4 months ago

Plötzlich Zünglein an der Waage: Wagenknecht regiert jetzt Deutschland mit



Der Triumph des Bündnis Sahra Wagenknecht ist historisch - und prägt Deutschlands unmittelbare Zukunft. Eine Regierungsbildung ohne die Newcomer-Partei scheint weder in Sachsen noch in Thüringen denkbar. Mit dem BSW aber eigentlich auch nicht. SPD und CDU haben nach diesen Wahlen Probleme zuhauf.

Es ist kein Jahr her, dass Journalisten zur Abwechslung eine Frage von Spitzenpolitikern gestellt bekamen: Kann das wirklich was werden mit dieser neuen Partei von Sahra Wagenknecht? Die Einschätzungen fielen noch unterschiedlich aus. Zu wenig war damals darüber bekannt, was Wagenknecht da im kleinen Kreis enger Vertrauter ausheckte. Der Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen liefert nun Gewissheit: Ja, das kann was werden -und wie! Nie zuvor hat sich in der Bundesrepublik eine neu gegründete Partei derart schnell als Machtfaktor etabliert. Auf Anhieb zweistellig ist das Bündnis Sahra Wagenknecht in beiden Ländern - und damit jeweils drittstärkste Partei.

Das Ergebnis ist nicht nur noch einmal besser als die bundesweit 6,2 Prozent zur Europawahl. Wagenknechts Neugründung bestimmt schlagartig auch über Wohl und Wehe der Bundesrepublik mit. In gleich zwei Flächenländern ist wohl keine stabile Regierungsbildung ohne die Newcomer möglich. In Thüringen bekommt die CDU ohne BSW keine Mehrheit zusammen. Und auch in Sachsen könnte es am Ende des Wahlabends so aussehen, dass Ministerpräsident Michael Kretschmer das BSW zum Tanz mit seiner CDU auffordert.

Und als ob das nicht kompliziert genug wäre: In beiden Ländern müsste die SPD mitmachen. Nicht zuletzt wegen der jeweils starken AfD-Ergebnisse ist eine Mehrheit in Landtagen von Erfurt und Dresden nur mit drei Parteien zu haben. Das BSW aber verlangt CDU und SPD gleichermaßen große Zugeständnisse ab. Die kommenden Landesregierungen sollen sich etwa in Berlin für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine starkmachen, bekräftigten am Sonntagabend unisono Wagenknecht, die sächsische BSW-Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann und ihr Thüringer Pendant Katja Wolf.

SPD und CDU müssen sich Ukraine-Frage neu stellen

Es klang nicht danach, als sollte der geforderte Einsatz für eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine nur eine Papierformel im Koalitionsvertrag der Landesregierungen werden. Das BSW ist nicht zuletzt wegen seiner klaren Positionierung in dieser Frage überhaupt erst so stark geworden in Sachsen und Thüringen. Im Osten ist die Skepsis gegenüber Deutschlands eindeutiger Parteinahme für die Ukraine groß - teils aus Misstrauen in Deutschlands USA- und NATO-Bindung, teils aus Angst vor oder auch Sympathie für Russland. Schwer vorstellbar, dass Wagenknecht nur um der Regierungsbeteiligung willen ihre Ukraine-Forderungen zum bloßen Lippenbekenntnis herunter verhandeln lässt.

Für SPD und CDU ist das aber ein Problem: Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch der CDU-Chef und designierte Kanzlerkandidat Friedrich Merz haben sich einigermaßen eindeutig festgelegt, die Ukraine so lange wie nötig in ihrem Abwehrkrieg gegen Wladimir Putins Invasionstruppen zu unterstützen. Zugleich haben beide Parteien in den Landtagswahlen zu spüren bekommen, wie unpopulär diese Haltung im Osten der Republik ist. Das BSW könne auch einen Besenstiel aufstellen und würde trotzdem gewählt, ätzte ein SPD-Politiker im Sommer über die aktuelle Stimmung im Osten. Das mag stimmen - solange der Besenstiel Waffenlieferungen an Kiew ablehnt.

Wollen also SPD und CDU im Osten notfalls Regierungsbündnisse platzen lassen, gleich zwei Bundesländer der Instabilität ausliefern, nur um eine Ukraine-Politik durchzusetzen, die sie beim Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr erneut Stimmen kosten wird? Das wird eine spannende Frage nach diesem Wahlsonntag und sie dürfte beide Parteien weit über Ostdeutschland hinaus beschäftigen.

Wie hält es die CDU mit der Schuldenbremse?

Für die CDU kommt es gewissermaßen doppelt dick: Einigt sie sich in beiden Ländern mit dem BSW, hat Kretschmer in Sachsen seinen Ministerpräsidenten-Posten verteidigt und die Partei mit Mario Voigt in Thüringen einen weiteren hinzugewonnen. Eigentlich ein Erfolg, zumal wenn die CDU in Sachsen tatsächlich vor der AfD stärkste Kraft bliebe und in Thüringen unter schwierigen Bedingungen zumindest leicht hinzugewonnen hätte. Doch der Preis für die Ministerpräsidenten-Posten wird hoch: Das BSW will zusätzlich auch über eine Reform der Schuldenbremse verhandeln. Diese hat insbesondere Kretschmer in der Vergangenheit mit Verve verteidigt und sein Festhalten an dieser Vorgabe für wiederholte Attacken auf das Ampelbündnis in Berlin genutzt. Soll er da jetzt umfallen?

