Der Bundestag will jüdisches Leben in Deutschland besser schützen. Mit einer breiten Mehrheit passiert die lange verhandelte Resolution nun das Parlament. Auch die AfD stimmt dafür und zeigt sich positiv überrascht von den Grünen. Kritiker warnen hingegen vor politischem Missbrauch.
Der Bundestag hat in seiner ersten Plenarsitzung nach dem Ampel-Aus mit breiter Mehrheit einen Antrag mit dem Titel "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" verabschiedet. Der Inhalt des Antrags, den SPD, Grüne, FDP und Union gemeinsam erarbeitet haben, ist zwar nicht rechtsverbindlich, dürfte aber politische Wirkung entfalten. Für ihn stimmten, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas verkündete, CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP sowie die AfD. Dagegen votierte demnach das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die Gruppe Die Linke enthielt sich.
Seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 liefen die fraktionsübergreifenden Verhandlungen über die Resolution. Mit dem Antrag werde klargestellt, dass es "auch in den Reihen von Kunst, Kultur und Medien" keinen Platz für Antisemitismus gebe, sagte der CDU-Politiker Michael Breilmann. Er trat dem Vorwurf von Wissenschaftlern entgegen, die vor allem die darin verwendete Definition von Antisemitismus kritisierten.
Der Antrag von SPD, Grünen, FDP und Union hat das Ziel, Antisemitismus zu bekämpfen. Darin wird dazu aufgerufen, "Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen", insbesondere im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht. Hochschulen werden aufgefordert, gegen Antisemitismus dort in schweren Fällen auch mit dem Mittel der Exmatrikulation vorzugehen.
Die vier Fraktionen kritisieren einen "relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus" und fordern die Bundesregierung auf, sich "aktiv für die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel" einzusetzen. Gegenüber Ländern und Kommunen solle sie darauf hinwirken, bei Entscheidungen, etwa über die Förderung bestimmter Projekte, die sogenannte IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranzuziehen.
Kontroverse um Definition von Antisemitismus
Die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hält unter anderem fest, dass sich Erscheinungsformen von Antisemitismus "auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten" können. Die Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Barbara Stollberg-Rilinger, sagte vor Beginn der Debatte, die IHRA-Definition sei unbestimmt, und "das führt dazu, dass sie unglaublich missbrauchsanfällig ist". Der Antisemitismus-Vorwurf eigne sich "in hervorragender Weise, um politische Gegner zum Schweigen zu bringen und zu diffamieren", warnte die Historikerin.
Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz sagte in der Debatte, die IHRA-Definition werde in dem Antrag "nicht für absolut" erklärt, sondern solle als maßgeblich herangezogen werden. Beatrix von Storch von der AfD sagte, in dem Antrag fänden sich die Warnungen ihrer eigenen Partei vor "importiertem Antisemitismus" wieder. In einem von den Grünen mit initiierten Antrag sei das bemerkenswert.
In dem verabschiedeten Text heißt es: "In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind."
An diesem Passus stört sich unter anderem Hakan Demir von der SPD. In der Debatte sagte er, anstatt Menschen aus bestimmten Regionen hier pauschal zu benennen, wäre es besser, zwischen Demokraten und Anti-Demokraten zu unterscheiden. Gleichzeitig seien antisemitische Verschwörungstheorien sowie völkisches Denken auf dem Vormarsch, heißt es weiter im Text des Antrags. Seine Autoren kritisieren zudem einen "relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus".
Kuhle richtet Appell an Hochschulen
Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle betonte, die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in Deutschland könne nicht getrennt werden vom Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Er betonte, dass dies für Hochschulen ebenso gelte wie in der Migrationsdebatte. "Wer für sich selbst zu Recht den Schutz vor Diskriminierung und Rassismus verlangt, darf bei antisemitischen Erzählungen und Klischees, bei Ausgrenzung und Gewalt, die auch von Muslimen ausgeht, nicht schweigen."
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, nannte die Resolution "in schwierigen politischen Zeiten ein Signal, dass Antisemitismus in Deutschland nicht einfach hingenommen werden darf". Nun müsse "konkretes staatliches Handeln erfolgen". Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, wünscht sich weitere Schritte. "Ich finde, der Bundestag sollte diese Resolution nicht einfach nur verabschieden, sondern sie ratifizieren, sie also verbindlich machen", sagte Prosor der "Augsburger Allgemeinen".
Die Resolution schaffe "Raum für Missbrauch, kriminalisiert legitime Kritik an der israelischen Regierungspolitik und bedient das rassistische Narrativ vom 'importierten Antisemitismus'", erklärte dagegen die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow.