Politik und Fachleute haben zahlreiche Ideen, wie sich die Zahl der Angriffe mit Messern verringern lassen soll. Nur die wenigsten wirken auch auf den zweiten Blick noch sinnvoll.
Die Debatte rund um Messerkriminalität läuft in Deutschland aktuell so hitzig wie nie zuvor. Erst wurden deutschlandweit hohe Zahlen von Messerangriffen gemeldet, dann kam im Mai der tödliche Angriff auf einen Polizisten in Mannheim, im Juni der tödliche Angriff auf eine EM-Feier in Wolmirstedt und nun das Terrorattentat in Solingen. Die Law-and-Order-Politiker überschlagen sich mit Maximalforderungen. Theoretisch wirksam oder auch nur umsetzbar sind diese allerdings nicht immer.
Eine Forderung, die angesichts der Tat in Solingen beinah reflexhaft von vielen Seiten aufgeworfen wurde, ist die nach mehr und besserer Videoüberwachung. Mehr Kameras im öffentlichen Raum will zum Beispiel Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen. Der Brandenburger CDU-Landes- und Fraktionschef Jan Redmann will die auszuweitende Videoüberwachung auch mit automatisierter Gesichtserkennung ergänzen.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger, SPD, möchte die Videoüberwachung besonders kriminalitätsbelasteter Orte ausbauen und mit sogenannter Künstlicher Intelligenz ausstatten. Ob man damit Straftäter*innen identifizieren kann, will sie noch prüfen. Aber selbst wenn die KI im Notfall eine Messerattacke erkennen könnte, wäre Hilfe sehr wahrscheinlich nicht rechtzeitig vor Ort.
Befugnisse für Sicherheitsbehörden
Weitergehende Befugnisse für Sicherheitsbehörden fordern beispielsweise Konstantin von Notz und Irene Mihalic, Grüne aus dem Bundestag. Sie wollen verdeckte Ermittlungen in Sozialen Netzwerken ermöglichen und den Austausch zwischen Polizei und Geheimdiensten verbessern.
Hendrik Wüst, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, will der Polizei den Zugriff auf Plattformen wie Telegram erlauben. Auch der Brandenburger Jan Redmann will der Polizei erlauben, islamistische Chatgruppen zu überwachen. Dabei darf die Polizei schon heute in Chatgruppen schauen – wenn sie öffentlich sind sowieso, sonst gelten speziellere Regeln wie etwa für verdeckte Ermittlungen.
Niedersachsens CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner fordert, neben mehr Videoüberwachung und anlasslosen Polizeikontrollen auch Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchungen. Wie diese weitreichenden Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte Messerattacken verhindern sollen, bleibt allerdings ungeklärt.
Interessant ist der Vorschlag von Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Er forderte Belohnungen für Menschen, die verbotene Messer abgeben, beispielsweise Netflix-Abos. Den Vorschlag scheint er mittlerweile zurückgezogen zu haben, aber die Idee eines Waffenamnestieprogramms, das die straffreie Entsorgung verbotener Gegenstände ermöglicht, hat die Ampel-Regierung in ihr Maßnahmenbündel zur Bekämpfung von Messerkriminalität aufgenommen.
Verschärfung des Waffenrechts
Eine Maßnahme, die von vielen Seiten gefordert wird, ist die Verschärfung des Waffenrechts. Aktuell sind Erwerb und Besitz bestimmter Messer verboten, beispielsweise der sogenannten Butterfly-Messer, so lange die Klinge spitz und/oder scharf und über 41 Millimeter lang ist. Ein Verstoß kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden.
Messer, deren Klinge sich mit einer Hand freilegen lässt und feststehende Klingen, die über zwölf Zentimeter lang sind, dürfen nicht außerhalb der eigenen Wohnung oder des eigenen Grundstücks getragen werden. Verstöße können zu einer Geldbuße führen, Ausnahmen gelten etwa für Brauchtum und Sport.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, würde die in der Öffentlichkeit erlaubte Klingenlänge gerne von zwölf auf sechs Zentimeter senken. Ausnahme sollen Haushaltsmesser sein, die eben gekauft wurden und sich in einer geschlossenen Verpackung befinden. Für Springmesser soll ein generelles Umgangsverbot gelten.
Der Kriminologe Dirk Baier sagte gegenüber der taz, dass mit derartigen Instrumenten wohl keine Verringerung der Messerkriminalität zu erreichen sei. Messerangriffe würden auch jetzt schon „mit bereits jetzt verbotenen Messern verübt“.
Messerverbotszonen
Als weiteres Werkzeug im Kampf gegen Messerkriminalität wird aktuell die Einrichtung so genannter Messer- oder Waffenverbotszonen breit diskutiert. In dem Maßnahmenpaket, das die Ampel-Koalition als Reaktion auf den Anschlag in Solingen aufsetzte, geht es unter anderem um ein Verbot von Messern auf Volksfesten und im öffentlichen Fernverkehr. Vizekanzler Robert Habeck sprach sich in einer Ansprache dafür aus, Messer, Hieb- und Stichwaffen in den Innenstädten zu verbieten. Innenministerin Nancy Faeser forderte die Kommunen auf, Waffenverbotszonen einzurichten. Auch Berlins Innensenatorin Iris Spranger, SPD, will Messerverbotszonen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert gleich, das Tragen von Messern in der Öffentlichkeit komplett zu verbieten, mit Ausnahme bestimmter Berufsgruppen.
