der Militärexperte Carlo Masala erklärte in der "Bild"-Zeitung, dass insgesamt mehr als 10.000 Soldaten entsandt werden müssten. Diese Soldaten müssten voll ausgestattet werden – Panzer, Artillerie, Jets. Vor allem bräuchten sie weitreichende Befugnisse, so Masala: "Diese Truppe müsste ein Mandat bekommen, im Ernstfall einen umfassenden Krieg gegen Russland zu führen."
Masala selbst glaubt nicht daran. Die Idee, eine europäische Friedenstruppe einzusetzen, hält er für "nicht umsetzbar." Ob die Bundeswehr überhaupt in der Lage wäre, eine solche Friedenstruppe zumindest teilweise zu stellen, ist zudem höchst fraglich. Sie kämpft gerade damit, eine Panzerbrigade in Litauen – 4800 Männer und Frauen – personell und materiell auszustatten.