Thomas Tuchel übernimmt am 1. Januar offiziell als erster Deutscher das Traineramt der englischen Fußball-Nationalmannschaft. Warum unser Autor das absurd findet.
"Hei! Nicht im Tor! Kein Tor! Oder doch? Jetzt, was entscheidet der Linienrichter? … Tor! … Oh, ist das bitter." Rudi Michels Kommentar zum sogenannten Wembley-Tor ist legendär. Was war passiert? Englands Geoff Hurst hatte im WM-Finale 1966 gegen Deutschland die Latte getroffen, der Ball prallte ab und kam eindeutig vor der Torlinie auf. Der Treffer wurde trotzdem gegeben – und England war zum ersten und bislang letzten Mal Fußballweltmeister.
Dieser Moment bleibt für die Ewigkeit, er ist Fußballgeschichte und trägt maßgeblich zur sportlichen Rivalität zwischen England und Deutschland bei, die bis heute anhält. Nun kommt es jedoch zu einem Tabubruch in dieser historischen Konkurrenz: Thomas Tuchel übernimmt als erster Deutscher das Traineramt bei den "Three Lions". Und man fragt sich: Was soll das?
Warum gilt für Tuchel eine Ausnahme?
Nach der Ernennung Tuchels zum England-Coach im Oktober 2024 brachte der "Mirror" das Problem auf den Punkt: "Das bedeutet, dass die Nationalmannschaft von einem Trainer des größten Rivalen Englands geleitet wird, da zum ersten Mal ein Deutscher das Kommando übernimmt."
In den Jahrzenten nach dem Wembley-Tor folgten für die Engländer nämlich bittere, ja traumatisierende Niederlagen gegen Deutschland. Keine andere Fußballnation hat die "Three Lions" häufiger geschlagen. Bis zum englischen Sieg bei der EM 2020 bescherten die Deutschen der Insel einen kollektiven Fußball-Albtraum.
Presseschau Thomas Tuchel 11.50
Und das alles soll den Fans auf einmal egal sein? Absurd. Dass manche Engländer angesichts der Fußballhistorie keinen Deutschen auf ihrer Trainerbank haben wollen, ist doch mehr als verständlich.
Klar, den überzogenen Patriotismus und die unangebrachten Weltkriegsvergleiche, gepusht von der britischen Boulevardpresse, braucht es nicht. Die sportliche Rivalität hingegen gehört zwischen diesen großen Fußballnationen einfach dazu.
Deutschland gegen England ist eines der geschichtsträchtigsten Duelle bei Europa- und Weltmeisterschaften. Doch die Begegnung verliert ihren Reiz, wenn plötzlich ein Deutscher die Engländer coacht. Ein absolutes No-Go. Deutsche Spieler können ohne englische Staatsbürgerschaft auch nicht einfach zu den "Three Lions" wechseln. Warum gilt hier für Trainer eine Ausnahme? Es ist unbegreiflich.
Rivale bleibt Rivale
Ist uns im Fußball denn keine Rivalität mehr heilig? Würde auf Vereinsebene etwa ein Trainer mit Schalker Vergangenheit bei Dortmund anheuern, wären die Fans stinksauer – und das zu Recht. Umso mehr sollte dieses Prinzip bei Nationalmannschaften gelten. Rivale bleibt Rivale. Der Fußball lebt von einer gesunden Konkurrenz zwischen Klubs und Nationen, das macht den "Thrill" aus. Ohne wäre es langweilig.
Dass die englische Football Association (FA) sich dennoch für Tuchel, einen Deutschen, als Trainer entschieden hat, zeugt von einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Fußballgeschichte – und ist respektlos gegenüber den Fans. Die Verantwortlichen haben dabei die jahrzehntelange, leidenschaftliche Rivalität zwischen Deutschland und England gänzlich ignoriert. Taktik statt Tradition. Eine traurige Tendenz, die sich im Fußball breitmacht.