Die Grünen sind erschüttert: Wahldebakel, Regierungskrise, Führungskollaps, Jugendflucht. Robert Habeck sortiert die Partei neu. Manche beschimpfen ihn bereits als "Putschisten" und "Rechtsruck-Robert". Doch Habecks Kretschmannisierung könnte die Grünen in eine Regierung mit Friedrich Merz führen.
Der Umsturz bei den Grünen kennt viele Verlierer, aber nur einen großen Gewinner: Robert Habeck. Gleich reihenweise sind seine innerparteilichen Kritiker zurückgetreten. Oder vom Wähler zurückgetreten worden. Dafür wird er nun alleiniger Spitzenkandidat, seine Vertraute und Staatssekretärin Franziska Brantner installiert er als Parteivorsitzende. Sven Giegold, ebenfalls Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium, soll "Politischer Geschäftsführer" der Grünen werden. Fehlt nur noch, dass sein Staatssekretär Michael Kellner als offizieller Kronen-Putzer der Grünen für Robert Habeck bestellt wird. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nennt den Umsturz "einen kleinen Putsch", der Spiegel schreibt von einem großen "Coup". Mehrere Leitartikler unken, dass aus den Grünen nun ein personenkultiges "BRH " werde - ein "Bündnis Robert Habeck", ganz wie die Wagenknecht-Partei.
Tatsächlich wird der Habeck-Streich nicht nur Gesichter austauschen, er könnte die Grünen neu positionieren. Statt links-woke-klimaradikal soll die Partei mittiger, bürgerlicher, wirtschaftsfreundlicher werden. Schon kommen aus dem Realo-Flügel der Partei laute Markierungen, wo die Reise hingeht. Cem Özdemir fordert in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erneute Verschärfungen in der Asylpolitik und argumentierte damit, dass seine Tochter häufig von Ausländern belästigt werde.
Abrechnung mit den Partei-Linken
Winfried Kretschmann beklagt im Gespräch mit der "Zeit", dass bei Linken immer dieser schreckliche "gesinnungsethische Überschuss" herrsche, der "in Bekenntnissen" lande, man wolle immer "recht haben". In einer Demokratie brauche es aber Pragmatismus und Mehrheiten. Kretschmann sagte, er habe sich schon lange von der "ganzen linken Denke" verabschiedet - und empfiehlt diese Schritt nun auch allen anderen Grünen. Selbst Boris Palmer kommt aus der Deckung, wittert Morgenluft und lobt die Rücktritte als eine "gute Entwicklung". Für den Klimaschutz müsse man mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, anstatt sie zu bekämpfen.
Die Medienresonanz zum Grünen-Umbruch ist reichlich negativ. Die politische Konkurrenz überbietet sich gar in hämischen Kommentaren. Doch die könnten verfrüht sein, denn die Habeck-Halse hat bessere Chancen als man derzeit denkt.
Strategisch ist die mittige Positionierung mit bürgerlich-seriösen Gesichtern für die Grünen die richtige Entscheidung. Jahrelang blieb die Partei mit den linkslastigen Jürgen Trittins, Hans-Christian Ströbeles, Renate Kühnerts, Claudia Roths gefangen im Akzeptanz-Miniraum von 6 bis 9 Prozent. 2013 erreichten die Grünen 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl, 2017 kaum bessere 8,9 Prozent. Erst als die Realos die Oberhand gewannen und mit Annalena Baerbock wie Robert Habeck bürgerlich anschlussfähige Kandidaten präsentierten, öffnete sich das Tor zur Volksparteiengröße.
Deutschland ist nicht links
Hierzulande werden nicht nur Mehrheiten in der Mitte gewonnen, sondern auch Vertrauen. Deutschland ist - was im öffentlichen Diskurs gerne übersehen wird - in seiner breiten Wählerschaft zutiefst geprägt von einem links-skeptischen Instinkt. Es hat einen kulturellen Grund, warum alleine die CSU in nur einem Bundesland mehr Mitglieder hat als die Grünen in allen 16 zusammen. Von den 75 Jahren Bundesrepublik hat die CDU mehr als 50 Jahre regiert, selbst moderate Sozialdemokraten kamen nur an die Macht, wenn ihre Kanzlerkandidaten sich wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder pointiert nicht-links präsentiert haben. Bausparen ist einfach beliebter als Gendern.
In Zeiten, in denen neben Deutschland auch fast alle anderen westlichen Länder einen weiträumigen Rechtsruck erleben, sprechen linke Positionen nur eine kleine Minderheit an. Habeck liegt also mit seiner Trendwende mitten im Zeitgeist. Seine Chance liegt darin, dass er die sozial-liberalen Wähler der implodierenden FDP ebenso an sich binden könnte wie ehemalige Merkel-Wähler der CDU. Wahlforscher beziffern das grundsätzliche Wähler-Potenzial der Grünen auf bis zu 30 Prozent, falls sich die Partei als eine Volkspartei der Mitte glaubwürdig positionieren könnte.
