4 months ago

Stärkste Kraft in Thüringen: Die AfD schreibt Geschichte - aber keine gute



Zum ersten Mal überhaupt wird mit der AfD eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft bei einer Landtagswahl. Das ist ein historischer Moment in der Geschichte der Bundesrepublik - und kein Guter. Aber es gibt auch Momente der Hoffnung.

Nun ist es also tatsächlich passiert. Die AfD ist stärkste Kraft bei einer deutschen Landtagswahl geworden - und das mit deutlichem Abstand. Es ist das erste Mal seit Ende der Nazi-Herrschaft, dass Rechtsextreme in einem deutschen Parlament wieder die größte Fraktion stellen werden. Und so sehr sich die AfD auch zu verharmlosen versucht - der Verfassungsschutz im Freistaat stuft sie als "gesichert rechtsextrem" ein. Spitzenkandidat Björn Höcke ist überdies der AfD-Politiker, dessen Tonfall am ehesten an die Nazi-Zeit erinnert. Er wurde wegen des Aussprechens einer verbotenen SA-Parole verurteilt.

Hinzu kommt der fast gleichwertige Erfolg in Sachsen. Auch im benachbarten Bundesland erreicht die Partei mehr als 30 Prozent. Nur hauchdünn liegt die CDU noch davor. Der Zuspruch für die Rechten ist also praktisch genauso hoch. Es ist ein Moment zum innehalten und zur Frage: Was ist denn hier los?

Immerhin wird die AfD nicht die Regierung übernehmen können. Weder in Thüringen noch in Sachsen möchte eine Partei mit ihr koalieren. Wahrscheinlich wird der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt der nächste Ministerpräsident von Thüringen, getragen von SPD und BSW. In Sachsen dürfte Michael Kretschmer im Amt bleiben. Mit Hilfe welcher Partner, das wird sich zeigen. Doch das ist ein schwacher Trost. Denn auch wenn die anderen Parteien die Folgen irgendwie einhegen, die Erkenntnis bleibt: Ein Drittel der Wahlberechtigten in Thüringen und Sachsen wählt rechtsextrem.

Bei ntv sagte der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke vor dem erwarteten AfD-Erfolg dennoch, man solle nun nicht so tun, als sei es "fünf Stunden vor 1933" und warnte vor "Panikmache". Damit hat er durchaus recht. Denn so einschneidend dieser Tag ist - nach 35 Jahren Demokratie seit dem Mauerfall steht auch Ostdeutschland anders da als die Weimarer Republik vor 91 Jahren. Nicht nur weil immerhin zwei Drittel ihr Kreuz bei anderen Parteien gemacht haben.

Problem Zuwanderung

Die AfD-Wähler sind keineswegs eine geschlossene Truppe, die lieber heute als morgen die Demokratie abschaffen will. Das Umfrageinstitut Forsa befragte sie kürzlich im Auftrag von RTL/ntv zu ihrer Motivation. Nur rund die Hälfte der Wähler (Thüringen 45 Prozent, Sachsen 51) sagte, sie wählten die AfD, weil sie mit den politischen Vorstellungen der AfD übereinstimmten. 20 bis 25 Prozent gaben an, sie seien mit der Politik der Bundesregierung unzufrieden. Und nur 14 Prozent der AfD-Wähler in Thüringen und 13 in Sachsen gaben an, sie lehnten das "gesamte politische System" ab.

Es gibt viele Gründe für den Erfolg der Partei. Zwei davon stechen aktuell aber hervor: die Probleme bei der Zuwanderung und der massive Vertrauensverlust der Ampelkoalition in Berlin. Das bedeutet aber auch: Schaffen es Bund und Länder, die Zuwanderung von Asylbewerbern und insbesondere die damit verbundenen Überforderungen von Städten und Gemeinden zu begrenzen, könnte auch der Zuspruch für die AfD wieder sinken. Und wenn diese oder auch die nächste Bundesregierung geschlossener auftritt und neues Vertrauen aufbaut, könnte das auch wieder jene ansprechen, die heute AfD gewählt haben. Natürlich nicht alle. Aber schon einen spürbaren Teil.

Wahr ist aber auch: Ein bedenklich großer Teil der Wähler stimmt menschenverachtenden Positionen bewusst zu. Nur soll Politik vor denen erstarren, wie das Kaninchen vor der Schlange?

Der Oberbürgermeister von Jena, Thomas Nitzsche, sagte ntv.de, die AfD habe ein großes Thema: Angst. Angst vor Migration sei nur eine Ausprägung. Angst vor sozialem Abstieg, Angst vor Veränderungen kämen hinzu. Ausreden könne man die Angst den Menschen nicht. "Man muss die Gründe für die Angst reduzieren", sagte er. "Das ist das Rezept, das hilft." Man müsse den Menschen kommende Veränderungen so erklären, dass sie sich nicht dadurch bedroht fühlen.

Genau darin sind die Ampel-Parteien gescheitert. Obwohl sie eigentlich das Personal hätten, das gut erklären kann: Robert Habeck kann das, Christian Lindner auch und selbst Olaf Scholz, wenn er mal verstanden werden will. Doch es überwiegt der Streit, wer auch immer gerade wem Vorwürfe macht oder unannehmbare Forderungen stellt. Für das Eingehen auf Sorgen und Ängste der Menschen da draußen bleibt da eher wenig Zeit.

Der Frust über diese Bundesregierung brach sich jedenfalls bei diesen Wahlen Bahn. In Sachsen und Thüringen fuhren die Ampel-Parteien Desaster-Ergebnisse ein. Die Grünen sind in Thüringen künftig nicht mehr im Landtag. Die FDP wurde an der Urne geradezu ignoriert und kommt nur noch auf gut ein Prozent. In Sachsen freut sich die SPD, es noch einmal über die Fünfprozenthürde geschafft zu haben. Das sagt schon alles.

Aber, so frustrierend diese Ergebnisse sind - machen die Parteien ihre Hausaufgaben, wird das auch anerkannt. Das zeigt das Beispiel Michael Kretschmer. Kritiker werfen dem sächsischen Ministerpräsidenten zwar vor, manchmal selbst wie ein AfDler zu sprechen. Doch muss er sich nicht nachsagen lassen: Dass er abgehoben ist, nicht mit den Menschen redet. Er tingelt regelmäßig übers Land, spricht mit so ziemlich jedem. Versucht, alle "mitzunehmen", wie es so schön heißt. Der Erfolg ist nicht durchschlagend, aber er ist da. Die CDU steht dank Kretschmer auf Platz 1.

Wer nun im Westen angegruselt aufseuzt und "Der Osten halt!" ausruft, sollte es sich nicht zu einfach machen. Auch im Westen der Republik sind die Rechtspopulisten erstarkt. Bundesweit sind sie die zweitstärkste Kraft nach der CDU. Aber die Demokratie ist trotzdem noch lange nicht am Ende. Nur: Ein heiteres "Wird schon wieder!" wäre dann doch zu sorglos.

Die AfD ist beileibe nicht nur das Symptom des Vertrauensverlustes. Sie versucht massiv und beständig, dieses Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zu untergraben. Je mehr Mandate die AfD hat, desto mehr Geld bekommt sie, desto mehr Mitarbeiter kann sie beschäftigen. Desto mächtiger wird sie. Ob der Erfolg an diesem Sonntag das Ende der Fahnenstange war, wird sich zeigen. Klar ist nur eines: Schon in drei Wochen wählt auch Brandenburg einen neuen Landtag. Und auch dort kann die AfD auf ein Rekordergebnis hoffen.

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