
Union und SPD legen recht zügig nach der Wahl einen Koalitionsvertrag vor. Damit nehmen sie eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Regierungsbildung. Die Vorstellung ist eine eher trockene Veranstaltung. Die Symbolik gelingt aber.
Als Ende 2021 die Ampelkoalitionäre ihren Koalitionsvertrag vorstellten, war das mit viel Brimborium verbunden. Für die Präsentation hatte man eine hippe alte Industrie-Location im Berliner Norden gemietet, ein Slogan wurde präsentiert, der historisch daherkam und an Willy Brandt erinnerte. Es war viel vom Zauber des neuen Anfangs die Rede und einer der Parteivorsitzenden schwärmte, er habe Olaf Scholz noch einmal neu kennengelernt und dieser verfüge über ein "inneres Geländer".
Im Vergleich war das, was Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken an diesem Mittwochnachmittag anboten, eine ziemlich dröge Veranstaltung. Zauber hatte da gar nichts, Merz stellte den Koalitionsvertrag von Union und SPD im Duktus des Vorsitzenden eines mittelständischen Unternehmens vor. SPD-Chef Klingbeil wirkte müde, aber zufrieden, und nur Markus Söder sorgte für Heiterkeit, indem er sich ausufernd Redezeit genehmigte und bei allen immer entgeisterteres Grinsen auslöste.
Die Location war auch nicht gerade hip, die vier Parteivorsitzenden hatten ins Foyer des Paul-Löbe-Hauses geladen. Eines der großen grau-in-grauen modern-nüchternen Nebengebäude des Bundestages. Falls das so beabsichtigt war, gelang die Symbolik: Dort wird die eigentliche Parlamentsarbeit gemacht - und Arbeit ist das, was nun in Angriff genommen werden muss. Die Zeiten sind ernst, das hat wohl jeder verstanden. Vor einer kahlen grauen Wand stellten die vier Parteichefs ihre Ergebnisse vor. Lobhudeleien für die Kollegen ließen sie aus. Merz und Klingbeil duzen sich jetzt. Das muss reichen.
Gute alte Sachlichkeit
So dröge der Termin daher kam, so angemessen war diese gute alte Sachlichkeit. Von einer Regierung erwarten die Menschen zurecht, sich jetzt den großen Herausforderungen zu stellen. Heißt aktuell: Der Wirtschaft in Zeiten des Handelskrieges wieder neues Leben einzuhauchen, die Zuwanderung zu begrenzen, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verkürzen, Straßen, Brücken und Schulen wieder instand zu setzen, den Wohnungsbau anzuschieben und nicht zuletzt die Bundeswehr aufzurüsten, der Ukraine zu helfen und mehr für den Klimaschutz zu tun.
Es ist jetzt Merz' persönliches Problem, dass er vor der Wahl unrealistische Erwartungen weckte. Bei seinem im Januar präsentierten Fünfpunkteplan zur Migration wollte er keine Kompromisse machen. Die Schuldenbremse wollte er frühestens dann reformieren, nachdem im Haushalt kräftig gespart wurde. Neue Schuldentöpfe für die Infrastruktur verhöhnte er. Es kam bekanntlich anders. An der CDU-Basis brodelt es deswegen und das ist nachvollziehbar. Die AfD liegt im Trendbarometer von RTL und ntv nur noch knapp hinter der Union.
Ob der Koalitionsvertrag diesen Ärger nun ablöscht, wird sich zeigen. In Sachen Migration setzte die Union einiges durch, aber natürlich gab es Kompromisse. Das zieht sich durch den Vertrag und war nicht anders zu erwarten. Die vollmundige Ankündigung eines kompletten "Politikwechsels" war ohnehin kurzsichtig. Schließlich kann sich die SPD nicht dazu hergeben, ein CDU-pur-Programm durchzuwinken. Nicht einmal dann, wenn Merz mit Dienstwagenschlüsseln winkt, wie er im Wahlkampf behauptet hatte.
In den kommenden Tagen wird nun aufgerechnet werden, wer sich wo durchgesetzt hat. Das macht Spaß, ist aber in etwa so zielführend wie wenn man nachzählt, ob mehr Bayern- oder mehr Dortmund-Spieler in der Fußball-Nationalmannschaft spielen. Wenn man nicht gerade Mitglied bei CDU, CSU oder SPD ist, zählt am Ende etwas anderes.
Die eigentliche Frage ist nun, ob dieser Koalitionsvertrag die erwünschte Wirkung entfaltet. Mit dem Sondervermögen Infrastruktur gibt es die Chance, die maroden Brücken, Schulen und Straßen wieder in Ordnung zu bringen. Mit der weitgehenden Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ermöglicht die Regierung die Sicherheit Deutschlands und Europa auf neue Beine zu stellen. Mit weiteren Maßnahmen gegen die unbegrenzte Zuwanderung setzt sie ein Zeichen, das viele Wähler erwartet hatten. Vielversprechend ist, dass die Zahlen bereits sinken.
Erster Arbeitsnachweis
Bürokratieabbau nach dem Motto "Jetzt aber wirklich" ist eine der Prioritäten - was bitter notwendig ist, denn sonst können die Milliardeninvestitionen ihre Wirkung nicht entfalten. Gerade jetzt im beginnenden Handelskrieg mit den USA ist es auch wichtig, Unternehmen zu entlasten. Senkung der Stromsteuer, der Industriestrompreis und andere Maßnahmen wie die degressive Abschreibung auf Ausrüstung können helfen. Natürlich gibt es dabei irritierende Wermutstropfen. Wie die, dass die Körperschaftssteuer erst ab 2028 sinken soll und dann auch nur um einen Prozentpunkt.
Man wird noch mehr solcher Punkte finden, wenn man den Koalitionsvertrag durchkämmt. Aber Papier ist ohnehin geduldig. Entscheidend wird sein, ob Union und SPD nun zu einem Arbeitsmodus finden, in dem Konflikte ohne ausufernden öffentlichen Streit abgeräumt werden. Das war einer der Gründe, warum die Ampelkoalition das Vertrauen der Menschen verlor. Die tiefere Ursache: SPD und Grüne auf der einen und die FDP auf der anderen Seite wollten letztlich in zwei verschiedene Richtungen. Als das nicht mehr mit Geld überdeckt werden konnte, ging nicht mehr viel.
Klingbeil und Esken wollten die Finanzierung daher vor den Koalitionsverhandlungen klären. Auch deswegen gab es die drei Grundgesetzänderungen noch im alten Bundestag. Das war eine schmerzhafte und demokratisch fragwürdige Prozedur. Aber für Schwarz-Rot ist es tatsächlich hilfreich, dass diese Fragen nun geklärt sind. Wenn die SPD-Mitglieder und der kleine Parteitag der CDU sowie der CSU-Vorstand zustimmen, steht die Koalition.
Hilfreich ist, dass Union und SPD gar nicht erst so tun, als sei ihr Bündnis eine Liebesheirat. Nur gut sechs Wochen nach der Bundestagswahl legen sie den Koalitionsvertrag vor, deutlich schneller als die Ampel. Dieses Tempo war nicht selbstverständlich. Einen ersten Nachweis ihrer Arbeitsfähigkeit haben Union und SPD damit geliefert.