Schlechte Kauflaune, magere Umsätze, Insolvenzen: Der stationäre Handel steckt in der Krise. Händler wie Decathlon nutzen die Lücken in den deutschen Innenstädten aber auch - und wollen expandieren.
Aus Deutschlands Innenstädten kamen in den vergangenen Jahren viele schlechte Nachrichten: Die Kauflaune der Menschen ist im Keller, die Umsätze dümpeln vor sich hin, bekannte Händler sind pleite und Leerstand prägt vielerorts das Bild. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Es gibt aber auch Gegenbewegungen: Jüngstes Beispiel ist der Sportartikelhändler Decathlon. Mehr als 60 neue Filialen will das französische Unternehmen bis Ende 2027 in Deutschland eröffnen - viele davon in zentralen Fußgängerzonen.
Decathlon-Deutschland-Chef Arnaud Sauret sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Aktuell haben wir 86 Filialen. In drei Jahren, also Ende 2027, sollen es mehr als 150 sein". Geplant sei, bis zu 100 Millionen Euro in die Neueröffnungen und die Modernisierung bestehender Geschäfte zu investieren. Mehrere Tausend neue Arbeitsplätze sollen entstehen.
Firmenziel: Höchstens 20 Minuten Fahrt zu Decathlon
Decathlon will mit dem Schritt näher an seine Kundinnen und Kunden rücken. Bislang hat das Unternehmen vor allem Läden, die auf großen Verkaufsflächen eine breite Produktpalette anbieten. Diese liegen aber meist außerhalb der Stadtzentren. In Top-Lagen findet man die Franzosen bislang nicht. Das soll sich nun ändern: Neben den großen Läden soll es künftig kleinere Geschäfte in Einkaufszentren und Fußgängerzonen geben - zum Teil mehrere in einer Stadt.
In diesem Jahr plant der Sportartikelhändler noch zwei Eröffnungen: Eine kleinere Filiale am Potsdamer Hauptbahnhof, eine große im Hamburger Zentrum. Im Anschluss sollen weitere weiße Flecken auf der Decathlon-Deutschlandkarte getilgt werden. Im Gespräch sind etwa Filialen in Nürnberg, Freiburg, Rostock, Oberhausen und der Region Kassel.
"Wir sind leider nicht überall in Deutschland präsent - obwohl wir wissen, dass wir eine größere Rolle spielen könnten. Zugleich gibt es in den Innenstädten sehr viele Gebäude, die einfach leer sind. Das ist unsere Gelegenheit", sagt Expansionschef Stefan Kaiser.
Wettbewerbsdruck in einem Milliardenmarkt
Der Sportfachmarkt in Deutschland ist einige Milliarden schwer - und umkämpft. Platzhirsch ist Intersport. Im Geschäftsjahr 2022/23 gehörten dem genossenschaftlich organisierten Verbund mehr als 700 Händler mit insgesamt gut 1400 Geschäften an. Der Umsatz lag bei rund 3,5 Milliarden Euro. Bis 2030 will Intersport hierzulande mindestens 100 neue Läden eröffnen, darunter große Premium-Stores. Der Umsatz soll sich bis dahin fast verdoppeln.
Der zweite große Spieler ist der Einkaufsverbund Sport 2000 mit ähnlich vielen Läden. Der Umsatz im Jahr 2023: 2,95 Milliarden Euro. Sport 2000 eröffnet aktuell insbesondere neue Geschäfte, die zum Beispiel auf Teamsport spezialisiert sind. Die Franzosen - denen lange der Ruf als Aldi des Sportfachhandels anhing - erlösten zuletzt gut 1,1 Milliarden Euro.
Decathlon will Marktanteile ergattern
Nun bläst Decathlon zum Angriff: "Wir haben in Deutschland zwei sehr starke Mitbewerber, die einen tollen Job machen. Aber das verpflichtet uns, noch besser zu sein. Als Sportler lieben wir die Challenge", so Sauret. In anderen Ländern Europas sei man bereits Marktführer - auch, weil es dort ein größeres Filialnetz gebe. Marktanteil und Umsatz sollen sich durch die Expansion hierzulande deutlich erhöhen. Konkrete Zahlen nannte der Manager nicht.
Die Branche profitiert nach laut Johannes Berentzen von der Handelsberatung BBE vom anhaltenden Trend zu Gesundheit und Sport. Gesetzt werde gezielt auf die Nachfrage nach Sportmode und eine stärkere Spezialisierung der Geschäfte. "Mit dem Rückgang kleiner Fachhändler und dem Wegfall von Modegeschäften und Warenhäusern mit Sportsortimenten entstehen Marktlücken, die Intersport und Decathlon strategisch nutzen", erklärt Berentzen.
Viele bekannte Händler haben Probleme
Während asiatische Shoppingportale wie Temu stark zulegen, ist die Lage vieler etablierter Händler schwierig. Zuletzt haben einige Unternehmen - auch infolge von Insolvenzen - ihr Filialnetz ausgedünnt oder gleich alle Läden geschlossen. Die Folgen sind deutlich zu sehen: Die Warenhauskette Galeria schloss im Sommer erneut Standorte. Die Modemarke Scotch & Soda machte alle Filialen dicht, der Kosmetikhändler Body Shop etwa die Hälfte. Bei Esprit wird in diesen Tagen die letzte Ware abverkauft, bevor die Geschäfte Ende des Monats schließen. Unklar ist, wie es beim insolventen Dekohändler Depot weitergeht.
Seit 2015 ist die Anzahl der Einzelhandelsgeschäfte nach Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) von 372.000 auf 306.000 gesunken. Im laufenden Jahr rechnet der HDE mit rund 5.000 Schließungen.
Kreative Konzepte trotzen der Krise
Aber auch abseits der Sportfachhändler gibt es einige Beispiele von Unternehmen, die es in die Innenstädte zieht: Discounter wie Action, Tedi und Woolworth wollen ihr Filialnetz in den nächsten Jahre stark ausweiten. Aber auch MediaMarktSaturn will in diesem Jahr noch fünf sogenannte Smart-Märkte eröffnen - ein neues und kleines Ladenformat. Der Elektronikhändler Coolblue plant bis 2029 mit 36 weiteren Filialen. Aktuell gibt es vier.
Zukunftsfähige Konzepte im stationären Einzelhandel sind laut Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung in Köln (IFH Köln) kreativ. Einige Marken zeigten das exemplarisch: "So ist beispielsweise Thalia nicht nur online stark unterwegs, sondern auch in den Innenstädten. Es werden neue Filialen eröffnet, Traditionsunternehmen weitergeführt und Filialen umgebaut."
Darüber hinaus gebe es auch im herausfordernden Modemarkt Neueröffnungen: Marken wie Copenhagen, Hugo Boss oder Marc O‘Polo eröffnen Stüber zufolge Flagship-Stores. Hinzu kämen neue Filialen von Marken des spanischen Konzerns Inditex (Zara). Und auch Start-ups und Onlinemarken wie das Schmucklabel Purelei oder die Accessoire-Firma Kapten & Son suchten die Begegnung mit den Kunden in den Innenstädten.