Truppen der Ukraine sind auf russisches Gebiet vorgestoßen – sie könnten dort ein "Faustpfand" für Verhandlungen sichern, sagt Militärexperte Christian Mölling.
Die Ukraine versucht nach Einschätzung des Militärexperten Christian Mölling mit ihrem Vorstoß auf russisches Territorium, ihre Ausgangsposition für mögliche Friedensverhandlungen zu verbessern. Mölling sagte am Freitag im stern-Podcast "Die Lage – international", das Eindringen in die russische Region Kursk habe für die Ukraine einen "enormen positiven Effekt, sowohl auf der kommunikativen als auch der politischen Ebene".
Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik betonte die Signalwirkung der Aktion: Sie zeige der eigenen Bevölkerung, aber auch den Verbündeten die Handlungsfähigkeit der Streitkräfte. Die Ukraine könne dadurch zwar nicht die schwierige Lage an der Front im Donbass verbessern, aber zumindest einen "Moment des Hinguckens" schaffen. Nach Möllings Einschätzung bereitet sich die ukrainische Führung bereits jetzt auf eine Situation vor, in der der Druck steigt, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Dafür könne das jetzt angegriffene russische Gebiet ein "Faustpfand" sein.
Ukrainer stellen sich auf Zwang zu Verhandlungen ein
Der Experte verwies darauf, dass die Unterstützung der USA nicht mehr so sein werde wie im bisherigen Krieg – und zwar unabhängig davon, wer die Präsidentschaftswahlen im November gewinne. Zugleich werde Frankreich durch innenpolitische Auseinandersetzungen gelähmt und in Deutschland täglich der "Nahtod" der Regierungskoalition beschworen. "Die Ukraine sieht, dass die Optionen nicht besser werden", sagte er. Dies trage dazu bei, dass das Land sich auf die Notwendigkeit von Verhandlungen einstellen müsse.
Mölling sah in diesem Zusammenhang auch die Aktivitäten der Ukrainer auf der Krim, wo russisches Leben immer weiter erschwert werde. Die Schwarzmeerflotte sei zurückgedrängt worden, die russischen Marineflieger ebenfalls.
Offensive noch keine Gefahr für Putins Regime
Für das russische Regime von Präsident Wladimir Putin stellt der Vorstoß der Ukrainer in der Region Kursk nach seiner Analyse vorerst keine Gefahr dar. Mölling sagte: "Kritisch wird es für Putin nur, wenn das in den großen Ballungszentren eine Rückwirkung hat." Dies sei aber bislang nicht der Fall. Ob der Krieg im eigenen Land zu einer Welle der Solidarität mit der Regierung in Moskau führe, sei eine offene Frage.
Mölling rechnete nicht damit, dass die Ukrainer den Krieg im Nachbarland mit den gleichen Methoden führen wie die russischen Streitkräfte auf ihrem Territorium. Kriegsverbrechen gebe es zwar auf beiden Seiten, aber anders als bei Russland seien sie bei der Ukraine nicht Teil der Strategie. Zudem würden sie von der Moskauer Führung sofort ausgeschlachtet werden und auch Wirkungen bei den westlichen Verbündeten der Ukraine hinterlassen.