Die Bahn macht was sie will und die Politik schaut zu. Verkehrsminister Wissing wollte eingreifen, doch ein Papier des Rechnungshofs zeigt, wie ihn Bahn-Chef Lutz ausgespielt hat
Gutachten des Bundesrechnungshofs können quälend sein. Dann, wenn sie anfangen kleinlich zu rechnen, statt die großen Verschwendungen zu rügen. Doch das jüngste Gutachten der obersten Haushaltsprüfer ist ein Page-Turner. Es geht um die Bahn und den Bund, um Macht und Abhängigkeit und wie es die Bahn geschafft hat, ihren Eigentümer völlig einzulullen. Ein feines Lehrstück darüber, wie der vermeintlich Schwächere den Stärkeren bezwingt und das zur großen Geldverschleuderung führt. So jedenfalls sehen es die Rechnungsprüfer. Und sie haben dafür viele, viele Beispiele. Auf 33 Seiten beschreiben die Gutachter, warum die DB heute ihren Eigentümer, den Bund, steuert und nicht umgekehrt. Schuld daran hat aus ihrer Sicht vor allem einer: Bundesverkehrsminister Volker Wissing.
Als der FDP-Mann 2021 überraschend das Amt des Bundesverkehrsministers übernahm, dachten viele noch, dass die Bahn nun ihre Allmacht über die Infrastruktur verliert und der Liberale ernst macht mit einem Umbau des Staatkonzerns. Nach Jahrzehnten minder interessierter oder begabter CSU-Verkehrsminister erschien Wissing als Lichtfigur, der sich ernsthaft für die Bahn einsetzen, es aber auch mit ihr aufnehmen wollte. So kündigte Wissing im Juni 2022 an, sich stärker einzumischen und die Sanierung der Bahn zu kontrollieren, dafür wurde unter anderem eine "Steuerungsgruppe Transformation DB AG" eingerichtet.
Schienennetz gar nicht so marode
Doch statt stärker reinzugrätschen, lässt er sich umgarnen. Bahnchef Richard Lutz gab den reuigen Sünder, hämmerte dem Minister aber auch ein, dass die Infrastruktur vor allem deshalb so mies sei, weil die Bahn stets zu wenig Geld für ihr Schienennetz bekommen habe. Allerdings stimmte schon in dieser Erzählung vieles nicht, merkwürdig vor allem, dass bis 2022 das Netz sich im tadellosen Zustand befunden haben soll, amtlich bescheinigt vom Eisenbahnbundesamt. Aber das ist noch eine andere Geschichte. Lutz jedenfalls schaffte, was viele nicht für möglich gehalten hatten. Er blieb der Bahnchef.
Was folgte, war eine Bahnreform light. Die DB gründete eine neue Tochterfirma namens DB Infrago. Darin gebündelt: Schienennetz und die Bahnhöfe. Kaum noch ist die Rede von Doppelstrukturen, zu großem Wasserkopf und Managementfehlern. Stattdessen eine neue Hülle mit altem Kern, bei der die DB weiter auf der Kommandobrücke steht und die Politik winkend am Rand.
Bahn-Tochter Infrago von Bahn kontrolliert, der Bund schaut zu
Wie das möglich ist, wo doch der Bund Milliarden gibt und ihm der Laden vollständig gehört, rekonstruiert der Bericht. Zehn der 20 Mandate hatte der Bund im Aufsichtsrat der DB Infrago AG für sich gefordert. Eine "Bundesbank [, die] nicht mehr überstimmt werden kann“, war das Ziel, heißt es dort. Die DB AG "hat dies jedoch nicht zugelassen", zitieren die Prüfer aus einer Stellungnahme des Verkehrsministeriums. Und siehe da: Der Bund erhält lediglich fünf von 20 Mandaten.
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Gekämpft hat der Bund auch um den Posten des Aufsichtsratsvorsitz der DB Infrago AG, ein wichtiges Instrument für die Steuerung. Doch die DB AG pochte darauf, dass sie den Posten bekommt. Es folgte ein Spitzengespräch zwischen Lutz und Wissing – und Berthold Huber, der DB-Konzernvorstand für Infrastruktur hatte den Job in Doppelfunktion. Dennoch sei das die "größte Bahnreform seit 1994", urteilt Minister Wissing unverdrossen und bewertet seine Rolle so: "Ich glaube, enger wurde die Bahn in der Infrastruktur noch nie geführt".
Erbärmliches Spiel
All das ist keine Enthüllung, doch in der Zusammenschau erbärmlich. Gerne wüsste man, wie Lutz – deutscher Jugendmeister im Schach – Wissing schachmatt gesetzt hat und warum Wissing so wenig auf seine eigenen Leute hört. Darum geht es in vielen Stellen im Bericht. So habe etwa die "die Arbeitsebene des BMDV früh das Interesse der DB AG" erkannt, schreiben die Rechnungsprüfer. Der Konzern habe das "Ziel, mehr Bundesgeld mit weniger Kontrolle zu erlangen". Trotzdem gelang dem BMDV nicht, "die Interessen des Bundes wie gewünscht zu stärken".
Ein Beispiel dafür ist auch die Umstellung der Finanzierung von Zuschüssen auf Eigenmittel, wodurch die Politik die Macht noch weiter aus der Hand gibt. Für die Rechungsprüfer ist all das "nicht akzeptabel". Es begründe Zweifel, ob das BMDV und die DB AG derzeit angemessen aufgestellt seien.
Zur Ehrenrettung Wissings aber soll angemerkt sein, dass er gescheitert ist an dem, was seine Vorgänger im Ministerium gar nicht erst versucht haben.