Wenn Habeck seine Partei jetzt neu justiert, dann hat er den Vorteil, dass er für die Bundestagswahl 2025 schon frühzeitig in neuer Formation starten kann. Und Habeck kann auch angeschlagen noch Sympathiepunkte sammeln, glänzend reden - und ist als guter Wahlkämpfer bekannt. Es gibt gleichwohl zwei große Probleme, die gegen das große Grünen-Comeback sprechen.
Basis und Milieu fremdeln mit Habeck und seinem Kurs
Erstens ist der ausgebootete linke Flügel der Partei völlig demobilisiert. Den Grünen ist nicht nur der komplette Vorstand und die Führung der Grünen Jugend abhandengekommen. Auch das Wählerspektrum der öko-sozialistisch Denkenden ist abgängig. Die Grünen haben durch ihre Ukraine-Politik bereits den pazifistischen Flügel verloren. Sie sind durch ihre Staats-Strenge in der Corona-Zeit dem herrschaftskritischen, den anarchistisch-liberalen Flügel ebenfalls fremd geworden. Wenn sie nun auch noch das links-woke-multikulturelle Milieu der Großstädte verprellen, dann wird es schwierig mit guten Wahlergebnissen.
Der Absturz der Grünen in der Wählergunst ist ohnedies dramatisch. 2022 erreichten die Grünen Zustimmungswerte von 24 bis 26 Prozent. Im Frühjahr vor der Bundestagswahl kratzten sie gar an der 30-Prozent-Marke. Jetzt nähern sie sich der Einstelligkeit. Jeder zweite potenzielle Wähler hat sich bereits abgewandt. Das Kernmilieu aber will sich gerade für Robert Habeck nicht neu ins Zeug legen. Der Wirtschaftsminister wird derzeit nirgends schärfer kritisiert als just in den Teeküchen des Prenzlauer Bergs, des Frankfurter Nordends oder in Freiburg Studentenkneipen. Dort wird über den "Rechtsruck-Robert", seinen "Ego-Trip", den "Verrat der Ideale" hergezogen und über die "BorisPalmerisierung der Grünen" geunkt. Habeck hat die innerparteiliche Macht zwar gewonnen, aber an echtem Rückhalt enorm verloren.
Vom "Wärmepumpen-" zum "Luftpumpenminister"
Das zweite Problem Habecks besteht in seinem persönlichen Image. Der Niedergang der Grünen der letzten eineinhalb Jahre hat weniger mit dem tapferen Rücktritts-Duo Lang/Nouripour zu tun, als just mit dem Vizekanzler und Wirtschaftsminister in der katastrophalen Ampelregierung. Vor zweieinhalb Jahren war Robert Habeck Deutschlands beliebtester Politiker. Habeck wuchs in die Rolle des gefühlten Kanzlerkandidaten, Scholz wirkte schon schwach und Merz noch nicht so stark. "Habeck 2025" klang für viele wie eine Verheißung.
Heute hat sich das Bild genau umgekehrt. Sich als Kanzlerkandidat zu positionieren, würde derzeit geradezu lächerlich wirken. Dazu hat Habeck im Ministeramt zu viele grobe handwerkliche Fehler gemacht. Von der grotesk gescheiterten Gasumlage über den Graichen-Vetternwirtschafts-Skandal bis zu den unausgegorenen Heizungsverboten reicht die Kette von Fehlern im Wirtschaftsministerium. Es fehlte Habeck, als Philosoph selbst eher fachfremd, schlicht an ökonomischem Sachverstand - und die ganze Republik hat es gemerkt. Wenn man in Gasthäusern von Garmisch bis Flensburg nur das Wort "Heizungsgesetz" ausspricht, dann wird es zuweilen schwer, noch ein zweites Bierchen zu bekommen. Das Image des "Wärmepumpen-Minister" hat sich tief eingebrannt, sodass jeder Wahlkampf zur Mobilisierung der wirtschaftenden Mitte schwierig wird.
Schwarz-Grün in Reichweite
Wahrscheinlich kommt Habecks Griff nach der grünen Macht einfach vier Jahre zu spät. 2020/21 hatten die Grünen eine historische Gelegenheit, sich als neue Volkspartei der linken Mitte gegen eine arg schwächelnde SPD durchzusetzen. Die Resonanzböden der Partei waren zeitgeistig randvoll, die grünen Klimathemen dominierten den öffentlichen Diskurs. Das damals neue Spitzenpersonal wirkte geradezu cool. Doch musste Habeck der nicht minder ehrgeizigen Annalena Baerbock den Vortritt zur Kandidatur lassen. Die vermasselte den Wahlkampf gründlich und damit die historische Chance der Grünen. Er selbst sprach im Sommer von einem Elfmeter zum Sieg, den Baerbock vermasselt habe.
Heute könnte ein Comeback im besten Fall noch dazu reichen, sich in eine neue Koalition mit einem Kanzler Merz zu retten. Dafür freilich könnte die Habeck-Halse noch hilfreich sein. 33 bis 35 Prozent für die Union und 12 bis 15 Prozent für die Grünen würden reichen für die erste schwarz-grüne Koalition Deutschlands. Und die wäre, wenn Habeck die Kretschmannisierung seiner Partei wirklich durchsetzt, dann durchaus bürgerlich.