4 days ago

Migrationsfrage bei Caren Miosga: "Wir reden von Männern, die nichts zu tun haben"



Am Ende einer politischen Woche, in der das Thema irreguläre Migration den Wahlkampf bestimmt, versucht Caren Miosga, den Gästen ihrer Talkshow Antworten auf die drängenden Fragen zu entlocken. Doch wie so oft, ist die Sache komplex. Zu komplex.

Das Problem ist schon der Titel der Sendung: "Wie wird Deutschland wieder sicher, Herr Wüst?" Diese Frage stellt Caren Miosga dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Aber es geht an diesem Sonntagabend nicht etwa um Krieg und Frieden, Schutz vor Naturkatastrophen und Pandemien oder eine Eindämmung von Straftaten allgemein. Es geht um irreguläre Migration und deren Folgen für die innere Sicherheit Deutschlands. Doch ist das, wie suggeriert, der einzige Grund, warum Deutschland "unsicher" ist? Heißt das folglich, wenn es keine irreguläre Migration gibt, ist Deutschland "wieder sicher"?

Was in der Talk-Runde rund 60 Minuten diskutiert wird, kann dieser großen Fragestellung naturgemäß nicht gerecht werden. Und auch im Bezug auf das eigentliche Sendungsthema, die deutsche Migrationspolitik, bleiben die Zuschauerinnen und Zuschauer am Ende wohl eher etwas unzufrieden zurück. Zu komplex das Problem, zu schwierig die Antworten.

Hendrik Wüst muss gleich zu Beginn die migrationspolitischen Vorschläge seines Parteichefs erläutern. Friedrich Merz war in den vergangenen Tagen auf sämtlichen Kanälen mit Vorschlägen aufgefallen, die in dieser Woche im Bundestag diskutiert werden sollen. Kompromisse will die Union nicht machen. Es geht etwa um dauerhafte Grenzkontrollen, Zurückweisungen von Asylbewerbern ohne Papiere, Inhaftierungen von Ausreisepflichtigen und konsequentere Abschiebungen.

Scholz wolle "wegverwalten"

"Die Menschen erwarten von der Politik, dass wir Probleme lösen und möglichst auch Probleme für die Zukunft kleinhalten", sagt Wüst. Irreguläre Migration müsse beendet werden. Aber natürlich müsse den Menschen, die vor Krieg fliehen, geholfen werden. Die Frage nach dem rigorosen und kompromisslosen Auftreten von Merz in diesem Zusammenhang umschifft der Ministerpräsident. Moderatorin Miosga erklärt er, dass bei etwaigen, zukünftigen Koalitionen im Bund Kompromisse ja gut und gerne an anderer Stelle gemacht werden könnten. Friedrich Merz dürfte den Auftritt seines Parteikollegen mit Genugtuung verfolgt haben.

Bislang seien SPD und Grüne nicht "sprechfähig" bei dem Thema, so Wüst. Kanzler Olaf Scholz wolle, dass die Probleme in den Behörden der Bundesländer "wegverwaltet" würden. Aber so funktioniere das nicht. Dass jetzt darüber diskutiert werde, ob die Union mithilfe der AfD (und der FDP und dem BSW) eine Mehrheit jenseits der Minderheitsregierung generiere, schiebt Wüst auf den Wahlkampf. Er versichert: Die Union bemühe sich um eine Mehrheit der Mitte.

Die Gewalttat in Aschaffenburg, bei der ein ausreisepflichtiger Afghane zwei Menschen brutal erstochen hat, hat den Wahlkampf zuletzt maßgeblich geprägt. Es ist jedoch nicht das einzige Verbrechen, das zuletzt schockierte und das Thema irreguläre Migration tangierte. Zu nennen sind etwa Magdeburg, Solingen und Mannheim. Der in die Talkshow geladene Oberbürgermeister von Fürth empfand "blankes Entsetzen", als er von dem jüngsten Messerangriff erfuhr. Dass sowas in einem deutschen Stadtpark passiere, sei entsetzlich, sagt SPD-Politiker Thomas Jung.

Psychologische Hilfe als Mangelware

Angesichts der Täterschaft lässt sich die ebenfalls in der Runde anwesende "Zeit"-Journalistin Vanessa Vu zu einer an dieser Stelle deplatziert wirkenden Aussage hinreißen. Für sie sei das, was in Aschaffenburg passiert sei, "wahnsinnig bestürzend". Aber: "Wir müssen auch drauf gucken, wer eigentlich die Opfer sind. Also in dem Fall sind es nicht irgendwelche Fremden, die hier in dieses Land kommen und dann Menschen von hier umbringen. Wir haben Menschen in Not, offenbar psychiatrisch auffällig." Diese hätten nicht die Hilfe bekommen, die sie gebraucht hätten, um solche Taten nicht zu begehen. Auch sei die Gefahr, die von ihnen ausgehe, falsch eingeschätzt worden. Es sei nicht die Herkunft oder Ideologie, die die Täter eine, sondern die Tatsache, dass es sich um verzweifelte junge Männer handele, die zu Waffen griffen.

So richtig Vus Einwand ist, so schwierig ist in diesem Fall die Täter-Opfer-Umkehr. Darauf weist sie Wüst später hin. Der Punkt ist jedoch insofern interessant, als dass er weg von dem Diskurs lenkt, den die Union vorgibt. Nur vier Prozent der psychisch belasteten Geflüchteten erhalte überhaupt psychologische Hilfe, sagt Vu. Angesichts der Traumata, die sowohl in den Herkunftsländern selbst als auch auf der Flucht verursacht worden sein könnten, ist das eine lächerlich geringe Zahl.