Es gibt Beispiele für solche Waffenverbotszonen. In Hamburg beispielsweise seit 2007 die Reeperbahn und der Hansaplatz. Laut einer Statistik von 2016 ist durch die Waffenverbotszone die Anzahl der Straftaten mit Messern nicht gesunken. Ab 2018 gab es eine Waffenverbotszone in der Leipziger Eisenbahnstraße, nach dem Anstieg der Gewalttaten auf Rekordniveau wurde sie 2021 wieder aufgehoben.
In Berlin wurde schon mehrfach für je ein Wochenende das Tragen von Messern an manchen Bahnhöfen verboten, zuletzt im März. Damals wurden bei 930 Personenkontrollen elf Messer sichergestellt. Kaum mehr als ein Prozent der Kontrollierten waren also bewaffnet. Der absolute Großteil der Menschen, die derartigen immer auch erniedrigenden Kontrollen ausgesetzt waren, hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Die verdachtsunabhängigen Kontrollen an Bahnhöfen, die die Ampel-Koalition möglicherweise der Bundespolizei ermöglichen will, sind dementsprechend zu betrachten. Die Zahl der Menschen, die ihnen ausgesetzt würde, wäre viel höher als die der Menschen, bei denen man Kritisches findet. Außerdem bindet derartiges viel Personal.
Der Kriminologe Dirk Baier sagte gegenüber dem MDR: „Jugendliche wird das nicht abschrecken. Und in den Waffenverbotszonen muss auch erstmal kontrolliert werden; hier ist die Frage, ob wir tatsächlich dafür das Personal haben.“
Beschränkung der Migration
Viele Forderungen, die nach dem Anschlag von Solingen in den Raum gestellt wurden, betreffen eine Beschränkung der Migration. Nach dem Maßnahmenpaket der Ampel-Koalition dürfen Menschen, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist sind, nur noch die nötigsten Sachleistungen erhalten, aber kein Bargeld und keine Bezahlkarte. Die Berliner Innensenatorin will Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan ermöglichen. Robert Habeck forderte in der erwähnten Ansprache, dass gewaltbereite Menschen nicht nach Deutschland kommen dürften oder zumindest schnellstmöglich abgeschoben werden sollten.
Dabei ist, zumindest nach den Zahlen die es für Berlin für 2022 gibt, die Hälfte der Täter von Messerkriminalität deutscher Nationalität. Der häufigste Tätervorname war „Christian“.
Die aktuellste und auch umfassendste Forderungsliste zum Thema Messerkriminalität stammt von Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, zehn Punkte umfasst sie. Maßnahme Nummer Eins sind „Aktionstage zur Bekämpfung der Messerkriminalität“. Das sind Schwerpunkteinsätze, in deren Rahmen anlasslose Kontrollen stattfinden. 40.000 Menschen wurden in diesem Rahmen in Nordrhein-Westfalen in 2023 kontrolliert, dabei wurden 130 Messer gefunden, was einer Auffindequote von etwa 0,3 Prozent entspricht.
Außerdem setzt Reul – neben den oben bereits behandelten Waffenverbotszonen, anlasslosen Kontrollen und Videoüberwachungssystemen – auf Plakate, Flyer und Onlinekommunikation mit dem Motto „Besser ohne Messer“ sowie Waffentrageverbote für Intensivtäter*innen. Außerdem sollen Täter von Messerkriminalität ihren Führerschein verlieren, damit will Reul einen Abschreckungseffekt erzielen. Und Verdächtige von Messerkriminalität sollen persönlichen Vernehmungen und erkennungsdienstlichen Behandlungen unterzogen werden, statt sich schriftlich äußern zu dürfen. Eine weitere Idee ist die „regulierbare Ausleuchtung von Partymeilen.“
Aufklärung
Der Kriminologe Dirk Baier sagte gegenüber dem MDR: „Es ist ein soziales Problem und das muss man mit sozialen Maßnahmen angehen.“ Er würde eher auf Aufklärung setzen, beispielsweise darüber, wie leicht man sich beim Führen eines Messers selbst verletzen kann.
In Berlin gibt es seit zehn Jahren das Projekt „Messer machen Mörder“, in dessen Rahmen die Polizei Schüler*innen für die Gefahren von Messern sensibilisiert. Nach einer wissenschaftlichen Evaluation im zweiten Projektjahr habe sich die Zahl der Schüler*innen, die Messer mitführen, dadurch verringert.
Der britische Youth Endowment Fund hat in einem Forschungsprojekt verschiedene Maßnahmen gegen Messerkriminalität auf ihre Effektivität untersucht. Er sieht Aufklärung als eine wirksame Maßnahme. Auch Sportprogramme könnten Menschen davon abhalten, zum Täter zu werden. Nützlich seien auch Betreuungsangebote für Opfer von Gewalt, beispielsweise Therapien zur Traumabewältigung, weil diese sonst oft selbst zu Tätern würden. Videoüberwachung habe hingegen wenig Nutzen.
Die Kriminologin Elena Rausch sagte gegenüber ntv: „Anstatt Verbote auszusprechen, sollte viel mehr in mentale Gesundheit investiert werden. So könnte man Messerangriffe zumindest mittelbar verhindern.“
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.