Moldau entscheidet über seine Zukunft: Neben den Präsidentschaftswahlen steht ein Referendum über den EU-Beitritt an. Russland setze das Land deshalb durch hybride Kriegsführung massiv unter Druck, sagt Brigitta Triebel, die in Chişinău das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung leitet.
ntv.de: Am 20. Oktober steht in Moldau nicht nur die Präsidentschaftswahl an, sondern auch ein Referendum über die Frage, ob der EU-Beitritt des Landes in der Verfassung festgeschrieben werden soll. Präsidentin Maia Sandu hofft auf eine Wiederwahl, um ihrem Land den Weg in die EU zu ebnen. Hat sie gute Chancen auf einen Wahlsieg?
Brigitta Triebel: Ja, hat sie. Ihre Zustimmung unter der moldauischen Bevölkerung liegt in Umfragen bei ca. 35 Prozent, obwohl ihre Wahlkampagne erst jetzt richtig startet. Außerdem fehlt bei den Umfragen die moldauische Diaspora. Diese macht circa 10 Prozent der Stimmen aus und ist tendenziell pro-europäisch und Sandu zugewandt. Die große Frage ist aber, ob Sandu in eine Stichwahl muss. Dann könnte es doch knapper werden, weil sich womöglich Parteien des prorussischen Lagers gegen Sandu zusammenschließen werden.
Wie wird Russland versuchen, die Wahlen zu manipulieren?
Russland versucht die Wahlen auf verschiedenen Wegen zu beeinflussen, unter anderem mittels Desinformation und Fake News rund um die Frage, was ein EU-Beitritt Moldaus bedeuten würde. Es geht aber auch um den Krieg in der Ukraine. Den Moldauern wird vermittelt: Wenn ihr nicht in einen Krieg wie in der Ukraine hineingezogen werden wollt, wählt die prorussischen Parteien. Da wird mit den Ängsten der Menschen gespielt. Das hat Wirkung, weil viele Menschen in Moldau Angst vor einem Krieg auf eigenem Boden haben. Viel von der Desinformation zielt auf die russischsprachigen Minderheiten im Land, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie informieren sich durch russisches Fernsehen und auf Telegram-Kanälen. Auch Olaf Scholz‘ Besuch in Chişinău letzte Woche wurde direkt für Fake News genutzt. Scholz erwähnte in der Pressekonferenz ein bilaterales Migrationsabkommen - schon wurde behauptet, dass Moldau Zehntausende Menschen aufnehmen soll, die dann die Gesellschaft destabilisieren.
Stimmt es, dass prorussische Parteien in Moldau Wählerstimmen kaufen?
Ja, Russland kauft Wähler in Moldau einfach. Es wurde in den letzten Wochen und Monaten massiv Geld von Mittelsmännern aus Russland in das Land gebracht. Es gibt ein richtiges System: Menschen mit einem moldauischen Pass werden ins Ausland geflogen. Dort nehmen sie ein paar 1000 Euro nach Moldau mit, bei einem Betrag bis zu 10.000 Euro ist das legal. In einem armen Land wie Moldau kann man Wählerstimmen mit wenig Geld kaufen. Moldau wird gerade überschwemmt mit diesem Geld aus Russland.
Welche Strategie verfolgt Russland, um ein negatives Ergebnis beim EU-Referendum herbeizuführen?
Es ist davon auszugehen, dass Russland mit seiner hybriden Kriegsführung eine Demobilisierung erreichen möchte. Der EU-Beitritt Moldaus wird nämlich nur in der Verfassung festgeschrieben, wenn es eine Wahlbeteiligung von mindestens 33 Prozent gibt. Sogar falls diese Hürde genommen wird, aber nur 40 Prozent der Moldauer wählen gehen, kann die russische Desinformation das ausschlachten, indem sie behauptet: Das war nicht die Mehrheit der Moldauer, die dort entschieden hat und der EU-Beitritt ist ein Diktat westlicher Mächte oder von Maia Sandu höchstpersönlich. Zudem nutzt Russland Spannungen in der Gesellschaft. Die autonome Region Gagausien ist ein wichtiger Hebel. Ein Großteil der Menschen dort sind gegen einen EU-Beitritt, und die Region wird von der russlandfreundlichen Gouverneurin Evghenia Gutul geführt. Falls die gesamte Region gegen einen EU-Beitritt stimmt oder eine Mehrzahl erst gar nicht wählen geht, wird auch das als ein Scheinargument für weitere Destabilisierungsversuche in Moldau dienen.
