Die Ampelkoalition ist kläglich gescheitert. Aber das Schmierentheater, das nun vor allem SPD und FDP aufführen, stellt alles in den Schatten. Hoffen wir, dass der Wahlkampf keine Nonstop-Schlammschlacht wird und es um Inhalte geht. Deutschland hat genug Probleme zu lösen.
Selbstbewusstsein, auch übersteigertes, gehört seit jeher zum Wesen von Politikern, die es ganz nach oben geschafft haben. Seit einigen Jahren wird allerdings rasend schnell die Grenze zur Hybris und Arroganz überschritten. Insofern verwundert es nicht, dass mit Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner bei der Wahl Ende Februar drei Akteure als Spitzenkandidaten ihrer Parteien antreten, um Kanzler oder Finanzminister zu werden, obwohl sie an vorderster Stelle für das Scheitern der selbsternannten "Fortschrittskoalition" und die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung verantwortlich sind. Schuld für das Versagen sehen sie – ebenso wie ihre Parteien – jeweils bei den anderen, im Zweifel den Medien, die es mit ewig kritischer und miesepetriger Berichterstattung versaut haben.
Habeck scheint immerhin Demut zu kennen, was man über Scholz und Lindner nicht sagen kann. Bei seinem Auftritt bei Caren Miosga unmittelbar nach dem Ende der Ampel hat der Noch-Kanzler vor Millionenpublikum unter Beweis gestellt, dass es ihm an jeglicher Selbsterkenntnis für das eigene Zutun an dem Trauerspiel und dem wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands fehlt. Dabei war Scholz schon qua Amt als der Kopf der Koalition für deren Gelingen zuständig. Bekanntlich stinkt der Fisch – und Scholz hält sich schließlich für einen tollen Hecht im Haifischbecken der Politik – stets vom Kopf her, was der Sozialdemokrat wissen könnte, wären da nicht seine eklatanten Gedächtnislücken.
Ob Scholz mit dem Interview im Ersten wie jetzt auf der sogenannten "Wahlsiegkonferenz" Standhaftigkeit, Führungsstärke oder beides zeigen wollte, wissen die Götter. Es ist im Grunde auch egal: Ihm glaubt sowieso niemand mehr außerhalb der eisernen SPD-Anhängerschaft. Ansonsten hat es sich rumgesprochen: Wer Führung bestellt, bekommt von Scholz: gar nichts. Er hat drei Jahre lang zugeschaut, wie sich seine Minister abrackerten, hielt ab und an eine Rede im Bundestag - und das war es dann auch schon. Spöttisch bis arrogant grinsend – immerhin ein mutmaßlicher SPD-Anhänger, dem das Lachen noch nicht vergangen ist – erklärte er Miosga und deren Zuschauern: Ich bin "cool", habe mich "bemüht", alles prima gemacht, rette Deutschland vor der FDP, dem Chaos und dem Absturz der Wirtschaft, Schuld an der ganzen Misere hat der Lindner, wirklich ganz allein der.
Auf der Welle reitet Scholz umso mehr, seit das zynische "D-Day"-Papier der Liberalen bekannt geworden ist und nun alle Welt weiß, dass Kräfte in der FDP – von "nur sprachlich" sollte und kann nicht die Rede sein – politische Auseinandersetzung als Krieg und den Plan für das Ende einer Koalition mit der militärischen Befreiung von einer massenmordenden Diktatur missverstehen. Nun behauptet der SPD-Kanzlerkandidat, dass Lindner und seine Mitstreiter "die Arbeit der Bundesregierung über Monate systematisch sabotiert" hätten. "Eigentlich unfassbar" nennt Scholz das der FDP unterstellte Verhalten: "Sie wollten aktiv verhindern, dass diese Bundesregierung erfolgreich ist."
Scholz mangelte es an Spürsinn
Folgt man dem Noch-Kanzler, hieße das, dass Habecks Heizungshammer, die vom Bundesverfassungsgericht abgeurteilten Haushaltstricks der Ampel, die hanebüchen schlecht vorbereitete Kindergrundsicherung der grünen Familienministerin Lisa Paus, das Versagen bei der Zeitenwende, der inneren Sicherheit, dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Islamismus, den Abschiebungen krimineller Ausländer, die schleppende und viel zu teure Energiewende sowie andere grandiose Flops der Ampel allein auf das Konto der FDP gehen. Eigentlich unfassbar ist, dass Scholz drei Jahre brauchte, um das zu merken. Eigentlich unfassbar ist, dass er nicht selbst die Reißleine gezogen und Lindner früher gefeuert hat. Dieser Mangel an Spürsinn und Urteilskraft spricht nicht für ihn und irgendwelche Führungsfähigkeiten.
