
Meint Putin sein Verhandlungsangebot ernst? Was ist von den Gesprächen in Istanbul zu erwarten? Der frühere langjährige CIA-Mitarbeiter und Russlandkenner Rob Dannenberg zeigt sich im Interview wenig optimistisch. Er war für den US-Geheimdienst in leitenden Positionen tätig, heute ist er freiberuflicher Berater.
ntv.de: Sie haben bis 2007 für die CIA gearbeitet. Sie waren dort, als Putin bereits an die Macht kam. Was war Ihr erster Eindruck von ihm?
Rob Dannenberg: Mir war schon früh klar, dass Wladimir Putin einer Generation ehemaliger KGB-Offiziere entstammte, die wegen des Zusammenbruchs der Sowjetunion einen tiefen Groll gegen die Vereinigten Staaten und den Westen hegten. Trotzdem erkannte Putin sehr schnell, dass er politisch, militärisch und wirtschaftlich nicht in der Lage war, die USA zu diesem Zeitpunkt herauszufordern.
Wie hat sich seine Einstellung verändert?
Im Laufe der Jahre wurde deutlich, dass Putins Ziele nicht nur darin bestanden, die Russische Föderation unter seine absoluten Kontrolle zu bringen, sondern auch darin, das russische Militär wiederaufzubauen und einige der Praktiken des Kalten Krieges wiederaufzunehmen. All diese Dinge sollten dem russischen Volk vermitteln, dass Putin Russlands Einfluss auf der Weltbühne wiederherstellt. Für diejenigen unter uns, die für die Informationsbeschaffung über die Sowjetunion und Russland verantwortlich waren, ist das, was dort in den vergangenen 25 Jahren geschehen ist, also keine große Überraschung.
Was halten Sie vom Ultimatum der europäischen Staaten und Putins Antwort darauf?
Ich halte den Aufruf zu einem Waffenstillstand für lobenswert, aber er ist nicht realistisch. Eine von Putins Bedingungen ist, dass die westlichen Unterstützer ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen. Das ist für die Ukrainer natürlich schwer zu akzeptieren, da es kein solches Moratorium für Waffenlieferungen an Russland aus dem Iran, Nordkorea, China und anderen Ländern geben würde. Putin hat auf den Aufruf zur Waffenruhe mit der Forderung nach direkten Verhandlungen reagiert. Das ist Friedenstheater. Putin versucht damit in gewisser Weise zu demonstrieren, dass er derjenige ist, der Frieden sucht. Das Problem ist natürlich, dass kaum Raum für tatsächliche Verhandlungen bleibt. Russland hat keinerlei Zugeständnisse hinsichtlich seiner Friedensforderungen gemacht. Ich sehe also kaum Aussicht auf ein langfristiges Friedensabkommen.
Warum schlägt er dann überhaupt Verhandlungen vor?
Putin will dem Westen, China und Indien den Eindruck vermitteln, dass Selenskyj das Hindernis auf dem Weg zum Frieden ist. Er ist sich aber durchaus bewusst, dass die Erfolgsaussichten der Verhandlungen sehr gering sind. Vergessen Sie nicht, Trump hat bereits das erreicht, was er sich erhofft hatte: das Rohstoffabkommen. Und die Beziehungen zwischen Trump und Selenskyj haben sich seitdem deutlich verbessert.
Moskau teilte nun mit, dass Putin nicht nach Istanbul reisen wird. Sollte Selenskyj also Verhandlungen auf niedrigerer Ebene akzeptieren?
Es geht um Friedenstheater, und Selenskyj möchte gegenüber Trump oder seinen Anhängern ganz sicher nicht den Eindruck erwecken, er sei überhaupt nicht zu Verhandlungen bereit. Sollten also die Staatschefs tatsächlich nicht erscheinen und nur die Außenminister anwesend sein, wird die Ukraine dennoch auf dieser Ebene teilnehmen. Sie muss es unbedingt.
Was halten Sie vom bisherigen Vorgehen der Trump- Regierung und wie hat sich das auf Putins Vorgehen ausgewirkt?