Die Regionen Transnistrien und Gagausien pflegen politische und wirtschaftliche Verbindungen nach Russland. In Transnistrien sind noch etwa 1500 russische Soldaten stationiert. Ist der Weg Moldaus in die EU mit diesen beiden Regionen überhaupt möglich?
Der Konflikt um Transnistrien wäre längst gelöst, hätte Russland den Weg für eine faire Verhandlungslösung frei gemacht und würde Russland nicht mit eigenen Truppen weiter die territoriale Integrität Moldaus verletzen. Eine Eskalation der Situation zwischen Gagausien und der Regierung in Chişinău ist erst jetzt realistisch, seitdem Russland diese Region massiv mit Geld und Personal steuert. Wenn der russische Einfluss minimiert wird, hat Moldau eine Chance, diese Konflikte zu überwinden. Die EU ihrerseits hat eine Mitgliedschaft Moldaus von einer Konfliktlösung in Transnistrien abgekoppelt. Damit ist Russlands größter Hebel, um Druck auszuüben, weg. Das hilft Moldau, sich auf Reformen in der Justiz, Wirtschaft und Bildung zu konzentrieren. Im besten Fall wird so ein funktionierendes Staatssystem geschaffen, mit dem man die Konflikte mit Transnistrien und Gagausien besser lösen kann.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Russlands Präsident Putin in Moldau eine militärische Eskalation in Gang setzt, sollte Sandu gewinnen und der EU-Betritt in die Verfassung kommen?
Falls Sie damit meinen, dass russische Streitkräfte auf moldauischem Boden tätig werden: Das würde ich im Moment als unwahrscheinlich einschätzen. Das russische Militär kann Moldau nicht erreichen, weil die Ukraine und Rumänien dazwischen liegen. Die 1500 Soldaten, die in Transnistrien bewaffnet stehen, können nur tätig werden, wenn sie Nachschub und Unterstützung haben. Falls die ukrainische Front im Süden aber brechen und Odessa eingenommen werden sollte, wird die Republik Moldau sich auf einen russischen Angriff vorbereiten müssen. Die Möglichkeiten der hybriden Kriegsführung kann Russland aber jederzeit nutzen. Es kann neben Wählern auch Demonstranten kaufen, die Unruhe auf den Straßen stiften und eine Atmosphäre der Instabilität und Unsicherheit schaffen. Das macht dann der Bevölkerung, die mit Sorge auf den Krieg in der Ukraine blickt, große Angst.
Ein politischer Gegner Sandus ist der prorussische Oligarch Ilan Shor. Da er wegen Massenbetrugs zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, flüchtete er ins Exil. Von dort aus zieht er politisch weiter die Fäden, organisiert seine Partei "Sieg". Welchen Einfluss haben Shor und seine Partei auf die politische Landschaft in Moldau?
Shor und seine Parteien sind nicht mehrheitsfähig, ihre Zustimmungswerte liegen um die 9 Prozent. Russland trägt der Partei die Rolle auf, den politischen Diskurs zu radikalisieren und die Anspannungen auf die Straße zu bringen. Shor hatte nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine Demonstrationen im Zentrum von Chişinău gegen die Regierung und Präsidentin organisiert, offiziell gegen die Energiepolitik. Generell fehlt Russland momentan eine mehrheitsfähige Partei in Moldau. Das waren traditionell die Sozialisten unter Igor Dodon, die circa 20 Prozent der Wähler ansprechen können. Den nach Russland orientierten Parteien fehlen jetzt aber Kandidaten, die eine realistische Chance haben, die Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Da Shor bei den Wahlen auf nationaler Ebene keine Chancen hat, ist er in Regionen wie Gagausien gegangen, um dort Lokalwahlen zu gewinnen. Wo er die Macht an sich reißen kann, gibt es keine politische Kooperation, geschweige denn ein sinnvolles politisches Arbeiten. Das ist dann reine Blockade, massiv von russischen Geldern finanziert. Langfristig will Shor erreichen, aus dem Exil zurückzukehren und seine kriminellen Machenschaften in der Republik Moldau fortsetzen zu können.
Mit Brigitta Triebel sprach Lea Verstl