1 week ago

Neue Spitze vor Bundestagswahl: Grünen gelingt bemerkenswerte Staffelübergabe



Franziska Brantner und Felix Banaszak führen künftig die Grünen an. Die Wahl des neuen Bundesparteivorstands geht erstaunlich geräuschlos über die Parteitagsbühne. Das ist keine Selbstverständlichkeit - und aus Sicht der Grünen ein Hoffnungsschimmer in schwieriger Lage.

Zustimmungswerte im Keller, die eigene Regierung mit lautem Knall geplatzt, eine vorgezogene Bundestagswahl binnen weniger Wochen: In dieser Lage mussten sich die Grünen auf ihrem Bundesparteitag in Wiesbaden auf eine neue Führungsmannschaft verständigen. Diese Situation ist eigentlich gemacht für Streit auf offener Bühne, für persönliche Abrechnungen und Machtkämpfe - sprich: für ganz großen Krach. So wäre es in jeder Partei zu erwarten gewesen, erst recht bei den Grünen. Denen hängt aus ihren ersten Jahrzehnten das Image nach, eine streitlustige Truppe mit Hang zum Chaos zu sein. Doch auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden war das Gegenteil zu beobachten: Die Partei hat einen neuen Bundesvorstand mit starken bis überragenden Ergebnissen gewählt.

Der bisherige Vorstand um Ricarda Lang und Omid Nouripour ist im Herbst aus Ratlosigkeit darüber zurückgetreten, wie das grüne Projekt wieder in die Spur kommt. Den neuen Vorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak bleibt keine Zeit, allzu lange über Tiefenanalysen vergangener Fehler zu brüten. Sie müssen schnellstmöglich den Bundestagswahlkampf aufs Gleis setzen. Mit den Worten ihres designierten Kanzlerkandidaten Robert Habeck: Sie müssen jetzt einfach mal loslaufen. Das Gute aus Grünen-Sicht: Schlimmer als die derzeit noch knapp zweistelligen Umfragewerte kann das Wahlergebnis am 23. Februar kaum werden. Sehr wohl möglich ist aber, dass es bei diesen Zustimmungswerten bleibt und die Grünen sich künftig womöglich hinter Union, SPD, AfD und BSW anstellen müssen.

Erfahrene Brantner, eloquenter Banaszak

Nun haben die Realos mit der erfahrenen, intelligenten und immens fleißigen Brantner sichergestellt, dass der Kanzlerkandidat eine enge Vertraute in der Parteiführung weiß. Der mit 93 Prozent gewählte Banaszak wiederum ist tatsächlich das frische Gesicht, das sich viele vom Führungswechsel erhofft haben: jung, enthusiastisch und eloquent. Banaszak ist eine logische Nachfolge für Ricarda Lang, die nach drei Jahren überzogener bis widerwärtiger Kritik in den sozialen Medien, Erschöpfungserscheinungen zeigte.

Das gewählte Team aus Vorsitzenden, Stellvertretern, Geschäftsführerin und Schatzmeisterin ist exakt jenes, das in den vergangenen Wochen hinter den Kulissen ausverhandelt wurde. Keinem Gegenkandidaten ist auch nur ein Achtungserfolg gelungen. Dem war ein hakeliger Prozess vorausgegangen: Linke und Realos, Frauen und Männer galt es gleichermaßen zu repräsentieren. Rein westdeutsch und ohne Migrationshintergrund sollte der sechsköpfige Vorstand auch nicht sein. Die Aushandlungen verliefen nicht schmerzfrei, aber ohne öffentliche persönliche Verletzungen. Das ist nicht selbstverständlich. Die Öffentlichkeit unterschätzt oft, dass mit Kandidaturen auch immer große persönliche Lebensentscheidungen zusammenhängen.

Dieser neue Vorstand täte gut daran, der auf dem Parteitag geäußerten Kritik der eigenen Basis zu lauschen: Weniger Selbstzufriedenheit über die eigene moralische Überlegenheit, weniger Dünnhäutigkeit bei Kritik von außen, mehr Fokus auf die eigenen politischen Ziele statt sich ständig an Stimmungen und Äußerungen der Konkurrenz auszurichten. Auch Lang gab zum Abschied ihrer Partei mit, künftig ehrlicher mit sich selbst zu sein. Sie habe oft nach Interviews gedacht: "Ich glaube mir doch die Hälfte von dem, was ich gerade erzählt habe, selbst nicht", bekannte Lang. Ein deutlicher Appell, wahrhaftig zu bleiben, auch wenn es Mut braucht. Und Lang ermahnte ihre Partei, dass nicht die Billigfleisch-Konsumenten die Gegner sind - sondern die Zwänge hinter derartigen Kaufentscheidungen. Fließen diese Ratschläge in die künftige Vorstandsarbeit ein, kann es für die Grünen auch wieder nach oben gehen. Eine Partei, die sich unter denkbar großem Druck nicht zerlegt hat, hat in jedem Fall die Kraft dazu.

Adblock test (Why?)

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2024. All rights are reserved