Merz bei Illner: Der nette Herr Bundeskanzler von nebenan

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Nach der Regierungserklärung im Bundestag geht Bundeskanzler Merz zu Maybrit Illner und damit in die Wohnzimmer der Deutschen - dort erklärt er noch einmal, was er mit der Regierung vorhat und erlebt einen für sich guten Abend, allerdings enttäuscht auch eine Ankündigung.  

Auch gut eine Woche nach seiner Vereidigung profitiert der neue Bundeskanzler noch davon, dass er nicht der alte ist. In der Talkshow von Maybrit Illner präsentierte sich Friedrich Merz am Abend zugewandt, erklärfreudig und verständlich und setzte sich damit durchaus erfrischend von seinem Vorgänger Olaf Scholz ab. Zu dessen Markenzeichen gehörte es, unangenehme Fragen mit "Nö" abzukanzeln oder so lange zu reden, bis alle die Frage vergessen hatten. Was allerdings nicht heißt, dass Merz immer restlos überzeugende Antworten parat gehabt hätte.

Inhaltlich hatte sich Illner offenbar vorgenommen, die Regierungserklärung vom Mittwoch noch einmal Schritt für Schritt durchzukauen. So eilten die beiden durch Themen wie Ukraine, Migration, Wirtschaft, Klima und der unvermeidlichen AfD - die Merz nicht verbieten will, wie er sagte. Wie schon im Bundestag schlidderte er knapp am Recycling eines Merkel-Zitats vorbei, ebenfalls in motivierender Absicht: "Können wir in diesem Land gemeinsam die Ärmel aufkrempeln und sagen, wir packen das jetzt mal an und schaffen das. Ich glaube das geht."

Illner begann gleich mit der Frage, ob die neue Regierung genauso streitet, wie die alte und las eine eindrucksvolle Liste aktueller Meldungen vor, in denen es um Taurus, Lieferkettengesetz, Verteidigungsausgaben und vieles mehr ging und zwischen SPD und Union wenig bis keine Einigkeit besteht.

Merz hörte sich das mit belustigt distanziertem Gesichtsausdruck an und sagte dann: "Wir sind zwei unterschiedliche Parteien und haben unsere Unterschiede nicht an der Garderobe abgegeben." Und: "Dass man am Anfang einer Regierung den ein oder andere Punkt setzt, der einem selbst wichtiger als dem Koalitionspartner ist, das ist normal." Ob er so cool bleibt, wenn das so weitergeht, wird sich zeigen.

Was wird aus Sanktionen?

Immer wieder legte die Moderatorin den Finger in zweifellos vorhandene Wunden - was zu einer gewissen Enttäuschung bei dem führte, was eigentlich ein erster Erfolg für Merz war: Die gemeinsame Reise nach Kiew, mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem britischen Premier Keir Starmer und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Die vier hatten dem russischen Präsidenten Wladimir Putin neue Sanktionen angedroht, wenn er nicht einer 30-tägigen Waffenruhe zustimmt. In diesen 30 Tagen sollten dann Gespräche stattfinden, die die Waffenruhe möglichst weit ausdehnen sollten. Es kam bekanntlich anders. Putin bot stattdessen Gespräche an, in Istanbul an diesem Donnerstagabend. Allerdings ohne Waffenruhe.

Die Sanktionsdrohung ging gleich mit in die Verlängerung. Wie Merz nun sagte, seien diese beschlossen und sollen am kommenden Dienstag in Brüssel in Kraft treten. Was da am kommenden Dienstag in Kraft tritt, sind aber keine extraschweren Sonder-Sanktionen von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen - sondern lediglich das 17. Sanktionspaket der EU, das ohnehin längst auf dem Gleis war. Macron beispielsweise hatte noch von "massiven Sanktionen" gesprochen, die zwischen Europäern und Amerikanern koordiniert würden.

Doch so wenig am Ende unterm Strich zu Buche stehen mag - Merz machte an dieser Stelle einen Punkt: "Jetzt soll mal jemand sagen, wir hätten uns in den letzten Tagen nicht genügend diplomatisch bemüht, diesen Krieg zu beenden." Genau das fordern viele, es mit Diplomatie zu versuchen. Selenskyj habe "enormes Entgegenkommen" gezeigt. "Wer sich allein ins Unrecht setzt durch Nicht-Erscheinen ist Putin", so Merz. Tatsächlich glaubt kaum jemand, dass Putin ernsthaft Frieden will. Das hat auch die Reise nach Kiew entlarvt. Merz sagte, erst militärische Erschöpfung werde wohl den Frieden bringen.

Haarspalte-Skills

Auch bei den anderen Themen zeigte sich, dass nicht alles sofort geht. Bei der Migration kreiste Merz um die rechtlichen Schwierigkeiten bei den Zurückweisungen. Muss man nun eine Notlage erklären, um Asylbewerber abweisen zu können? Und ist es schlau, die Polen zu verärgern, indem man Menschen wieder zu ihnen zurückschickt? Merz zeigte hier seine Haarspalte-Skills: Man schicke niemanden zurück, der nach Deutschland eingereist sei, sagte er. Man lasse einfach niemanden rein. Das sei ein Unterschied. Ob Tusk das genauso sieht?

Als es um die Wirtschaft ging, wurde der Ökonom Jens Südekum eingespielt. Der forderte, die geplanten Super-Abschreibungen für Konzerne müssten jetzt schnell kommen. Merz sagte, sie sollten noch für dieses Jahr möglich werden. Mehr Zeit widmete er den Beiträgen für Rente, Pflege und Arbeitslosigkeit, die vor allem kleinere und mittlere Einkommen viel stärker belasten als die Steuern. Es müssten Korrekturen vorgenommen werden, damit die Sozialversicherungssysteme bezahlbar und leistungsfähig blieben. Er habe noch keine Antwort darauf, wie das gehen soll, sagte er. Es ist aber auch eine Frage, die der Quadratur des Kreises gleicht. Ein Schritt sei die Geldanlage für Kinder, die seine Regierung einführen wolle.

Wie in der Regierungserklärung spielte auch der Klimaschutz erst am Ende eine Rolle. Merz sagte, wenn er nach Umfragen gegangen wäre, hätte er im Bundestag gar nicht mehr darauf eingehen dürfen. Die Menschen hätten sich davon abgewandt, weil die Grünen das Thema "übermoralisiert" hätten und Klimaschutz mit erhobenem Zeigefinger gemacht hätten. Dem setzte er dann aber nicht viel entgegen, außer dem Schlagwort von der Technologieoffenheit und dem steigenden CO2-Preis. Was ein bisschen wenig ist, denn Deutschland ist noch nicht auf dem Weg, 2045 wirklich klimaneutral zu werden.

Merz profitierte davon, dass niemand sonst im Studio war und er sich den Fragen in Ruhe widmen konnte. So erlebte er einen guten Abend, auch für sich selbst. Er trat weniger wie der Wunderheiler auf, eher wie einer, der die Probleme zu verstehen sucht und sachliche Lösungen finden will. Dabei wirkte er einigermaßen nahbar, wie der nette Bundeskanzler von nebenan. Das könnte ihm Pluspunkte bringen. Denn neben den etlichen Problemen und Krisen, die Merz als Kanzler managen muss, hat er noch eine zweite Nebenmission: Seine eigene Beliebtheit steigern. Denn da ist noch ziemlich viel Luft nach oben.

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