Ein Moratorium für Ukraine-Hilfen, Hoffnung auf russische Zinsen und eine neue Runde im Haushaltsstreit: Was dahinter steckt und warum am Ende die Ukraine leiden könnte.
Keine zusätzliches Kohle für Kiew: Geht es nach Finanzminister Christian Lindner (FDP), muss die Bundesregierung ab sofort mit dem bisher für die Ukraine-Hilfe eingeplanten Geld auskommen.
In einem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Außenministern Annalena Baerbock (Grüne) mahnt er an, dass "neue Maßnahmen“ nur angegangen werden dürften, wenn in den Haushaltsplänen für dieses und die kommenden Jahre "eine Finanzierung gesichert ist". Über den Brief hatte zunächst die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS) berichtet. Die Einhaltung der Schuldenbremse geht vor.
"Von heute auf morgen frieren Olaf Scholz und seine Ampel die finanzielle und damit militärische Unterstützung der Ukraine ein“, kritisierte der CDU-Haushaltspolitiker Ingo Gädechens in der FAS. Die Bundesregierung bemühte sich derweil dem Eindruck entgegenzutreten, bei der Ukraine-Unterstützung zu sparen. "An unserem Engagement und unserer Entschlossenheit, die Ukraine zu unterstützen, ändert sich überhaupt nichts", sagte ein Regierungssprecher am Montag in Berlin.
Setzt die Bundesregierung für die Schuldenbremse die Ukraine aufs Spiel? Sechs Fragen und Antworten.
Worum geht es?
Deutschland ist einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine. Deutsche Waffen leisten einen entscheidenden Beitrag dafür, dass sich die ukrainischen Truppen gegen die russischen Angreifer verteidigen können. Den Bund kostet das viel Geld. Für das laufende Jahr hat die Bundesregierung Ukraine-Hilfen im Wert von 7,5 Milliarden Euro eingeplant.
Dieses Geld ist mittlerweile aufgebraucht, ein Großteil davon für Waffenlieferungen. Bis Ende 2024 will Deutschland unter anderem 30 Leopard-1-Kampfpanzer und zehn Gepardpanzer an die Ukraine liefern sowie vier weitere IRIS-T-Luftverteidigungssysteme. Auch für das kommende Jahr hat die Berlin Kiew bereits milliardenschwere Waffenlieferungen zugesagt, darunter 20 Panzerhaubitzen, 20 Marder-Schützenpanzer, 27 Leopard 1 und fünf Gepard-Verteidigungspanzer.
Allerdings will die Ukraine darüber hinaus wohl weitere Waffen. Laut "Spiegel" kursiert im Verteidigungsministerium eine Liste mit 30 Projekten darunter Patriot-Flugabwehrraketen, Artilleriemunition, IRIS-T-Lenkflugkörpern – und nicht zuletzt: Ersatzteile.
Hier kommt nun Lindner ins Spiel. Für zusätzliche Waffen müsste der Bund zusätzliche Mittel bereitstellen. Genau das will der Finanzminister offenbar verhindern. Allerdings erklärte sein Ministerium bereits, es sei "dennoch bereit, bis dahin die kurzfristige Bereitstellung weiterer Mittel zu prüfen. Dazu müssen aber die zusätzlichen Bedarfe konkret gemeldet und nachvollziehbar sein, um allen haushaltsrechtlichen Regeln zu entsprechen und den Deutschen Bundestag auf dieser Basis um eine Genehmigung bitten zu können.“
Was sagt das Pistorius dazu?
Persönlich hat sich der Verteidigungsminister seit Bekanntwerden von Lindners Brief noch nicht geäußert. Allerdings hatte Pistorius zuletzt wiederholt die für 2025 vorgesehenen Verteidigungsausgaben als zu niedrig kritisiert.
