Weg von klassischen Koalitionen, hin zu neuen "Formen von Kooperationen": SPD-Generalsekretär Miersch fordert die Deutschen auf, ihre diesbezügliche "Scheu abzulegen". In einem speziellen Punkt will er sogar mit allen anderen demokratischen Parteien zusammenarbeiten.
Matthias Miersch hat eine Debatte über Regierungsbündnisse jenseits klassischer Koalitionen angeregt: "Möglicherweise müssen wir in Deutschland unsere Scheu gegenüber neuen Formen der Regierungszusammenarbeit etwas ablegen", sagte der neue SPD-Generalsekretär den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "In anderen Staaten gibt es Minderheitsregierungen oder Formen von Kooperationen, die nicht auf eine feste Koalition hinauslaufen", fügte der Sozialdemokrat hinzu. "In Parlamenten mit vielen kleineren Parteien könnte das eine Möglichkeit sein."
Nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg laufen dort unter Federführung von CDU beziehungsweise SPD Gespräche über eine mögliche Regierungsbildung unter Beteiligung des BSW. Das Bündnis und vor allem dessen Parteichefin Sahra Wagenknecht haben als Bedingung ein Bekenntnis gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen gefordert. Wagenknecht schlug vor, dies auch in den Präambeln der Koalitionsverträge zu verankern.
"Manche BSW-Landespolitiker vor Ort sind offenbar sehr an einer Regierungsbildung interessiert", sagte Miersch mit Blick auf die Gespräche in den Ländern. Die entscheidende Frage sei allerdings, "wie Sahra Wagenknecht sich da einmischt und mitentscheidet".
In einem Punkt will der SPD-Politiker auf jeden Fall mit den anderen demokratischen Parteien zusammenarbeiten: Im anstehenden Bundestagswahlkampf sollten sie alle gegen Desinformationskampagnen aus dem Ausland "zusammenhalten und uns gemeinsam wehren". Er wolle dies mit den anderen Generalsekretären besprechen. "Wenn es um unsere Demokratie geht, müssen wir trotz Wahlkampfes mit einer Stimme sprechen."
"Möglich sind Cyberangriffe auf die Parteien oder staatliche Institutionen", äußerte Miersch seine Sorge. Und weiter: "Ein großes Problem ist Desinformation im Netz - übrigens nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen Staaten." Fake News im Internet sind für manche Nutzer nur schwer zu erkennen und verbreiten sich rasant. "Was einmal in der Welt ist, lässt sich schwer zurückholen." Der Kühnert-Nachfolger appelliere deshalb "an die gesamte Zivilgesellschaft, Fake News zu bekämpfen".
Miersch will sich "Zeit zum Durchatmen" nehmen
Im Interview zeigte sich Miersch auch ganz persönlich. Er sagte, dass es eine Überraschung war, "wie viel Kraft man für dieses Amt braucht". "Man hat wenig Zeit zum Durchatmen", fuhr er fort. Doch dafür will er sich mehr Zeit nehmen, "weil man sonst schnell ans Limit kommt". Er tauschte sich seinen Angaben nach mehrfach mit Kevin Kühnert aus, der wegen gesundheitlicher Probleme am 7. Oktober seinen sofortigen Rücktritt vom Amt erklärte. In den Telefonaten ging es auch um Persönliches. "Da haben wir manches sehr ausführlich besprochen", so Miersch.
Zeit für seinen Partner hätte der SPD-Politiker nun kaum mehr. Die beiden sehen sich "nur ganz spätabends. Mein Mann muss immer um 5.20 Uhr aufstehen. Wir haben dann abends um 23 Uhr noch eine halbe Stunde gemeinsam."