Eigentlich unfassbar, aber nicht überraschend ist, dass sich das Personal der FDP auf dem mittlerweile gängigen, maximal drittklassigen Niveau politischer Akteure in der Berliner Republik bewegt. Da waren Dilettanten am Werk, die sich für Strategen halten und nicht nur ihrer Partei, sondern dem Land und der Demokratie insgesamt Schaden zufügten. Die Kommunikationsstrategie ist hanebüchen. D-Day? Gibt es bei uns in der FDP so wenig wie den Veggie-Day. Hubs, steht ja doch drin. "Das Papier ist auf Ebene der Mitarbeiter entstanden", sagen sie nun und machen den Generalsekretär zum Bauernopfer.
Die Unkenntnis ist eine Mär. Und wenn es so war, muss man fragen, warum die FDP irgendwelche Leute irgendwelche Szenarien für irgendwen Unbekannten aufschreiben und verschicken lässt, ob sie zu viel Zeit haben. Denn nur, um das Machwerk der "Zeit" und der "Süddeutschen" zuzuspielen, wird sich niemand die Mühe gemacht haben. Eigentlich unfassbar ist zudem, dass sich die FDP-Spitze nicht vor die Verfasser stellt, sondern sie bei erstbester Gelegenheit in die Pfanne haut. Wolfgang Kubicki etwa bescheinigte ihnen, "dilettantisch und semi-professionell" gearbeitet zu haben, was heißt, dass in der FDP Trottel arbeiten. Mag sein. Aber geht man so mit den eigenen Mitarbeitern um?
"Ich halte das für eine glatte Lüge", hatte Kubicki zunächst über das Dokument samt Inhalt gesagt, was sich, wenn er nicht glatt gelogen hat, als Sprechblase entpuppte. Tage später erklärte er: "Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte das Ende dieser Koalition, deren Gewürge unserer Wirtschaft und unserem Ansehen massiv geschadet hat." Dann war es also keine Lüge, sondern eine Notlüge mit dem Ziel, Deutschland auf die Beine zu helfen? Warum haben Lindner und die anderen von der FDP gestellten Minister dann aber nicht vor Monaten ihre Mitarbeit in der Koalition aufgekündigt? Und warum dann die Tränen Lindners, als ihn Scholz aus dem Kabinett warf? Warum die ganze Inszenierung? An der auch der Noch-Kanzler mitwirkte, der eine längst vorbereitete Rede vortrug und nicht mal so tat, als sei es spontan und er enttäuscht, sondern den Wahlkampf eröffnete.
Selbst das Ende vergeigt die FDP
Ob die FDP-Granden das "D-Day"-Papier kannten oder nicht: Auf keinen Fall ist es im luftleeren Raum entstanden. Die Leute, die es erdacht und niedergeschrieben haben, müssen den Frust in der Parteispitze über die Ampel gekannt haben. Dass die Liberalen die Koalition gesprengt haben, war richtig – die Regierung war am Ende. Aber monatelang mit dem Gedanken zu spielen und es dann am Ende so zu vergeigen, zeugt weder von Größe noch von der Fähigkeit, ein Land zu führen. Immerhin wissen wir nun: Nicht einmal das Ende kriegt die FDP anständig hin.
Die Ampel hat nicht einen Tag lang geliefert, was sie versprochen hat, nämlich neue Wege zu gehen und dafür parteiübergreifende Brücken zu bauen. Was jetzt passiert, ist ein Massaker an der politischen Kultur, über die sich nur eine Partei freuen: die AfD, die von geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Demokratie ohnehin wenig bis nichts hält. Man kann nur hoffen, dass der Wahlkampf keine Nonstop-Schlammschlacht wird und sich die Parteien um Inhalte kümmern und erklären, wohin sie Deutschland führen wollen, statt übereinander herzufallen.