Nach großen Protesten verleihen Angehörige von Geiseln sowie politische Gegner von Premier Netanjahu mit einem Generalstreik ihrem Unmut Ausdruck. Teile des Landes stehen einige Stunden still. Dann verlangt ein Gericht das jähe Ende der Blockade.
Wenige Stunden nach Beginn eines Generalstreiks in Israel zur Unterstützung eines sofortigen Abkommens zur Freilassung der Geiseln im Gazastreifen hat ein Gericht das unverzügliche Ende des Ausstands angeordnet. "Wir erlassen eine landesweite Anordnung, um den begonnenen Streik zu verbieten", hieß es am Mittag in einem Gerichtsentscheid, der auf einen Antrag des rechtsextremen Finanzministers Bezalel Smotrich erfolgt war. Der Streik müsse "heute" beendet werden. Smotrich war juristisch mit dem Argument gegen den Generalstreik vorgegangen, der Streik sei politisch motiviert und habe nichts mit einem Tarifkonflikt zu tun.
Es kam zu Verspätungen im öffentlichen Nahverkehr, am Flughafen Ben Gurion fielen Verbindungen aus. Banken und einige Einkaufszentren blieben geschlossen, größere Störungen blieben allerdings aus. Gemeinden im Zentrum von Israel beteiligten sich am Streik, darunter Tel Aviv. Der Schulunterricht wurde dadurch verkürzt, Kindertagesstätten und Kindergärten wurden geschlossen. Andere Gemeinden machten aber nicht mit, darunter Jerusalem.
Aufgerufen zu dem Generalstreik hatte Israels Gewerkschafts-Dachverband Histadrut. Er folgte damit Forderungen von Geisel-Angehörigen und der Opposition, den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hinsichtlich eines Geisel-Abkommens zu erhöhen. Mitarbeiter von Verwaltung, Krankenhäusern und Verkehrsbetrieben im ganzen Land waren seit 6 Uhr (Ortszeit, 5 Uhr MESZ) aufgerufen, ihre Arbeit niederzulegen. Geschäfte, Restaurants, Märkte und Schulen sollten geschlossen bleiben. Der Histadrut-Vorsitzende Arnon Bar-David sagte jedoch, man werde sich an den Gerichtsbeschluss halten, und wies seine Mitglieder an, die Arbeit wiederaufzunehmen.
Netanjahu soll sofort Geisel-Deal schließen
Nach der Bergung von sechs von der Hamas getöteten Geiseln am Wochenende im Gazastreifen soll mit dem Streik der Druck auf die Regierung verstärkt werden, ein sofortiges Abkommen zur Freilassung der noch lebenden Geiseln durchzusetzen. Die sechs getöteten Geiseln waren am Samstag in einem Tunnel bei Rafah im Süden des Gazastreifens gefunden worden.
Nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums waren die vier Männer und zwei Frauen laut Obduktion "ungefähr 48 bis 72 Stunden" vor der gerichtsmedizinischen Untersuchung am Sonntag "von Hamas-Terroristen mit mehreren aus nächster Nähe abgefeuerten Schüssen ermordet worden".
Bereits am Sonntagabend waren Zehntausende Menschen in Israel auf die Straße gegangen, um ihrer Trauer und ihrem Ärger darüber Luft zu machen, dass sechs Geiseln im Gazastreifen tot aufgefunden worden waren. Die Angehörigen der Opfer und ein Großteil der israelischen Öffentlichkeit machten Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dafür verantwortlich. Sie klagten, die Geiseln hätten lebend zurückgeholt werden können, wenn ein Abkommen mit der Hamas geschlossen worden wäre. Die Demonstrationen waren offenbar die größten seit Kriegsbeginn. Organisatoren schätzten die Teilnehmerzahl landesweit auf bis zu 500.000. In den Medien wurde die Zahl auf 200.000 bis 400.000 geschätzt.
Andere im Land unterstützen die Strategie Netanjahus, die Terrororganisation Hamas weiterhin unablässig militärisch unter Druck zu setzen. Sie argumentieren, die Extremisten würden dadurch letztendlich dazu gezwungen, den israelischen Forderungen nachzugeben, was womöglich zu erfolgreichen Rettungsaktionen und einem Ende der Hamas führen könnte. Die Hamas hatte den Krieg mit ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober ausgelöst.
Noch etwa 100 Geiseln sollen sich im Gazastreifen aufhalten, von denen vermutlich ein Drittel tot ist. Netanjahu machte die Hamas für den fehlenden Durchbruch bei Verhandlungen über eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln verantwortlich, die sich hingezogen haben.