3 months ago

Reaktion auf AfD-Aufstieg: Der Bundestag liefert eine Sternstunde zum Davonlaufen



Gemeinsam wollen Ampel-Parteien und Union das Grundgesetz ändern, um das Bundesverfassungsgericht vor einem weiteren AfD-Aufstieg zu schützen. Das ist gut und richtig. Wer aber die Demokratie vor Extremisten schützen will, sollte den Menschen Debatten wie in der ersten Lesung des Gesetzes ersparen.

Es geht doch noch etwas zusammen zwischen SPD, Grünen und FDP einerseits sowie CDU und CSU andererseits: Gemeinsam haben die Regierungsfraktionen und die größte Oppositionsfraktion im Bundestag ein Gesetz zur Absicherung des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt. Zuschnitt und Besetzung des Gerichts sollen im Grundgesetz verankert werden. So soll das Gericht in Karlsruhe vor den möglichen Folgen eines weiteren AfD-Aufstiegs geschützt werden. Wer aber die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag verfolgt hat, muss feststellen: Diese Art von Bundestagsdebatten ist, wenn auch unbeabsichtigt, fast genauso gefährlich für die parlamentarische Demokratie wie deren Feinde von AfD und Co.

Zur Sache: Die 16 Verfassungsrichterinnen und -richter werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt. Sollte die AfD oder eine andere radikale Partei in einer der Parlamentskammern auf mehr als ein Drittel der Stimmen kommen, könnte sie künftige Richterwahlen behindern. Das soll nun erschwert werden, indem die jeweils andere Instanz die Wahl übernehmen darf, wenn Bundesrat oder Bundestag blockiert sein sollten. Diese Regelung soll ebenso grundgesetzlich verankert werden wie der bisherige Zuschnitt der beiden Senate, in denen jeweils mindestens drei Richter mit Erfahrung in einem der obersten Bundesgerichte sitzen müssen. Auch die gesetzlich geltende Befristung der Amtszeiten soll grundgesetzlich festgeschrieben werden.

Eineinhalb Stunden Selbstbeweihräucherung

So weit, so richtig. Die Beispiele Ungarn und Polen hätten gezeigt, dass Rechtspopulisten zuerst die unabhängige Justiz geschliffen haben, betonten die Rednerinnen und Redner von Regierung und Union unisono. Ein weiteres Argument: Die AfD habe bei der Wahl eines neuen Parlamentspräsidenten im Thüringer Landtag gezeigt, dass sie die parlamentarische Demokratie verächtlich machen wolle. Bundesjustizminister Marco Buschmann sprach deshalb nun von "Parlamentarismus in seiner besten Form": Zusammen haben Ampel- und Unionsparteien einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, um gemeinsam die nötige Zweitdrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung zusammenzubekommen. Die AfD-Redner und der Partei verbundene Abgeordnete wetterten dagegen von einer "Lex AfD", die die "Kartellparteien" verabschieden wollten.

So bitter es ist: Die hämischen Einlassungen aus den Reihen der AfD brachten zumindest etwas Leben in diese blutarmen 80 Minuten Parlamentarismus. Wie können die Verantwortlichen der Fraktionen glauben, dass irgendwer diese fast eineinhalb Stunden Selbstbeweihräucherung bräuchte? Das gegenseitige Lob, zur Abwechslung mal etwas gemeinsam erarbeitet zu haben. Die Lobhudeleien auf das Bundesverfassungsgericht, in dessen Glanz sich die Redner sonnten. Die ewig selben Sontagsredner-Floskeln von den "Müttern und Vätern des Grundgesetzes". (Deren Geschlechterverhältnis übrigens war 4 zu 61. Die eine Ausgewogenheit nahelegende Formulierung ist nahe an der Geschichtsklitterung.)

Nicht weit her mit demonstrierter Einigkeit

Noch lächerlicher wird die Veranstaltung aber in dem Wissen, dass es mit der Einigkeit zwischen den beteiligten Fraktionen längst nicht so weit her war, wie es im Nachhinein scheint. Das ist schon der Tatsache geschuldet, dass die tatsächliche Gefahr durch die AfD zwischen den beteiligten Parteien sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Acht Beratungssitzungen hat es daher gebraucht, dazu informelle Gespräche und einen zwischenzeitlichen Abbruch der Gespräche im Februar. Darüber aber im Plenum kein Wort. Stattdessen gab es löffeldick und oft wortgleich Honig für das Bundesverfassungsgericht. Wer möchte auch nicht gern als Schutzschild der beliebtesten Institution des Landes dastehen?

Zuhörer aber kamen bei dieser Konstellation gar nicht umhin, an die so oft von der AfD beklagte "Einheitsfront" der etablierten Parteien zu denken. Mit einer Debatte im Wortsinn hatte diese Veranstaltung jedenfalls nichts zu tun. 70 von 80 Minuten sagten alle mehr oder weniger dasselbe - ohne dabei auf die vermeintlichen Argumente der einzigen Gegenseite einzugehen. Es wäre ja durchaus ein paar Sätze wert gewesen, einem zentralen AfD-Vorwurf argumentativ zu begegnen: Dass das Bundesverfassungsgericht nach politischen Farben besetzt sei und die anderen Parteien nur ihre Kontrolle über die Richterwahl absichern wollten.

So groß ist die Zuneigung gar nicht

Nach den reihenweise schweren Niederlagen der Ampel-Koalition in Karlsruhe war in deren Reihen durchaus Mosern über die auf Vorschlag von CDU und CSU gewählten Richter zu hören. Natürlich nicht öffentlich. Auch Unionspolitiker haben schon so manches Urteil auf eine vermeintlich zu liberale Besetzung der Richterbank zurückgeführt. So weit, wie am Donnerstag behauptet, ist es im Bundestag gar nicht her mit der Liebe zum Bundesverfassungsgericht. Wenn überhaupt, rührt die Zuneigung aus der Gewissheit, dass die Urteile aus Karlsruhe auf lange Sicht jede Partei einmal treffen.

Diese Erkenntnis ist Motivation genug, das Gericht in einem gemeinsamen Kraftakt vor Böswilligkeiten jedweder Couleur zu schützen. Wer sich dafür aber ausdauernd und überzogen selbst beklatscht, nimmt die große Mehrheit der demokratisch gesinnten Menschen im Land nicht ernst - sondern verprellt sie.

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