4 months ago

Michael Kretschmer im Interview: "Die Menschen sind genervt vom übergriffigen Stil der Ampel"



Selten finden Landtagswahlen so viel Aufmerksamkeit wie die in Sachsen und Thüringen am 1. September. In Sachsen stemmt sich Ministerpräsident Kretschmer gegen einen AfD-Erfolg. Im Interview ruft der CDU-Politiker dazu auf, diesmal strategisch CDU zu wählen. Seine umstrittene Haltung zum Ukraine-Krieg verteidigt er vehement.

ntv.de: Herr Ministerpräsident, für einen Politiker ist die nächste Wahl immer die Wichtigste, so wie für den Fußballer das nächste Spiel. Aber wie wichtig ist diese Landtagswahl?

Michael Kretschmer: Diese Landtagswahl ist eine Schicksalswahl, es geht um alles. Man sieht es an den vorangegangenen Wahlen. Die Europawahl, aber auch die Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Die Menschen bewegen die großen Themen: Migration, Energie, Krieg und Frieden. Sie sind genervt vom übergriffigen Politikstil dieser Bundesregierung. Die Erwartung: Es muss sich doch etwas ändern.

Und?

Wir merken nach der Europawahl, es verändert sich gar nichts an der Politik der Bundesregierung. Für Sachsen verändert sich aber nach der Landtagswahl die Möglichkeit eine Regierung zu bilden. Das Parlament könnte sich fragmentieren. Deswegen ist diese Wahl eine Schicksalswahl für unseren Freistaat. Gelingt es, klarzumachen: Jetzt geht es hier um Sachsen. Es geht um unsere ureigensten Angelegenheiten. Unsere Zukunft hängt davon ab, ob das Land regierungsfähig bleibt, oder ob wir chaotische Thüringer Verhältnisse bekommen.

Bei Landtagswahlen spielt der Bundestrend immer eine Rolle. Geht das hier noch über das Normalmaß hinaus?

In den vielen Gespräche mit den Menschen, sind es vor allem die Bundesthemen, ja. Die Menschen wenden sich mit ihrer Unzufriedenheit aber nicht an die CDU, sondern an die AfD. Das macht es so gefährlich, weil da viele Menschen eigentlich inhaltlich gar nicht hingehören.

Natürlich geht es bei einer Landtagswahl um Landesthemen. Aber von außen wirkt es auch so: Es geht vor allem darum, die AfD kleinzuhalten.

Kleinhalten kann man die AfD nicht. Sie wird ihr Potenzial ausschöpfen, so wie bei den letzten Wahlen. Die Frage ist, ob die Wählerinnen und Wähler, die nicht zu diesem Parteienspektrum gehören, für sich sagen: Wir wollen auf jeden Fall die Regierungsfähigkeit unseres Landes erhalten. Wir wählen dieses Mal strategisch CDU, obwohl wir bei anderen Wahlen vielleicht eine andere Partei gewählt haben. Der Regierungsauftrag an die Union bedeutet die Chance, eine auf Konsens und nach vorn orientierte Politik zu machen.

Also, wenn ich eigentlich der SPD zuneige, soll ich jetzt CDU wählen?

Schauen Sie nach Thüringen. Dort erleben wir die sehr fest gefügten Wähler der AfD. Dort ist der Landtag fragmentiert. Eine Regierungsbildung mit eigener Mehrheit war vor fünf Jahren nicht mehr möglich. Das hat in unserem Nachbarland dazu geführt, dass die vergangenen fünf Jahre verlorene Jahre waren. Deswegen sage ich immer: Bei dieser Wahl geht es um die Angelegenheiten der Sachsen. Von der Frage, wie der Landtag und die Regierung aussieht, hängt für jeden, der hier lebt, ab, ob sich Zukunftschancen realisieren. Oder eben, ob unser erfolgreicher sächsischer Weg jetzt endet.

Kann das nicht auch nach hinten losgehen, wenn SPD- und Grünenwähler nun für die CDU stimmen sollten? Sie regieren ja mit diesen beiden Parteien in einer Koalition. Die beiden Parteien könnten womöglich an der Fünfprozenthürde scheitern.

Der Blick nach Thüringen zeigt uns, wie katastrophal das enden kann. Fünf Jahre Stillstand und Rückschritt. Das ist die größere Gefahr.

Wenn Sie nun dazu aufrufen, strategisch CDU zu wählen - haben Sie das Ziel aufgegeben, AfD-Wähler zurückzugewinnen?

Ich bin Ministerpräsident aller Sachsen und ich meine das auch genau so. Ich gebe keinen Bürger auf.

Die Ampelkoalition hat viel Vertrauen verloren. Nutzt Ihnen das eigentlich?

Nein. Dieser Vertrauensverlust schadet der Demokratie und allen Demokraten. Deswegen haben wir immer gesagt: Wir haben keine Schadenfreude, sondern wir wollen euch helfen, dass ihr es hinkriegt, zum Beispiel bei der Migration. Alle Ministerpräsidenten und auch die CDU/CSU im Deutschen Bundestag haben ihre Hilfe angeboten und unzählige Vorschläge gemacht, um einen großen parteiübergreifenden Konsens in den Schlüsselfragen Migration oder Energie zu schaffen. Es ist so bitter, dass die Ampel dazu nicht bereit ist

Mit der AfD schließen Sie eine Koalition aus. Zur Linken gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU. Bleiben noch SPD, Grüne und voraussichtlich Bündnis Sahra Wagenknecht. Was wäre Ihre Wunschkoalition?