Wie wird sich Merz dazu verhalten? Der beteuert seit Monaten, eine Entscheidung über die Kanzlerkandidatur der Union werde nach den Ostwahlen gefällt. Ist Merz nach den Brandenburg-Wahlen am 22. September der CDU-Vorsitzende, unter dessen Ägide die Ost-Landtagswahlen erfolgreich bestritten wurden? Oder ist er der Mann, der hilflos zusah, als seine Ostverbände Kernpositionen der Bundespartei aufgaben? Es soll ja Ministerpräsidenten in CDU und CSU geben, die nur auf einen solchen Moment Merz'scher Schwäche warten, um die Frage nach dem geeigneten Kanzlerkandidaten nochmal laut zu stellen.

Ein blaues Auge für die SPD

In der SPD gibt man sich schon lange überzeugt, dass die CDU ihren Widerstand gegen eine Reform der Schuldenbremse aufgeben wird - aber eben erst nach der nächsten Bundestagswahl. Mit der entsprechenden Forderung des BSW haben die Sozialdemokraten daher keine Probleme. Die Lockerung der Schuldenbremse für Investitionen ist überhaupt einer der wenigen Punkte, in denen sich beide Parteien einig sind. Die Debatte über Scholz' Ukraine-Politik muss sie umso mehr fürchten: 2021 ist die SPD im Osten noch stärkste Kraft geworden. Nun drohen den Bundestagsabgeordneten von Rügen bis Zittau reihenweise Mandatsverluste wegen der dort so unpopulären Waffenlieferungen und den Sanktionen gegen Russland.

Das Ergebnis beider Wahlen kommt wortwörtlich einem blauen Auge für die SPD gleich: Blau, weil die Kanzler-Partei sich nicht wegducken kann vor ihrer Verantwortung für das starke AfD-Ergebnis. In Sachsen und Thüringen herrscht ein immenser Frust über die Bundesregierung. Die SPD-geführte Ampel hat es nicht geschafft, das tiefe Misstrauen in den liberalen Rechtsstaat zu schwächen, im Gegenteil. Zugleich ist die SPD der Vollkatastrophe entronnen: In beiden Ländern sind die Sozialdemokraten entgegen ihren Befürchtungen wieder in den Landtag eingezogen und haben nun sogar die Aussicht auf eine - komplizierte - Regierungsbeteiligung.

Ob das aber Bundestagsfraktion und Parteibasis ausreichend beruhigt, um nicht doch noch die Pistorius-Frage zu stellen? Weder Scholz noch der Parteiführung gelingt es bisher, Spekulationen über eine Kanzlerkandidatur von Boris Pistorius statt Scholz zu ersticken. Anzunehmen ist aber, dass die Partei zumindest bis zum 22. September stillhalten wird, wenn Brandenburg über den Amtsverbleib seines SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke entscheidet.

Das Ampel-Aus bleibt auf dem Tisch

Am GAU knapp vorbeigeschlittert sind auch die Grünen: Der Verbleib im Landesparlament ist eine Erleichterung für die in Sachsen weitgehend verhasste Partei. Nicht einmal Kretschmer wollte sie noch im Landtag haben, geschweige denn in seiner eigenen Regierung. Und in Thüringen war der Rausschmiss längst eingepreist: Dort drückte nicht nur die allgemeine Stimmung gegen die Grünen das Wahlergebnis nach unten, sondern auch Querelen um das eigene Personal in der Landesregierung. In der Bundespartei herrscht weitgehend Ratlosigkeit über den Umgang mit ländlich geprägten Gegend im Allgemeinen und mit dem Osten im Speziellen. Dass das dort niemandem auf die Füße fällt, ist Eigenheit einer Partei, die Kritik von außen reflexartig als böswillig abtut.

Und die FDP? Einerseits hatten sich die Liberalen vom Osten ohnehin nichts versprochen. In Sachsen geriet man unter die Räder des Elefantenrennens zwischen AfD und CDU. Mit der Thüringer FDP liegt der Bundesverband seit der Affäre um Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich über Kreuz. Andererseits: Ergebnisse um die 1 Prozent? Das ist nahe an der Bedeutungslosigkeit und das als Regierungspartei im Bund.

Wolfgang Kubicki erklärte noch am Abend; "Das Wahlergebnis zeigt: Die Ampel hat ihre Legitimation verloren. Wenn ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft ihr in dieser Art und Weise die Zustimmung verweigert, muss das Folgen haben." Die Ampel, schrieb Kubicki, "schadet definitiv der Freien Demokratischen Partei".

Nun ist der Vize-Präsident des Bundestags höchstens noch Teil der erweiterten Führungsmannschaft der FDP. Dennoch zeigt seine Einlassung: Das Gespenst vom vorzeitigen Ampel-Aus spukt nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen weiter durch Berlin. Sahra Wagenknecht und die von ihr eng geführten Landesparteien dürften diese Möglichkeit im Hinterkopf haben, wenn sie demnächst Einladungen zu Sondierungsgesprächen erhalten.

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