Eine Baby-Figur mit nacktem Hintern auf jeder zweiten Handyhülle – was hier nach einem schlechten Scherz klingt, ist gerade Trend auf TikTok und Co. Was steckt dahinter?
Wer das Erdbeer-Baby will, zieht mit sehr viel Pech die Karotte. Wer auf den süßen Panda hofft, bekommt stattdessen die Giraffe. Die Rede ist von "Sonny Angel", den Sammelfiguren aus Japan, die in sogenannten "Blind Boxes" verkauft werden. Bedeutet: Wer sie kauft, weiß nicht, was er bekommt. Und genau das macht die Sache so spannend – oder so frustrierend.
Vom japanischen Designer Toru Soeya entworfen, benannte er die Miniatur nach seinem Spitznamen "Sonny". Für das Aussehen orientierte er sich an den Kewpie-Puppen des frühen 20. Jahrhunderts. Speziell gedacht als Freudenbringer für junge japanische Frauen, taufte Soeya sie inoffiziell "Pocket Boyfriends". Merkwürdig, wenn man bedenkt, dass die Dinger Säuglinge darstellen. Doch Jackie Bonheim, Marketingdirektorin der Vertreiberfirma "Dreams Inc." stellte klar, dass die Anziehungskraft platonisch sei und ausschließlich auf Niedlichkeit beruhen würde.
Zwei Varianten des Sonny Angel
Es gibt zwei Varianten: der klassische Engel, der fest auf beiden Beinen steht, und der "Hipper", ausgestattet mit einem Klebestreifen, der es ermöglicht, ihn an Handyhüllen oder anderen Oberflächen zu befestigen. So gesehen ein treuer Begleiter für den Alltag. Dass er dabei auf der Straße skeptische Blicke von Unwissenden auf sich zieht, dürfte wohl kaum überraschen. Wohlgemerkt handelt es sich immer noch um das Abbild eines Säuglings.
Verschiedene Serien, die als Tiere, Obst, Gemüse, Blumen oder saisonale Sondereditionen wie dem Valentinstag verkauft werden, variieren preislich je nach Anbieter ungefähr zwischen zehn und fünfzig Euro. Die limitierte Ware ist schnell ausverkauft und auf dem Zweitmarkt selten günstig. Trotzdem sorgen sie immer wieder für Gesprächsstoff und machen die Jagd nach neuen Geschöpfen zu einem modernen Sammelsport. Denn was Tonie-Hörfiguren für Kinder sind, sind Sonny Angel für die Gen-Z: Wandregale werden extra angeschafft, um die angehäuften Miniaturen ordentlich in Reih und Glied zu stellen – und ja, manche Liebhaber haben bereits mehr als 50 davon.
Die Figürchen, die an einen geschrumpften Abklatsch der Teletubbies erinnern, haben sich in den letzten Monaten zu einem echten Phänomen in den sozialen Medien entwickelt. Auf Instagram zählt der amerikanische Account eine Followerzahl von 264.000. Und während Tiktoker wie Paula Senfkorn regelmäßig glücklich ihre neuesten Engel in die Kamera halten, feuern internationale Influencer den Trend weiter an. So erhielt Bretman Rock kürzlich ein Sonny-Modell von Musiker Frank Ocean und dazu noch zwei individuelle Versionen seiner selbst.
Auf den ersten Blick gleichen diese der Filmfigur Moana aus "Vaiana". Das Resultat: Sein Unboxing-Video erhielt über eine Million Likes. "Ich brauche unbedingt einen Bretman Rock Sonny Angel!" kommentierte ein begeisterter Fan. Was viele nicht wissen: Hierbei handelt es sich um Fälschungen aus den Philippinen. Auch Kendrick Lamar, SZA und Tyler, the Creator sind auf der Webseite zu stolzen Preisen von 65 bis 75 Dollar erhältlich. Tatsächlich können zudem personalisierte Sonny’s bestellt werden. Zugegebenermaßen wirken die Stücke mit viel Liebe zum Detail gefertigt – auch wenn sie nicht Original sind. Wie bei jeder kurzlebigen Welle gibt es auf Plattformen wie Aliexpress und Temu weitaus minderwertigere Nachahmungen zu unschlagbar niedrigen Preisen.
"Manno, ich wollte unbedingt das Bok Choi haben!", murmelt eine junge Frau traurig in einem Clip. Die zahlreichen Videos auf Tiktok lassen immer wieder große Enttäuschung durchblicken, wenn die Leute nicht das Motiv auspacken, das sie sich gewünscht haben. In einer Welt, in der soziale Anerkennung zunehmend über Hashtags und Likes gemessen wird, stellt sich die Frage, ob der Hype um die Sonny Angel lediglich ein Ausdruck unseres heutigen Überkonsums ist. Eine Sammlung von Plastikwesen, die den gleichen Drang nach Bestätigung stillen, wie jedes andere Luxusgut auch. Doch warum hängen so viele Menschen an diesen winzigen Plastikengeln? Vermutlich, weil sie Erinnerungen an die eigene Kindheit wecken. Ähnlich wie die Jellycat-Stofftiere, die uns in vergangene, unbeschwerte Zeiten zurückversetzen.
Klar, zwanzig Euro für ein Stück Plastik wäre woanders vermutlich besser investiert. Aber vielleicht ist es genau dieser scheinbar banale Sammeltrend, der uns in der heutigen Welt einen kleinen Moment der Freude und des Eskapismus schenkt. Einen Rückzugsort in einer oft zu rationalen Welt.