1 day ago

Nächster Showdown im Bundestag: Treibt Merz die Union in eine Minderheitsregierung?



Brisante Tage im Deutschen Bundestag: Die Union bringt zusammen mit den Stimmen von FDP und AfD einen Antrag für eine Verschärfung der Asylpolitik durchs Parlament. Morgen soll sogar ein Gesetz folgen. Welche Folgen hat das?

Eine Woche nach der tödlichen Messerattacke eines Afghanen auf ein 2-jähriges Kind und einen 41-jährigen Mann in Aschaffenburg hat der Bundestag am Mittwoch hitzig über die Sicherheitslage in Deutschland diskutiert und am Ende eine historische Entscheidung getroffen. Mit den Stimmen von Union, FDP, AfD und von einigen Fraktionslosen wird ein sogenannter Entschließungsantrag zur Asylpolitik angenommen - "für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration". Gegen das Votum von SPD und Grünen.

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist "all in" gegangen, wie er angekündigt hat - und er hat auf dem Papier gewonnen. Gefreut hat sich darüber aber nicht die Union, sondern einzig die AfD. "Was wir erlebt haben, ist eine Entladung, die sich über viele Jahre aufgestaut hat. Wir haben erlebt, wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die Brandmauer nicht abgerissen hat, aber zumindest ein großes Fenster geöffnet hat", sagt der Autor und Kommunikationsberater Hendrik Wieduwilt bei ntv.

Merz habe mit dem Manöver versucht, der CDU wieder Glaubwürdigkeit auf dem Feld der Migrationspolitik zu geben. Die Zustimmung der AfD habe der Unions-Kanzlerkandidat in Kauf genommen, so Wieduwilt. "Das ist ein Tabubruch, der uns noch lange beschäftigen wird und der sicherlich das ganze Gesicht der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig verändern wird." Dieser "Tabubruch" hat inzwischen sogar Altkanzlerin Angela Merkel auf den Plan gerufen. Die frühere CDU-Chefin hält das Vorgehen von Merz für "falsch".

Mehrheit für Gesetzesvorhaben wahrscheinlich

Und jetzt steuert diese ohnehin schon historische Woche im Bundestag auf ihren nächsten großen Showdown hin. Am morgigen Freitag soll der Bundestag nach dem Willen der Union über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz abstimmen. Damit soll einerseits der Familiennachzug für eingeschränkt schutzberechtigte Flüchtlinge abgeschafft, andererseits der Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei ausgeweitet werden. Im September vorigen Jahres wurde der Gesetzentwurf in erster Lesung im Bundestag diskutiert, als Reaktion auf den islamistischen Anschlag in Solingen. Daraufhin wurde der Unionsplan in den Innenausschuss verwiesen. Dort ist der Entwurf, wie bei Oppositionsvorhaben üblich, versandet.

*Datenschutz

Mittlerweile ist die Lage im Bundestag aber eine ganz andere. Die Ampel-Regierung ist Geschichte, das Gesetz der Union hat wieder eine Chance. Und Friedrich Merz will morgen darüber abstimmen lassen. Dreieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar. Im Vergleich zur Abstimmung gestern ist das die viel größere Nummer. Denn es geht um ein Gesetz, nicht bloß um ein symbolisches Votum.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch hierfür eine Mehrheit gibt, ist hoch. Zumal das BSW, anders als beim Entschließungsantrag am Mittowch, ebenfalls mit "Ja" stimmen will.

Zustimmung im Bundesrat unwahrscheinlich

Aber was folgt daraus? Zunächst nichts. Damit das Gesetz in Kraft tritt, müsste nämlich auch der Bundesrat zustimmen. Die Länderkammer wird aber höchstwahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl zusammenkommen. Und das Gesetz dann durchfallen lassen. Der Grund ist, dass sich Landesregierungen gemäß gängiger Praxis im Bundesrat enthalten, wenn sich die jeweiligen Regierungsparteien nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. In zwölf Bundesländern ist die SPD Teil der Landesregierung, in drei der vier anderen Länder regieren zumindest die Grünen mit. Nur in Bayern gibt es eine Regierung ganz ohne SPD- oder Grünen-Beteiligung. Hier regieren Union und Freie Wähler. Eine Mehrheit ist für das Merz-Vorhaben im Bundesrat derzeit nicht in Sicht.