Der Jurist und Journalist der "Süddeutschen Zeitung" Ronan Steinke bringt das Täterbild so auf den Punkt: "Wir reden von Männern, die nichts zu tun haben." Kriminalstatistiken liefen immer parallel zu den Arbeitsmarktstatistiken. "Da, wo die Arbeitslosigkeit hochgeht, wo die Leute nichts zu tun haben, kommen auch viele auf die schiefe Bahn." Sie würden krank, zu leichter Beute für Radikalisierer oder fingen an zu trinken. Die Leute kämen nach Deutschland mit Träumen, wollten sich ein besseres Leben aufbauen und Schreckliches hinter sich lassen. Aber als erstes seien sie mit einem Arbeitsverbot konfrontiert oder müssten lange Wartezeiten bei Deutschkursen in Kauf nehmen.

Flächendeckende Grenzkontrollen als Lösung?

CDU-Politiker Wüst weist in diesem Zusammenhang auf die Asylrechtslogik hin, die die Flucht junger Männer begünstige, die sich später um einen Familiennachwuchs bemühten. Doch die allermeisten jungen Männer, die ins Land kommen, machten eben keine Probleme, stellt er klar. Und selbst bei deutschen Gleichaltrigen fehle es an Kapazitäten für psychologische Betreuung. Eine andere Sprache erschwere das Problem nur zusätzlich. Weniger Asylsuchende und Migranten würden nach Wüsts Lesart an vielen Stellen für Entlastung sorgen.

Doch wie können die Zahlen eingedämmt werden? Durch flächendeckende Grenzkontrollen? Wüst sagt, es gebe "renommierte" Juristen, die der Union dabei zustimmen würden, dass Asylsuchende an den Grenzen an der Einreise gehindert werden dürfen. Das verstoße nicht gegen geltendes EU-Recht, das nun mal vorsehe, dass Asylanträge im ersten Einreiseland gestellt werden. Das Binnenland Deutschland schließt das eigentlich aus. Wenn das europäische Asylsystem funktionieren würde, gäbe es die Probleme hierzulande gar nicht, so die These von Wüst. In der Realität scheitern Einigungen in Brüssel an Ländern wie Ungarn, die nicht bereit sind, ihren Anteil Geflüchtete aufzunehmen.

Jurist Steinke merkt an, dass es nicht umsetzbar ist, knapp 4000 Kilometer deutsche Grenze zu kontrollieren. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel sei dahingehend "weitsichtiger" gewesen und habe erst gar nicht versucht, dieses "Risiko einzugehen". Oberbürgermeister Jung kann Merkels Entscheidung für offene Grenzen im Jahr 2015 zwar nachvollziehen, wünscht sich aber ein Umdenken der Parteien der politischen Mitte. Vor Ort erlebt er, dass vielleicht gut gemeinte Maßnahmen in der Praxis für massive Probleme sorgen können. So ziehe jeden Monat im Schnitt eine Familie via Familiennachzug in die Stadt. Selbst wenn ein Berechtigter in einer WG wohne und kein Einkommen vorweise, dürften seine Angehörigen nachziehen. In Fürth seien das sieben bis zehn Leute, die so in die Stadt gelangten - ohne Wohnung. "Wir holen bewusst Menschen in die Obdachlosigkeit", bemängelt Jung.

"Wer Strafzettel zahlt, erwartet, dass Ausreisepflicht durchgesetzt wird"

Nach Angriffen wie dem in Aschaffenburg sprächen Migranten aus der Stadt ihn an, sagt der Sozialdemokrat. Zum Teil in drastischer Sprache würden diese ihre Empörung zum Ausdruck bringen, dass der Staat nicht richtig durchgreife. Der Tenor sei, es gebe gut integrierte Migranten, die das Land "toll bereichern". Gleichzeitig müsse der deutsche Staat Härte gegenüber Straftätern und Ausreisepflichtigen zeigen. "Wer seinen Strafzettel zahlt, der erwartet auch, dass eine Ausreisepflicht durch den Staat durchgesetzt wird, notfalls eben auch mit Inhaftierung."

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Beim Abschieben von Ausreisepflichtigen tun sich die Behörden in Deutschland schwer. Doch damit hätten womöglich einige gravierende Straftaten verhindert werden können. In der Realität seien die Verfahren so kompliziert, dass sie für die örtlichen Ausländerbehörden nahezu ein Ding der Unmöglichkeit seien, bemängelt Wüst. Die Verfahren seien für viel weniger Menschen ausgelegt. Wen er wie lange in Abschiebegefängnisse zu stecken gedenkt, sagt Wüst nicht konkret. Vielmehr besteht er darauf, dass diejenigen, die ausreisen müssen, das Land auch tatsächlich verlassen. Wie das besser durchgesetzt werden kann, darauf gibt es in der Runde keine Antwort.

Vanessa Vu kann die angesprochenen Kapazitätsprobleme nachvollziehen. Für die Journalistin erschließt sich jedoch die Prioritätensetzung nicht. Warum gebe es keine zusätzlichen Ressourcen für eine psychosoziale Betreuung, dafür aber für mehr Abschiebelager und Grenzbeamte? Ein punktueller Ansatz könne Abhilfe schaffen: Psychisch erkrankte Menschen, bei denen bekannt ist, dass eine Gefahr besteht, dass sie zu Straftätern werden, sollten ins Visier genommen werden. Denn die meisten Menschen, die nach Deutschland kämen, seien nicht hier, um den Sozialstaat auszunutzen, sondern vielmehr selbst vor Gewalt geflohen. Und noch einmal mit Blick auf Aschaffenburg fragt sie: "Was haben die Menschen, die Asyl suchen, bitte mit diesem Messerstecher zu tun?" Im Publikum brandet Applaus auf.

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