Knapp ein Drittel der Menschen in Sachsen und Thüringen will bei den Wahlen am 1. September die AfD wählen. Warum das so ist, darauf gibt eine große Umfrage Hinweise. Die zeigt die größten Sorgen und Probleme auf. Migration ist nur eines davon.
Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September sind auch ein Moment der Wahrheit für ganz Deutschland: Wird die AfD erstmals stärkste Kraft in einem oder vielleicht sogar zwei Bundesländern? Die Umfragewerte der Rechtspopulisten sind seit Monaten stabil, unheimlich stabil. Dafür gibt es viele Erklärungsversuche von Soziologen, Ökonomen oder auch Historikern. Doch was sagen die Menschen selbst? Forsa hat für RTL/ntv und den "Stern" nachgefragt und die Sorgen und Probleme vermessen, die die Menschen in beiden Bundesländern beschäftigen.
Forsa unterscheidet dabei zwischen "Sorgen" und "Problemen" - die Ergebnisse sind nicht deckungsgleich. Bei den "größten Problemen" wurden "Zuwanderung, Ausländer" am häufigsten genannt. Am zweithäufigsten wurde in Sachsen "Rechtsextremismus, AfD" auf die Frage nach den größten Problemen geantwortet (36 Prozent). In der AfD-Hochburg Thüringen war das anders: Dort gaben nur 17 Prozent an, dass "Rechtsextremismus, AfD" ein Problem sei.
Unter den meistgenannten Problemen sind außerdem die "ökonomische Lage", "Preissteigerungen" und "Fachkräftemangel". Auch die Bildungs- und Schulpolitik, ein typisches Landesthema, ist oben mit dabei (Sachsen: 26 Prozent, Thüringen 31 Prozent). In Thüringen ist auch der allgemeine Unmut über "Politiker, Parteien" deutlich größer. 29 Prozent nannten diese Begriffe, in Sachsen waren es 20.
Schaut man nach den "größten Problemen" auf die "größten Sorgen" tauchen noch ganz andere Themen in den Top-5 auf. Ganz oben steht dort in Thüringen der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Darauf folgt schon die "Politik der Bundesregierung" sowie "Kriminalität und Gewalt". Auffällig dabei: Die Werte der AfD-Anhänger weichen von denen anderer Parteien besonders deutlich ab. In der Tendenz gilt das auch für Wähler des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
So sind so gut wie alle AfD-Anhänger unzufrieden mit der Bundesregierung, beim BSW sind es immerhin 81 Prozent. Bei den anderen Parteien sind die Werte deutlich geringer, bei den Grünen-Sympathisanten sogar einstellig. Umgekehrt ist es beim Ukraine-Krieg: Zwei Drittel bis drei Viertel der Wähler aller Parteien außer der AfD bereitet der Krieg die größte Sorge. Bei der AfD sind es hingegen nur gut die Hälfte. Das spiegelt sich im Kurs der AfD-Führung, die im Vorgehen Russlands keine Gefahr für den Frieden Europas sieht und wieder russisches Öl importieren will, statt der Ukraine Waffen zu liefern.
In Thüringen ist der Krieg gegen die Ukraine die größte Sorge, in Sachsen steht er nur an vierter Stelle. Ganz oben rangiert dort das Thema Kriminalität, gefolgt von der Politik der Bundesregierung und den Preissteigerungen sowie "Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern". Auch in Sachsen zeigt sich: Bei all diesen Themen sind die Anhänger der AfD besonders unzufrieden. Geht es um Zuwanderung und Bundesregierung, sind es sogar 90 Prozent oder mehr. Auch in Sachsen bereitet den AfD-Anhängern der Ukraine-Krieg deutlich geringere Sorgen als den Wählern anderer Parteien. Bei BSW-Anhängern ist die Tendenz ähnlich, doch weniger ausgeprägt.
Die Umfrage zeigt deutlich, wie sehr der Krieg gegen die Ukraine die Menschen beschäftigt. Unterm Strich lehnt eine absolute Mehrheit den Kurs der Bundesregierung ab. Jeweils 57 Prozent in Thüringen und Sachsen würden die Hilfe für das angegriffene Land reduzieren. Doch dabei sind die Anhänger von AfD und BSW ganz klar die treibenden Kräfte. Neun von zehn AfD-Wählern in Thüringen und Sachsen würden die Hilfen zurückfahren. Beim BSW sieht es ähnlich aus - wobei die Werte für Sachsen etwas schwächer ausfallen.
In der Anhängerschaft der anderen Parteien ist das Bild bei Weitem nicht so eindeutig. Bei SPD, Grünen und auch der Linken gibt es klare Rückendeckung für den Ukraine-Beistand. Viele wären sogar dafür, die Hilfen noch auszuweiten. Für die CDU gilt das nur mit Abstrichen: Jeweils rund ein Drittel der Unionswähler in Sachsen und Thüringen will weniger Hilfe.
So sehr die Menschen die Ukraine beschäftigt, so wissen sie, dass über Weltpolitik nicht im Thüringer Landtag entschieden wird, wie es auch der Thüringer CDU-Kandidat Voigt im Interview mit ntv.de sagte. Das zeigt sich an den Erwartungen an die Landesregierungen. Auf Platz eins liegt in beiden Bundesländern eine gute Bildungspolitik, auf Platz zwei die Bekämpfung von Kriminalität. Beides also Themen, für die Landesregierungen tatsächlich zuständig sind.
Preissteigerung, Energiekosten, Fachkräftemangel - die abgefragten Sorgen und Probleme deuten schon auf die wirtschaftlichen Probleme hin. Auch danach hat Forsa konkret gefragt - mit eindeutigem Ergebnis. Bei den wirtschaftlichen Erwartungen dominiert der Pessimismus. Zwei Drittel der Befragten in beiden Bundesländern gehen von einer Verschlechterung der Lage aus.
Tiefschwarz sehen die Anhänger der AfD und mit Abstrichen auch jene des BSW in die Zukunft. Laut Forsa erwarten in Thüringen null Prozent, in Sachsen ein Prozent der AfD-Wähler eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in ganz Deutschland. Für die jeweiligen Bundesländer fallen die Einschätzungen kaum besser aus. Auffällig dabei: Jeweils rund zwei Drittel der Befragten beurteilt die eigene finanzielle Lage positiv. Selbst unter AfD-Anhängern sind es noch jeweils 50 Prozent.
Die Umfrage zeigt außerdem: Für die Wähler von Linke, Grüne, SPD und auch CDU hätte eine Zusammenarbeit mit der AfD in einer Regierungskoalition keinerlei Reiz. Jeweils deutliche absolute Mehrheiten gehen in dem Fall von einer Verschlechterung aus. Von den Anhängern des BSW glaubt ebenfalls eine Mehrheit, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD die Lage nicht verbessern würde. Diese Mehrheit ist aber nur relativ und damit deutlich geringer als bei den anderen Parteien.
Fazit: Der starke Zuspruch für die in beiden Ländern als rechtsextremistisch eingestufte AfD und das programmatisch weitgehend unbeschriebene Blatt BSW speist sich aus einer großen Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler. Beide Parteien bestätigen wiederum die Menschen in ihrem pessimistischen Bild der Lage. Einlassungen, 'die Ostdeutschen' seien nie in der Demokratie angekommen, bestätigt die Forsa-Umfrage nicht. Nur ein relativ kleiner Teil der Befragten ist klar gegen das politische System eingestellt. Und gerade das Drittel der AfD-Wähler, die vor allem Protest motiviert, könnte noch angesprochen werden. Dafür bleibt den anderen Parteien noch eine Woche Zeit.