Der Sprecher des Ministeriums sagte, man nehme die Signale aus dem Bundesfinanzministerium zu Ausnahmen "wohlwollend zur Kenntnis". Er zeigte sich optimistisch, dass die Bundesregierung "pragmatische Lösungen" finde, um auch "kurzfristige Bedarfe" decken zu können.
Stimmt es, dass die Ampel die Ukraine-Hilfen 2025 kürzt?
Ja, zumindest auf dem Papier: Für das kommende Jahr hat die Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf vier Milliarden Euro für die Ukraine-Hilfe veranschlagt. Ein Regierungssprecher verwies am Montag in Berlin darauf, dass im kommenden Jahr kein anderer Staat in Europa mehr Geld eingeplant habe. Trotzdem sind Stand jetzt 3,5 Milliarden Euro weniger im Haushalt eingeplant als in diesem Jahr. Allerdings ist da noch nicht ein neues Finanzierungsinstrument eingerechnet, doch dazu später mehr.
Was hat die Schuldenbremse damit zu tun?
Sie ist, wenn man so will, das Ursprungsproblem. Die Ampel will sie unbedingt einhalten und kann darum nicht ohne weiteres über neue Schulden weitere Waffen für die Ukraine finanzieren. Allerdings will die Bundesregierung mit Hilfe eines besonderen Instrumentes weiteres Geld für Kiew auftreiben: Ein neuer Kredit über 50-Milliarden US-Dollar (45 Milliarden Euro), bereitgestellt von Europäischer Union und den G7-Staaten. Darauf haben sich die großen Industrienationen bei ihrem Gipfeltreffen im Juni geeinigt.
Die Bundesregierung glaubt sogar, dass dann die für 2025 eingeplanten vier Milliarden aus Bundesmitteln gar nicht komplett aufgebraucht werden. Es sei "davon auszugehen, dass es nicht zu einer vollständigen Inanspruchnahme der für Ertüchtigung vorgesehen Mittel kommt", heißt es im Haushaltsentwurf. Der SPD-Verteidigungspolitiker Michael Roth sieht das anders. Die 50 Milliarden Dollar seien "bei Weitem nicht genug", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Stehen die 50 Milliarden Dollar wirklich 2025 bereit?
Das ist die entscheidende Frage, und die ist derzeit völlig offen. Der Kredit soll über Zinserträge aus eingefrorenen russischen Vermögen finanziert werden, die auf europäischen und US-amerikanischen Konten lagern – davon alleine 210 Milliarden in der EU. Allein im vergangenen Jahr liefen hier 4,4 Milliarden Euro an Zinsen auf. Anders als an das Geld selbst kommt man an die Zinserträge leichter ran. Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Kredit noch in diesem Jahr bewilligt wird und 2025 zur Verfügung steht.
Allerdings sind die praktischen Probleme groß. Es fängt damit an, dass EU-Länder wie das neutrale Österreich nichts mit der militärischen Unterstützung der Ukraine zu tun haben wollen. Deshalb will die EU nur 90 Prozent der abgeschöpften Zinsen für die Streitkräfte zur Verfügung stellen und den Rest für direkte Finanzhilfen an das überfallene Land nutzen. Ein kleiner Teil soll auf die Seite gelegt werden, um die zu erwartenden Rechtsstreitigkeiten zu finanzieren.
Was bedeutet das für die Ukraine?
Die ukrainischen Truppen leisten sich mit den russischen Angreifern einen Abnutzungskampf. Die Frontlinie stagniert seit Monaten, keine Seite erringt entscheidende Landgewinne. Das verschleißt viel Material.
Die Ukraine hat immer wieder über Waffen- und Munitionsmangel geklagt. Viel wird davon abhängen, ob ihre westlichen Unterstützer ihr in Zukunft ausreichend Waffen liefern können – insbesondere auch Deutschland. Ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums erklärte: "Wir erwarten, dass die deutsche Regierung einen Weg finden wird, zusätzliche Mittel für die ukrainischen Verteidigungskräfte auch in diesem Jahr bereitzustellen."