1 day ago

Migrationsprobleme: SPD-Landrat rechnet mit Bundesregierung ab



Matthias Jendricke hält die deutsche Flüchtlingspolitik für gescheitert und wirft der Bundesregierung Versagen vor. Er ist Landrat in Thüringen – und Sozialdemokrat. 

Herr Jendricke, CDU-Chef Friedrich Merz will alle abschiebepflichtigen Menschen inhaftieren, um die Rückführungen zu beschleunigen. Einverstanden?
In der Theorie hört sich das gut an. Doch in der Praxis kann das nicht funktionieren. Deutschlandweit wären das mindestens 42.000 Migranten. Es gibt einfach zu wenige Abschiebehaftplätze. Das liegt auch daran, dass es bisher politisch nicht gewollt war. Thüringen zum Beispiel hält nur zwei Abschiebehaftplätze vor – und die befinden sich Rheinland-Pfalz. Das ist ein Skandal, der auf das Konto der Grünen geht, die hier im Land die vergangenen zehn Jahre das Migrationsministerium besetzten. Man wollte damit Abschiebungen schwer bis unmöglich machen.

Und die Sozialdemokraten besetzen das für Abschiebungen zuständige Innenministerium.
Natürlich steht dafür die frühere Landesregierung kollektiv in der Verantwortung. Aber das eigentliche Versagen fand jahrelang im Bund statt. Während der CDU-Regierungszeit von Angela Merkel und der Ampel-Koalition wurden Riesenfehler in der Migrationspolitik gemacht. Der Staat hat damit ungewollt menschliches Leid organisiert, ob nun in Mannheim, Solingen oder zuletzt in Aschaffenburg. Beelitz CDU Politiker 17.29

So propagiert es auch die AfD.
Das ist doch keine exklusive Erkenntnis der AfD. Das sagen ich und viele Amtskollegen schon seit Jahren. Das Abschiebesystem ist dysfunktional. Mehr als die Hälfte der Rückführungen wird abgebrochen, weil sich die Menschen entziehen können, auch durch Gerichtsentscheidungen. Hier müssen die Gesetze geändert werden.

Also kein Rechtsschutz für Geflüchtete mehr?
Das habe ich nicht gesagt. So ein Asylverfahren zieht sich doch über Monate, teilweise über Jahre – mit allen rechtlichen Einspruchsmöglichkeiten, die es weiterhin geben muss. Aber wenn der Staat dann am Ende weder Flüchtlingsstatus noch Asyl gewährt und auch keine Duldungsgründe vorliegen, gibt es eben den finalen Bescheid zur Ausreisepflicht. Danach können die Leute selbst ausreisen und bekommen das unter Umständen auch finanziert, einschließlich einer Startsumme für ihr Heimatland. Das ist ja der erwünschte Regelfall. Erst wenn sie diese gute Möglichkeit selbst nicht nutzen, ist die Abschiebung die ultima ratio. Warum dagegen dann auch noch erneut geklagt werden kann, erschließt sich mir und meinen Behördenmitarbeitern wirklich nicht.

 Matthias JendrickeMatthias Jendricke fordert eine radikale Wende in der Flüchtlingspolitik. Seit knapp zehn Jahren amtiert er als Landrat im thüringischen Landkreis Nordhausen. Seit 1993 ist er Mitglied der SPD
© Landratsamt Nordhausen

Blenden Sie nicht aus, dass Abschiebezahlen zuletzt gestiegen sind?
Aber von einem zu niedrigen Niveau aus. Ich sehe keine deutliche Trendwende. Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat die Bundesregierung einen Abschiebeflieger nach Afghanistan geschickt. Das war's. Für mich zeigt der Fall Aschaffenburg erneut ein doppeltes Staatsversagen. Erstens das Versagen der Bundesregierung: Sie hat nicht ausreichend Abschiebeflüge organisiert. Und zweitens das Versagen der regionalen Gerichte und Behörden. Der Verdächtige hätte nicht mehr in Deutschland sein dürfen – oder doch zumindest in Haft oder im Maßregelvollzug.

Machen Sie sich das nicht zu einfach?
Der mutmaßliche Täter war schon vorher psychisch auffällig und hatte Straftaten begangen. Da richtet sich die eine Frage an die Gerichte, ob sie dem Ernst der Lage entsprechend entscheiden. Bei ausländischen Tätern, deren vorherige Lebensgeschichte wir nicht ausreichend kennen, muss es schneller zur Haftanordnung kommen.

