Experten aus den USA wollen auf Satellitenbildern Startrampen für Russlands neuen Marschflugkörper Burewestnik identifiziert haben. Die neue Rakete soll mit herkömmlichen Flugabwehrsystemen nicht abzufangen sein. Der genaue Entwicklungsstand der Waffe ist allerdings unklar.
Zwei US-Forscher wollen einem Bericht zufolge in Russland einen wahrscheinlichen Startplatz des neuen nuklearbetriebenen Marschflugkörpers Burewestnik (NATO-Name SSC-X-9 Skyfall) ausgemacht haben. Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, identifizierten Decker Eveleth, Analyst am Forschungszentrum Center for Naval Analyses (CNA) und Jeffery Lewis, Nuklearexperte am Middlebury Institute of International Studies (MIIS), auf Satellitenbildern des Unternehmens Planet Labs vom 27. August ein Bauprojekt bei einem Lager für nukleare Sprengköpfe, das unter den Namen Wologoda-20 und Tschebsara bekannt ist. Die Anlage liegt etwa 475 Kilometer nördlich von Moskau.
Demnach sollen auf den Aufnahmen neun horizontale Startrampen zu erkennen sein, die sich nach Einschätzung von Eveleth noch im Bau befinden. Die mutmaßlichen Rampen sind in drei Gruppen innerhalb hoher Wälle angeordnet, um sie vor Angriffen zu schützen und zu verhindern, dass eine versehentliche Explosion eine Kettenreaktion auslöst. Die Wälle sind durch Straßen mit Gebäuden verbunden, in denen laut Eveleth Raketen und ihre Komponenten gewartet werden könnten.
Der Standort ist "für ein großes, stationäres Raketensystem vorgesehen, und das einzige große, stationäre Raketensystem, das sie (Russland) derzeit entwickeln, ist Skyfall", sagte Eveleth laut Reuters. Lewis, der die Satellitenaufnahmen auf Bitte von Eveleth überprüfte, stimmte der Aussage seines Kollegen zu. Die Bilder "deuten auf etwas sehr Einzigartiges, sehr Außergewöhnliches hin. Und natürlich wissen wir, dass Russland diese nuklearbetriebene Rakete entwickelt", so Lewis.
Russland will Atomdoktrin überarbeiten
Hans Kristensen von der Federation of American Scientists (FAS) sagte, dass die Bilder Startrampen und andere Merkmale zu zeigen scheinen, die "möglicherweise" mit der Burewestnik in Verbindung stehen. Er sagte jedoch, er könne keine endgültige Bewertung vornehmen, da Moskau normalerweise keine Raketenabschussrampen neben Lagern für nukleare Sprengköpfe errichtet.
Sowohl Eveleth als auch Lewis und Kristensen erklärten Reuters zufolge, dass Moskau seine nuklearen Sprengköpfe für landgestützte Raketen normalerweise weit entfernt von den Abschussrampen lagert - mit Ausnahme derjenigen, die für Russlands Interkontinentalraketen bestimmt sind. Die Stationierung der Burewestnik in den Bunkern von Wologoda-20 würde es dem russischen Militär ermöglichen, die Raketen innerhalb kurzer Zeit abschussbereit zu machen, sagten Lewis und Eveleth. Erst am Sonntag hatte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow gesagt, sein Land werde aufgrund der "vom Westen ausgehenden Eskalation des Krieges in der Ukraine" die Richtlinien zum Einsatz von Atomwaffen überarbeiten.
Kreml bezeichnet Burewestnik als Wunderwaffe
Die Burewestnik (zu Deutsch: "Sturmvogel") wurde erstmals 2018 in einer Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt. Der Kreml-Chef behauptete damals, dass der Westen keine Abwehrmöglichkeiten gegen die Waffe habe. Sie könne im Tiefflug aus unterschiedlichsten Richtungen ihr Ziel ansteuern und damit Flugabwehrsystemen ausweichen.
Der Marschflugkörper soll zehn Meter lang und fünf bis sechs Tonnen schwer sein und mit einem Atomsprengkopf ausgestattet werden können. Experten vermuten, dass ein kleiner, luftgekühlter Atomreaktor zum Antrieb genutzt wird, wodurch die Reichweite mehr als 25.000 Kilometer betragen soll.
Der Kreml bezeichnet die Rakete auch gerne als Wunderwaffe. Bisherige Feldversuche scheinen allerdings nicht von großem Erfolg gekrönt gewesen zu sein. Im August 2019 führte ein offenbar schief gelaufener Probelauf im Nordwesten Russlands zu einer schweren Explosion. Mehrere Menschen kamen damals bei dem Unglück auf einem Militärstützpunkt am Weißen Meer ums Leben. Zeitweise wurden in der Region erhöhte Strahlenwerte gemessen.
Im vergangenen Oktober behauptete Putin, die Burewestnik sei einem "letzten erfolgreichen Test" unterzogen worden. Weitere Details nannte er damals nicht. Westliche Fachkreise äußern Zweifel an dem Konzept der Waffe. In den 60er Jahren verfolgten die USA unter dem Namen "Pluto" ein ähnliches Projekt. Nach sechseinhalb Jahren wurden die Forschungen 1964 allerdings eingestellt. Der Raketenexperte Markus Schiller sagte 2022 gegenüber der "Welt", dass selbst ein erfolgreicher Test der Burewestnik noch keine Einsatzreife bedeuten würde.