Ich denke, Trump hat Wladimir Putin völlig falsch eingeschätzt. Er war sich nicht im Klaren darüber, wer den Krieg begonnen hat, so unglaublich das auch klingen mag. Und ich denke, er hat einen falschen Ansatz gewählt, indem er Druck auf Selenskyj ausgeübt und der Ukraine vorübergehend die Geheimdienstunterstützung und die militärische Unterstützung verweigert hat. Das sendet genau das falsche Signal an Moskau. Nun scheint Trump dies zu erkennen und seinen Kurs gegenüber der Ukraine zu ändern. Im US-Senat liegt ein sehr eindringlicher Gesetzesentwurf für zusätzliche Sanktionen gegen Russland vor. Die USA haben ihre Geheimdienstunterstützung und ihre militärische Unterstützung wieder aufgenommen.
Schätzt Putin Trump richtig ein?
Ich denke, Putin ist gut über Trump informiert, weiß aber auch, dass Trump unberechenbar, sprunghaft und rachsüchtig sein kann. Putin will es vermeiden, diese Seite Trumps zu provozieren. Putin kalkuliert jeden Schritt, ist aber auch von seiner strategischen Größe überzeugt. Das ist eine Schwäche, die sich derzeit im Verlauf dieses Krieges zeigt.
Wie wirkt sich Trumps Vorgehen auf Putins Strategie aus?
Das jüngste Vorgehen hat Putin tatsächlich beeinflusst, der ein Ende der Sanktionen möchte. Er will Trumps Bereitschaft untergraben, der Ukraine zusätzliche militärische und geheimdienstliche Unterstützung zu gewähren. Deshalb hat Putin diese Friedensgespräche vorgeschlagen. Manche mögen das bestreiten, aber Putin sendet eine klare Botschaft an Trump: "Ich, Putin, versuche, Frieden zu schließen." Das ist natürlich reines Theater und völliger Unsinn. Putin könnte diesen Krieg morgen beenden, wenn er wollte. Aber er will es nicht.
Und was wird er jetzt tun? Wenn es tatsächlich bilaterale Gespräche gibt, wie wird er Ihrer Meinung nach vorgehen?
Putin wird sich verhandlungsbereit zeigen, ohne Zugeständnisse zu machen. Es gibt diesen berühmten Aphorismus über den russischen Verhandlungsstil: "Meines ist mein, und deins ist verhandelbar." Putin wird also sagen, er sei gesprächsbereit und Selenskyj müsse Zugeständnisse machen. Aber es wird keine Diskussion darüber geben, zu welchen Zugeständnissen Russland bereit ist, außer sich mit Selenskyj, den es offiziell nicht anerkennt, zusammenzusetzen und zu reden.
Sind Verhandlungen derzeit überhaupt ein vernünftiger Ansatz, um diesen Krieg endgültig zu beenden und einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen?
Ich glaube nicht. Irgendwann, wenn die eine oder andere Seite so erschöpft ist, dass sie den Krieg nicht mehr fortsetzen kann, wird es ernsthafte Verhandlungen geben. Erst dann werden die Voraussetzungen für ein Ende des Krieges gegeben sein. Aber im Moment scheint Putin trotz schwerer Verluste auf beiden Seiten, bereit zu sein, den Krieg fortzusetzen. Und die Ukrainer sind noch lange nicht bereit aufzugeben. Wir werden also Verhandlungen führen, die wahrscheinlich ergebnislos bleiben werden, sogar sehr wahrscheinlich. Aber beide Seiten werden behaupten, dass die andere Seite nicht bereit war, ernsthaft zu verhandeln.
Und wenn wir in die Geschichte zurückblicken: Was ist ein Friedensvertrag mit Wladimir Putin wert?
Die Russen haben das Budapester Abkommen und andere Verträge unterzeichnet. Diese wurden mit der Annexion der Krim und der Gründung der Volksrepubliken Luhansk und Donezk eindeutig verletzt. Die Ukrainer sind sich also durchaus bewusst, dass ein Friedensabkommen mit Russland nur dann glaubwürdig ist, wenn es Sicherheitsgarantien für den ukrainischen Staat gibt. Man kann auch einen Blick auf die Abkommen werfen, die zur Beendigung des Tschetschenien-Konflikts führten: Russland brach diese Abkommen, insbesondere Wladimir Putin, kurz nachdem er Präsident der Russischen Föderation wurde.
Mit Rob Dannenberg sprach Kristina Thomas