Die Gerichte halten sich an die geltenden Gesetze. Sollen sie das etwa nicht mehr tun?
Es gibt immer einen Ermessensspielraum. Aber am Ende, da haben Sie recht, richtet sich auch die Frage an den Gesetzgeber, ob er nicht nachschärfen muss. Ich sage als Landrat: Unsere Instrumente reichen nicht. Wir haben in den Gesundheitsämtern den sozialpsychiatrischen Dienst, der diese Leute in irgendeiner Form begleiten soll. Aber selbst bei kleineren Gewalttaten können die Behörden die auffälligen Leute nicht längere Zeit ins Krankenhaus oder in den Maßregelvollzug einweisen, um sie dort wenigstens zu begutachten und medikamentös einzustellen. Nein, es muss erst etwas Schlimmes passieren, damit gehandelt wird. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes kann hier jeder seiner Spinnerei nachgehen. Das ist sicherheitspolitisch nicht akzeptabel und hilft übrigens auch den Betroffenen nicht.

"Diese Personen dürfen nicht hier bleiben"

Sie wollen also alle psychisch auffälligen Menschen wegsperren?
Nein, natürlich nicht. Aber unsere gesetzlichen Möglichkeiten reichen nicht aus, um präventiv einzugreifen, auch im Sinne dieser auffälligen Personen. Und mal ganz ehrlich: Manche psychischen Auffälligkeiten von ausländischen Tätern haben auch etwas mit religiösem Fanatismus zu tun. Hier muss endlich wieder der Grundsatz her: Sicherheit vor Humanität. Das gilt auch bei den notwendigen Abschiebungen. Diese Personen dürfen nicht hier bleiben.

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Als Sozialdemokrat fühlen sie sich nicht der Menschlichkeit verpflichtet?
Selbstverständlich. Ich habe persönlich vor knapp drei Jahren die Busse organisiert, um die ukrainischen Flüchtlinge aus Berlin zu mir in den Landkreis zu holen. Menschen in Not muss geholfen werden. Wir versuchen auch sonst, alle Geflüchteten geordnet unterzubringen und für deren Integration zu sorgen. Aber diese Hilfe darf uns nicht völlig überfordern. Und vor allem aber darf sie nicht unsere innere Sicherheit gefährden. Sicherheit vor Humanität: Das ist doch auch der Grundsatz, der bei jeder Visa-Erteilung gilt. Wenn es da in irgendeiner Form Zweifel gibt oder unklare Daten, gibt es keine Einreisegenehmigung.

Aber ein Mensch auf der Flucht …
… hat nicht unbedingt alle nötigen Papiere dabei, klar. Wenn sich die Flüchtlinge kooperativ zeigen und dabei helfen, ihre Identität festzustellen, dann ist das in Ordnung. Aber die, die ihre Identität nachweisbar verschleiern oder gar falsche Angaben machen, die müssen wir als Sicherheitsrisiko betrachten. Das heißt, sie müssten bestenfalls an der Grenze abgewiesen oder gegebenenfalls in Erzwingungshaft, bis sie ihre wahre Identität preisgeben.

"Wir brauchen eine Wende in der Flüchtlingspolitik"

Stimmen Sie Merz zu, dass alle illegalen Einreisen unterbunden werden müssen?
Im Grundsatz ja. Ich sehe da nur wieder praktische Schwierigkeiten, sowohl bei der Grenzsicherung als auch beim Umgang mit den Nachbarländern. Aber dazu will ich mich als Landrat nicht weiter äußern, für die Grenzsicherung bin ich nicht zuständig. Was ich aber sagen kann: Wir in den Kommunen werden permanent überfordert. Dass im vergangenen Jahr 250.000 Menschen im Asylbereich nach Deutschland kamen, wäre vielleicht gerade so verkraftbar gewesen. Aber diese – größtenteils illegale – Einwanderung findet auf einem Sockel von 1,2 Millionen weiteren ukrainischen Flüchtlingen statt. Diese große Anzahl von Migranten lässt sich nicht mehr bewältigen, nicht bei der Integration, nicht im Sozialsystem und nicht auf dem Wohnungsmarkt.

Eine Frage an den Sozialdemokraten Jendricke: Teilen Sie die Empörung Ihrer Partei darüber, dass die Union diese Woche eine Mehrheit mit AfD, FDP und BSW schaffen will?
Ich halte es für riskant und falsch, de facto Mehrheiten mit der AfD zu suchen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass sich die Ampel-Parteien – und hier insbesondere die Grünen – in diesen Fragen der Realität verweigert und ständig gebremst haben. Auch die SPD hat an dieser Stelle immer wieder zu spät reagiert. Wir brauchen eine Wende in der Flüchtlingspolitik. Das Prinzip, alle Immigranten nach Deutschland durchwandern zu lassen und hier willkommen zu heißen: Das ist schon lange nicht mehr akzeptabel. 

Was sollte also die SPD tun?
Sie sollte sich jetzt auf die CDU zubewegen und deutlich von den Grünen absetzen, trotz des heißen Wahlkampfes. Auf der anderen Seite muss auch Merz wieder zur Vernunft kommen, denn er wird später in einer Regierung seine Versprechungen nicht halten können. Sonst gibt es diese Woche und später bei der Bundestagswahl wieder nur einen großen Sieger. Und das ist die AfD.
 

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