Anlässlich des 50. Jahrestages des Stammheim-Prozesses zeigt die ARD ein Dokudrama, das am Originalschauplatz gedreht wurde.
Acht Sicherheitstüren, Rufe von Inhaftierten und eine bedrückende Atmosphäre - die Dreharbeiten zum Dokudrama "Stammheim - Zeit des Terrors", das am 19. Mai um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt wird, waren für alle Beteiligten ein außergewöhnliches Erlebnis. Die Filmcrew durfte für die Produktion im Original-Hochsicherheitstrakt der JVA Stammheim in Stuttgart drehen.
Bedrückende Authentizität und filmische Rekonstruktion
Der Film rekonstruiert die Ereignisse rund um den Prozess gegen die Führungsmitglieder der ersten RAF-Generation, der am 21. Mai 1975 begann und zu den aufwändigsten Gerichtsverfahren der deutschen Geschichte gehört.
"Für die Schauspieler war es mit Sicherheit bedrängend. Es findet ja immer eine Identifikation mit der Rolle statt - und dann in dem Raum zu spielen, in dem Menschen wie auch immer zu Tode gekommen sind, das ist schon, glaube ich, schon was Besonderes", beschreibt Regisseur Niki Stein im Rahmen eines Pressegesprächs zum "Stammheim"-Film die Atmosphäre beim Dreh.
Besonders eindrücklich schildert Schauspieler Moritz Führmann, der den Vollzugsbeamten Horst Bubeck verkörpert, die tägliche Ankunft am Set: "Wir sind durch acht Sicherheitstüren durchgeschlüsselt worden. Es wurde aus den Zellen geschrien und gerufen. Und dann oben in diesem 7. Stock, der so über allem ist, zu arbeiten und eine Einzelzelle als Aufenthaltsort zu haben - das war schon sehr besonders." Die Intensität dieser Erfahrung blieb nicht ohne Folgen: "Es hat auch eine Weile gedauert, sich das aus den Klamotten zu klopfen, diese Atmosphäre und diese Bedrückung", so Führmann weiter.
Noch emotionaler beschreibt Rafael Stachowiak, der den RAF-Gefängnisinsassen Jan-Carl Raspe spielt, seine Erlebnisse: "Es gab einen Moment während eines Takes, in dem die Türe zuging und ich allein in der Zelle zurückblieb. Ich habe gewartet, bis jemand die Zelle wieder aufmacht. Sowas habe ich noch nie erlebt." Besonders erschütternd war für ihn die Tatsache, in der authentischen Zelle zu drehen: "Es war auch die gleiche Zelle. Und ich weiß auch ungefähr, wo das Blut an der Wand war. Das war ein heftiges Erlebnis."
Auch Lilith Stangenberg, die Gudrun Ensslin darstellt, betont die besondere Wirkung des Originaldrehortes: "Das Besondere für uns alle war dieser Ort, dieses Gefängnis, ein Originalschauplatz jüngster Zeitgeschichte. Wir alle waren wahnsinnig bedrückt in diesem Gefängnis."
Diese Authentizität war für Regisseur Niki Stein ein wichtiges Element: "Der Umstand, dass wir an dem Ort, in den Zellen drehen konnten, wo das alles passiert ist, schafft per se diese Nähe", erklärt er.
Neuer Blickwinkel auf historisches Ereignis
Auch die Perspektive des Dokudramas ist eine besondere: Es erzählt die Geschichte durch die Augen des damaligen Vollzugsbeamten Horst Bubeck, der den intensivsten Kontakt zu den Inhaftierten hatte. Zur Vorbereitung nutzte Führmann unter anderem das Buch "Stammheim: Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck und die RAF-Häftlinge", das durch das Gespräch mit dem Journalisten Kurt Oesterle entstanden ist.
Die Filmszenen stützen sich auf viele unterschiedliche Quellen wie Protokolle oder Kassiber - heimliche Nachrichten der Gefangenen. "Es war ein Mammutprozess mit 40.000 Beweismitteln, fast 1.000 geladenen Zeugen, 80 Sachverständigen, 50.000 Blatt Prozessakten - und er lief fast zwei Jahre - es war wirklich ein Prozess der Superlative", konkretisiert Redakteur Mark Willock vom SWR die Bedeutung.
Ergänzende Dokumentation rückt Opfer in den Fokus
Im Anschluss an das Dokudrama wird um 21:45 Uhr im Ersten die Dokumentation "Im Schatten der Mörder - Die unbekannten Opfer der RAF" ausgestrahlt. Während sich das öffentliche Interesse oft auf die Täterinnen und Täter konzentriert, stellt dieser Film von Holger Schmidt und Thomas Schneider die vergessenen Opfer in den Mittelpunkt - insbesondere deren Kinder.
Die Doku erzählt von den tiefgreifenden Folgen, die die Morde an Vätern wie Polizisten, Fahrern und Beamten für deren Familien hatten. "Das, was wir in den sehr intensiven Gesprächen immer wieder gehört haben, war der Begriff 'lebenslang'. Alle Täter, die verurteilt worden sind, haben 'lebenslange Haftstrafen' bekommen und sind, soweit sie noch am Leben sind, längst wieder in Freiheit. Und unsere Angehörigen sagen in dem Film sehr eindrücklich: Unser 'lebenslang' ist ein echtes 'lebenslang', weil der Papa immer noch nicht wieder da ist. Damit hadern sie", erklärt Holger Schmidt im Pressegespräch dazu.