Zum dritten Mal in Folge treffen sich die Chefs der G20-Staaten in einem Land der Südhalbkugel. Auch programmatisch rücken die Interessen der Schwellenländer in den Vordergrund. Dass Europa nicht mehr die erste Geige spielt, wird auch beim Umgang mit dem Ukrainekrieg deutlich.
Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt haben sich bei dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro auf ein neues Programm zur Bekämpfung der weltweiten Armut verständigt. "Die Zahl der Menschen, die von Hunger betroffen sind, ist gestiegen und wird im Jahr 2023 die erschütternde Zahl von rund 733 Millionen Menschen erreichen, wobei Kinder und Frauen am stärksten betroffen sind", heißt es in der Abschlusserklärung, auf die sich die G20-Staats- und Regierungschefs bereits am ersten Gipfeltag geeinigt haben. Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hatte zuvor als Gastgeber des Treffens für die Allianz gegen Hunger und Armut geworben. Außerdem einigten sich die Gipfelteilnehmer darauf, bei der Besteuerung von Milliardären zusammenzuarbeiten. Es sollten "Mechanismen" zur Bekämpfung von Steuervermeidung entwickelt werden.
Die Kriege in Nahost und der Ukraine werden in dem Dokument nur knapp erwähnt. Kanzler Olaf Scholz und andere westliche Regierungschefs hatten zuvor gesagt, dass sie für eine klarere Nennung der Gründe für die Kriege im Dokument kämpfen wollten. In den Beratungen prallten aber die Vorstellungen westlicher Staaten und der Länder der Südhalbkugel aufeinander. Fast symbolisch kam US-Präsident Joe Biden zu spät zum traditionellen G20-Familienfoto, das deshalb ohne ihn gemacht wurde.
Freihandel wird nicht mehr erwähnt
Der zweitägige Gipfel in Rio wird auch von der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsident überschattet. Damit dürfte sich der multilateral ausgerichtete Kurs der USA unter Präsident Biden ab Januar deutlich ändern. Es wird erwartet, dass Trump mit seiner "America First"-Haltung sowohl aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt als auch Strafzölle gegen Importe aus aller Welt verhängt - und deshalb Beschlüsse des G20-Gipfels in Rio nur von begrenzter Bedeutung sein dürften. Kanzler Scholz, der am 23. Februar vor Neuwahlen steht, sieht in den G20-Diskussionen auch eine Chance, die Zusammenarbeit mit den Ländern der Südhalbkugel zu verstärken.
Bei dem dritten G20-Gipfel in Folge in einem Land der Südhalbkugel (Indonesien, Indien, nun Brasilien) entfernt sich die Agenda immer mehr von den Themen, die etwa Europäern wichtig sind. Das Wort Freihandel taucht in der Gipfelerklärung nicht mehr auf. Stattdessen bekennen sich die G20-Staaten zu einem "multilateralen Handelssystem". Etliche Regierungen hatten vor einer Welle des Protektionismus gewarnt.
"Wir erleben eine große, große Veränderung der globalen Strukturen", sagte Scholz. Die Regierungen der Südhalbkugeln betonten die Größe ihrer Volkswirtschaft, die Zahl der Einwohnerzahl und die künftige Entwicklung. Das seien Länder, die mitreden wollten. "Und die nicht mehr akzeptieren werden, dass alles so geht, wie das sich über Jahrzehnte eingeschlichen hat", warnte Scholz.
Chinas Präsident Xi Jinping kündigte dem Staatssender CCTV zufolge Maßnahmen zur Unterstützung des "Globalen Südens" an. Dabei warb er erneut für die Seidenstraßen-Initiative mit großen Infrastrukturprojekten weltweit, der sich etwa Brasilien bislang nicht angeschlossen hat. China werde mit Brasilien, Südafrika und der Afrikanischen Union eine Initiative ins Leben rufen, um wissenschaftliche und technologische Innovationen in den Globalen Süden zu bringen, sagte Xi zudem. US-Präsident Biden sagte vier Milliarden Dollar für den Kampf gegen Armut zu.
Keine Verurteilung Russlands
Die westlichen Staaten konnten sich nicht mit der Forderung durchsetzen, dass Russland als Verantwortlicher für den Ukraine-Krieg genannt wird. Jetzt heißt es in der Erklärung nur: "Wir begrüßen alle sachdienlichen und konstruktiven Initiativen, die einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden unter Wahrung aller Ziele und Grundsätze der UN-Charta zur Förderung friedlicher, freundschaftlicher und gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den Nationen unterstützen." Russland wird nicht erwähnt, es findet sich nur eine generelle Verurteilung von Angriffen auf Zivilisten und Infrastruktur.
Scholz hatte sich enttäuscht geäußert, dass Brasilien als G20-Gastgeber den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht zu dem Gipfel in Rio de Janeiro eingeladen hat. "Ich habe mich dafür sehr intensiv eingesetzt, andere auch. Dass das aber jetzt nicht der Fall ist, zeigt auch, was für große Herausforderungen wir vor uns haben", hatte der Kanzler gesagt. Für Russland nimmt Außenminister Sergej Lawrow teil.