Geht Merz mit seiner "all-In"-Strategie angesichts solcher schlechten Aussichten baden? Nicht ausgeschlossen. Schließlich hat die Union die linke Konkurrenz mit diesem Manöver im Wahlkampf regelrecht wachgeküsst. SPD und Grüne haben jetzt ein Thema. Eines, das von der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land ablenkt, welche mit den Noch-Regierungskräften untrennbar verbunden wird und womit es für SPD und Grüne deshalb nichts zu gewinnen gibt.

Der Unions-Kanzlerkandidat, der angeblich mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache macht? Diesen Spin werden SPD und Grüne vermutlich bis zum Wahltag ausspielen. Es ist ihre letzte Hoffnung, doch noch Punkte gutzumachen auf die Union.

"AfD ist brachial, wie es die Union nicht könnte"

Gleichzeitig hält es Kommunikationsexperte Wieduwilt, der auch als Kolumnist für ntv.de tätig ist, für wahrscheinlicher, dass vor allem die AfD vom Merz-Manöver profitiert. "Ob die Wette aufgeht, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Aber in der Politikwissenschaft heißt es immer: 'Die Leute wählen dann doch lieber das Original anstatt die Kopie.' Das liegt an der Kompetenzzuschreibung bei diesem Thema. Die AfD tritt brachial auf, wie das eine Union nicht könnte." Abseits dessen habe der Vorstoß der Union aber auch "eine positive Seite". Das von Merz durchbrochene Tabu habe eine bislang verkrampfte politische Debatte aufgelöst, analysiert Wieduwilt. Demgegenüber stehe jedoch eine "Stückweite Normalisierung der AfD".

Für die Union besteht zudem die Gefahr, dass sie sich in der Mitte des Parlaments regelrecht isoliert. Wenn es keinen Sensations-Endspurt mehr gibt, landen CDU und CSU bei der Bundestagswahl auf Platz 1 und können sich einen oder - falls nötig - zwei Koalitionspartner aussuchen. Aber ausgerechnet das droht nach diesem historischen Bundestags-Beben komplizierter zu werden als bislang gedacht. Mit der in Teilen rechtsextremen AfD will die Union weiter nicht zusammenarbeiten. Das BSW und die Linke sind ohnehin kein Thema. Mit den Grünen will vor allem CSU-Chef Markus Söder nicht in eine Koalition einsteigen. Und mit der SPD wird eine Zusammenarbeit nach dieser Woche auch nicht einfacher. Friedrich Merz hat nicht nur ein Loch in der Brandmauer mindestens in Kauf genommen, sondern ist auch dabei, Brücken zu möglichen Koalitionspartnern abzureißen.

Letzte Ausfahrt FDP?

Bleibt nur noch der einst natürliche Koalitionspartner der Christdemokraten, die FDP. Doch eine gemeinsame Mehrheit ist rechnerisch so gut wie ausgeschlossen. Zu weit weg ist die FDP derzeit in den Umfragen. Stand jetzt können die Liberalen froh sein, wenn sie den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.

Gibt es erwartungsgemäß keine schwarz-gelbe Mehrheit nach der Bundestagswahl und findet die Union partout keinen anderen Koalitionspartner, könnte sogar die Option einer Minderheitsregierung auf den Tisch kommen. Entweder mit der FDP - oder ganz alleine. Die Union müsste sich wechselnde Mehrheiten suchen. Ob solch ein Projekt vier Jahre hält? Unwahrscheinlich. Zumal irgendjemand Friedrich Merz erstmal zum Kanzler wählen müsste. Die AfD könnte in einem solchen Szenario eine wichtige Rolle spielen. Zufallsmehrheiten mit der Rechtsaußen-Partei wären dann wahrscheinlich erst recht keine Seltenheit mehr.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de

*Datenschutz

Adblock test (Why?)

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2025. All rights are reserved