Bei den meisten ist es wahrscheinlich schon in Vergessenheit geraten: 2023 hat die Ampel-Regierung ein neues Wahlrecht beschlossen, das in wenigen Monaten erstmals angewendet wird. Wer taktisch wählen möchte, sollte sich das vorher genau überlegen.
Das Wichtigste zuerst: Bei der kommenden Bundestagswahl werden Wähler wieder nur zwei Kreuze machen. Die Erststimme für den Wahlkreisabgeordneten, die Zweitstimme für die Landesliste der Partei. Beides wie gehabt. Doch trotzdem wird nicht alles beim Alten sein.
Die Ampelkoalition hat 2023 eine umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen, die das Bundesverfassungsgericht später teilweise gekippt hat. Einige wichtige Punkte wurden aber beibehalten. Die größte Neuerung: Die Zweitstimme ist noch bedeutender als vorher, was leicht zulasten der Erststimme geht.
Wahlkreissieg reicht nicht immer für Bundestagseinzug
Bislang galt: Wer die meisten Erststimmen bekommt, ist Wahlkreissieger und hat ein Direktmandat. Er sitzt also im Bundestag. Doch diese Garantie gibt es jetzt nicht mehr.
Parteien können nämlich ab der Bundestagswahl 2025 nur so viele Abgeordnete ins Parlament schicken, wie es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Eine Partei, die besonders viele Wahlkreissieger in einem Bundesland über die Erststimmen gewonnen hat, kann also möglicherweise nicht mehr alle von ihnen in den Bundestag schicken - weil der Partei so viele Abgeordnete über das Zweitstimmenergebnis gar nicht zustehen.
In einem solchen Fall wird von unten gekürzt. Die Wahlkreissieger mit den schlechtesten Ergebnissen kommen nicht in den Bundestag. Somit wären manche Wahlkreise nicht im Bundestag vertreten.
Für Wähler bedeutet die Änderung: Sie sollten noch mehr als ohnehin schon darauf achten, wem sie ihre Zweitstimme geben. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, der wählt mit der Zweitstimme auf jeden Fall seine favorisierte Partei.
Taktisches Wählen wird riskanter
Manche haben bislang gerne taktisch gewählt. Sie wählten nicht mit Erst- und Zweitstimme ihre favorisierte Partei, sondern gaben eine Stimme ihrer zweiten Lieblingspartei, um diese ebenfalls zu unterstützen.
Ein Beispiel von der Bundestagswahl 2021: Ein CDU-Wähler wollte bei einem knappen Rennen im Wahlkreis mit seiner Erststimme dem CDU-Kandidaten zu einem Sieg und damit verbundenen Bundestagseinzug verhelfen - und so verhindern, dass das Direktmandat beispielsweise an die SPD geht. Mit der Zweitstimme wählte der CDU-Wähler zudem die FDP, weil er wollte, dass sie im Bundestag stark vertreten ist.
Was nun 2025 anders ist: Der Sieg bei den Erststimmen reicht für einen Wahlkreiskandidaten nicht mehr unbedingt aus, um ihm einen Sitz im Bundestag zu garantieren. Denn wie viele Abgeordnete einer Partei in den Bundestag einziehen, wird jetzt nur noch über die Zweitstimmen bestimmt. Wenn jetzt aber viele CDU-Anhänger die FDP mit der Zweitstimme wählen, kann dies dazu führen, dass die CDU nicht genügend Zweitstimmen bekommt, um ihre Wahlkreissieger in den Bundestag zu bringen. Das könnte den Christdemokraten letztlich schaden.
Für die Liberalen könnte das bei der kommenden Bundestagswahl bedeuten, dass sie weniger von Leihstimmen profitieren, da CDU-Wähler jetzt stärker darauf achten müssen, die Union mit ihrer Zweitstimme zu unterstützen, um ihre Direktkandidaten abzusichern. Das Beispiel lässt sich auch auf SPD- und Grünen-Wähler projizieren, die gerne die Linkspartei unterstützen möchten.
Bundestag kleiner, Grundmandatsklausel bleibt
Hintergrund der neuen Regelung, die Zweitstimmendeckung genannt wird, ist, dass der Bundestag von bisher 733 Abgeordneten auf 630 gedeckelt wird. Es gibt keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr.
Die Ampelkoalition wollte zudem auch die sogenannte Grundmandatsklausel abschaffen. Sie besagt, dass Parteien, die drei Direktmandate gewinnen, auch in den Bundestag einziehen, wenn sie an der 5-Prozent-Klausel scheitern. Eine Regelung, die vor allem für Linkspartei und FDP wichtig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abschaffung jedoch gekippt.