Europäische Sicherheitsexperten schlagen angesichts eines möglichen Wahlsieges von Donald Trump Alarm - und malen ein düsteres Bild für die Zukunft Europas. So drohe etwa in der Ukraine ein schnelles Kriegsende zugunsten von Putin, aber auch die Vereinnahmung der deutschen Autoindustrie durch Trump.
Während Kamala Harris und Donald Trump die letzten Wahlkampftage im Rennen um den Einzug ins Weiße Haus bestreiten, wächst in Deutschland und Europa die Nervosität über den möglichen Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen. Das Rennen ist eng, aber Umfragen lassen derzeit einen Sieg des Republikaners Trump als wahrscheinlicher erscheinen. "Ein halber Satz, der auf einer Farm in Süd-Idaho geäußert wird, versetzt alle von Porto bis Helsinki in Panik", beschreibt der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg die Reaktionen in Europa auf Wahlkampfauftritte.
Tatsächlich gibt es eine Reihe von Themenfeldern, in denen bei einem Sieg von Trump massive Änderungen erwartet werden - von der Ukraine, der NATO bis zur Wirtschaft. 71 Prozent der Deutschen erwarten laut ZDF-Politbarometer eine Zuspitzung der weltweiten Probleme und Krisen.
Ende des Ukraine-Kriegs, Ende der Sicherheit in Europa?
Zentraler Punkt der Sorgen ist dabei, wie das Weiße Haus sich künftig im Krieg zwischen Russland und der Ukraine aufstellt. Bei Harris wird keine Änderung der bisherigen US-Politik mit einer deutlichen Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland erwartet. Aber Trump hat vollmundig angekündigt, dass er den Konflikt innerhalb eines einzigen Tages lösen könne.
Viele europäische Beamte und Politiker sind besorgt, dass der als unberechenbar geltende Trump Russland schnelle Zugeständnisse zulasten der Ukraine machen könnte. Jedes Ende des Ukraine-Krieges, das Wladimir Putin als Sieg ansehe, könnte den russischen Präsidenten ermutigen, danach ein NATO-Land, etwa im Baltikum anzugreifen, warnen sie. Nach Einschätzung vom BND-Chef Bruno Kahl wäre Russland Ende des Jahrzehnts militärisch dazu in der Lage.
Zwar bestreitet Putin entsprechende Pläne. Aber zusammen mit einer möglichen republikanischen Kongress-Mehrheit nach den Wahlen könnte auf die Europäer die Frage zurollen, ob sie der Ukraine beim Wegfall der USA-Hilfe noch sehr viel stärker unter die Arme greifen sollten. Viele EU-Staaten betrachten dieses Szenario skeptisch. Genau deshalb hatten die G7-Staaten als Absicherung gegen innenpolitische Widerstände einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit für die Ukraine auf den Weg gebracht.
NATO-Chef Mark Rutte mahnt vorsorglich, Trump müsse verstehen, dass es bei dem Krieg "nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Sicherheit und die künftige Sicherheit der Vereinigten Staaten" gehe.
Unsicherheit um atomaren Schutzschirm
In seiner ersten Amtszeit als US-Präsident schürte Trump Zweifel, ob die USA weiterhin zu ihrem Engagement in der NATO und ihrer Rolle als Schutzmacht stehen. Am Ende wurden weder wie angekündigt US-Truppen aus Deutschland abgezogen, noch verabschiedete sich Trump aus dem westlichen Bündnis. Anders als in seiner ersten Amtszeit erfüllen inzwischen mittlerweile 23 NATO-Staaten das selbst gesteckte Ziel, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.
Aber unabhängig davon, wer in den USA ins Präsidentenamt gewählt wird: Die Frage ist, ob die USA nicht eine noch viel höhere Beteiligung der Europäer an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung fordern werden. Nach der Wahl könnte auch der US-Kongress in der Hand der Republikaner liegen, der über das nationale Budget entscheidet. So könnten mehr energischere Forderungen nach einem höheren Eigenanteil für Sicherheit seitens der Europäer kommen.
Käme aus den USA die Forderung nach einer höheren Zielmarke für den Anteil der Verteidigungsausgaben an der Wirtschaftsleistung, würden viele Länder wie Deutschland in große innenpolitische Turbulenzen gestürzt. Schon jetzt sind die öffentlichen Finanzen überall auf dem Kontinent angespannt. Und russlandfreundliche, populistische Parteien haben zuletzt Wahlerfolge im Europäischen Parlament, in Österreich und Ostdeutschland erzielt.
Trump hatte bereits in der ersten Amtszeit wegen des sinkenden Vertrauens in die Verlässlichkeit der USA die Frage des atomaren Schutzschirms wieder auf die Tagesordnung gebracht. Hier erwarten Experten allerdings keine Änderung - zumal der US-Schutzschirm auch Trump-nahe und russland-freundliche Politiker wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban schützt. Auch Deutschland hat gerade Milliarden in amerikanische F35-Flugzeuge für die sogenannte nukleare Teilhabe investiert - was ganz im Sinne des Trump-Denkens sein dürfte.
Trump-Wahl könnte Abhängigkeit Deutschlands deutlich steigern
Ein Sieg Trumps würde die Konflikte innerhalb der EU weiter anheizen, erwarten EU-Diplomaten. Während die große Mehrzahl der Europäer auf einen Sieg von Harris hofft, setzt Orban offen auf den US-Republikaner - und will bevorzugter Partner für das Weiße Haus in Europa werden. Dass Trump anders als Harris wenig Sympathie für ein multilaterales Konstrukt wie die EU hegt, wurde schon in der ersten Amtszeit deutlich.
Dazu kommt, dass er mit seinem "America first"-Kurs bereits eine harte wirtschaftspolitische Auseinandersetzung mit den Europäern und gerade Deutschland angekündigt hat: "Ich will, dass deutsche Autokonzerne zu amerikanischen Autokonzernen werden", sagt er ganz offen, wobei die deutschen Autobauer schon lange auch in den USA produzieren. Trump hat bereits neue Strafzölle gegen die Europäer ins Spiel gebracht.
Seine Wahl könnte vor allem Deutschland treffen. Denn die deutsche Politik hatte die Firmen jahrelang aufgefordert, Alternativen zu China zu suchen. Aus Sorge auch vor der wachsenden amerikanisch-chinesischen geopolitischen Konkurrenz haben sich viele Unternehmen verstärkt den USA zugewandt. Anders ausgedrückt: Um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, ist die Abhängigkeit von den USA gestiegen. Mehr Exporte, mehr Investitionen, mehr Importe: Die deutsche Wirtschaft ist heute in vielen Bereichen abhängiger vom US-Geschäft als 2017, dem Beginn der ersten Amtszeit von Trump.