Mein erster Koalitionsvertrag ist der mit den Menschen in diesem Land und mit dem Land selbst. Und jeder der mitwirken möchte, soll genau das tun. Zuerst kommen die Interessen dieses Landes und seiner Menschen. Wer das nicht kann, weil ihm Berlin oder Brüssel oder das eigene Parteiprogramm wichtiger ist, der wird hier scheitern.

Jede Partei sagt, sie wolle das Beste für das Land. Sie kennen die anderen Parteien doch ganz genau. Wer wäre Ihr Wunschpartner?

Ich weiß nicht, ob das jeder so sagt. Wir haben das in den vergangenen fünf Jahren so praktiziert. Auch die beiden kleinen Koalitionspartner SPD und Grüne haben am Ende nach Diskussionen, manchmal auch Streit, eingesehen, dass das Sachsen ein bürgerlich-konservatives Land ist.

Zum BSW haben Sie sich immer distanziert geäußert, aber auch so richtig nichts ausgeschlossen. Da drängt sich die Frage auf: Was denn nun? Kommt eine Koalition infrage oder nicht?

Ich kenne diese Truppe nicht. Ich bekomme nur immer wieder mit, dass die Entscheidungen in Berlin getroffen werden. Nicht von Menschen, die hier vor Ort sind. Der Tiefpunkt war es, zu sagen: Eine Regierungsbeteiligung in Sachsen gibt es dann, wenn die CDU in Thüringen die BSW-Kandidatin zur Ministerpräsidentin wählt. Mehr kann man seine eigenen Leute hier vor Ort nicht demütigen. Mehr kann man nicht deutlich machen, dass es gar nicht um das Land und die Leute geht.

Der Ukraine-Krieg beschäftigt die Menschen vor der Wahl sehr stark. Sie sind gar nicht so weit weg von Frau Wagenknecht in dieser Frage. Sie kritisieren Waffenlieferungen und fordern Verhandlungen.

Deutschland muss das Land sein, das Verhandlungen organisiert und moderiert. Das war immer die Rolle der Bundesrepublik, dieses große Land in der Mitte Europas, fest verwurzelt in der NATO und der EU. Mit dem Grundsatz: Wir dürfen nie Kriegspartei werden.

Wir sind doch gar nicht Kriegspartei. Kriegsparteien sind Russland und die Ukraine.

Spätestens jetzt muss doch klar sein, dass es ein Riesen-Versäumnis war, in den vergangenen zwei Jahren, nicht Akteure wie China und Indien stärker für eine Verhandlungslösung zu gewinnen.

Glauben Sie, das ist nicht passiert?

Zumindest die Außenministerin hat wiederholt gesagt, jetzt sei nicht die Zeit für Verhandlungen.

Wie sollen denn Verhandlungen konkret aussehen? Man fährt nach Moskau - sitzt bei Putin an dem langen Tisch, dann redet er zwei Stunden über russische Geschichte oder sagt gleich Njet.

Das ist das Bild, das uns in den vergangenen zwei Jahren immer wieder genannt worden ist. Das ist doch eine Satire. Die dient auch dazu, dass man sich nicht ernsthaft mit dieser Frage beschäftigen muss. Man braucht Verbündete, die auf diesen Diktator in Moskau einwirken.

Wie nehmen Sie die Stimmung in Sachsen zu diesem Thema wahr?

Die Sicht ist eine andere als im Westen. Leute haben im Westen wie im Osten Angst. Im Westen haben sie Angst davor, dass Russland bei einem Erfolg gegen die Ukraine näher an Deutschland heranrückt und uns bedrohen könnte. Im Osten sagt man: Das ist ein riesiges Land, mit riesigen Ressourcen, das kann man nicht niederringen. Wir müssen diesen Krieg anhalten. So wie es gerade läuft, kriegt man das nicht hin.

Der Bundeskanzler setzt doch auch auf "Besonnenheit".

Der Kanzler hat am Ende doch Angriffswaffen, dann Panzer geliefert. Beim Marschflugkörper Taurus ist er nun mal standhaft geblieben. Darin habe ich ihn auch sehr bestärkt.

So wie Sie sich äußern, das klingt sehr russlandfreundlich, so als ob Sie vor allem darauf abzielen, AfD-Wähler anzusprechen.

Das ist genau die Sichtweise, die dazu führt, dass diese Truppe groß wird. Ich habe mich schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn geäußert. Dann gab es Habermas und andere Intellektuelle, die Briefe geschrieben haben. Diese leisen, nachdenklichen Stimmen sind alle beiseitegeschoben worden.

Es wurde immer groß darüber berichtet.

Sie sind alle diskreditiert worden. Als Putin-Versteher, als naive Menschen.

Von wem?

Von sogenannten Experten, den meisten Medien… Am Ende sind sie verstummt. Aber sie wären Stimmen gewesen für Menschen, die das so sehen. Aber die gibt es jetzt nicht mehr. Ist das der Modus, in dem wir in einer pluralen Gesellschaft miteinander umgehen sollten? Ich finde nicht.

Mit Michael Kretschmer sprach Volker Petersen

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