Friedrich Merz meidet zunehmend streitbare Positionen. Das erinnert nicht nur an eine prominente Vorgängerin. Das ist gefährlich – für die Demokratie und für seine Kandidatur.
Friedrich Merz saß am Mittwochabend in der Sendung von Sandra Maischberger. Das war ein passendes Format für ihn, um den Deutschen zu zeigen, dass er nicht jener Lord Voldemort des Neoliberalismus ist, als den ihn die SPD hinzustellen versucht. Leider wirkte der Kanzlerkandidat der Union mal wieder ein bisschen zu sehr so, als wolle er es allen recht machen. Als wäre dieser Friedrich Merz nicht der Chef der Union, sondern der UN.
Beispielhaft zeigte sich das an seiner Empörung über Christian Lindner, der sich kürzlich dafür ausgesprochen hatte, in Deutschland "mehr Milei" zu wagen, Politik hierzulande also in etwa so disruptiv zu denken, wie der argentinische Präsident das in verstörendem Maße tut. Er sei "entsetzt" gewesen, als er das gehört habe, sagte Merz bei Maischberger, was erst einmal sympathisch klang, aber genauso gut auch aus dem Munde führender Sozialdemokraten hätte kommen können. Das kann für die CDU nicht der richtige Weg sein.
Merz ist Vorsitzender seiner Partei und ihr Kanzlerkandidat geworden, weil er für Veränderung stand und wie die Ideallösung wirkte, um der Union ihre Kantigkeit zurückzubringen. Mittlerweile meidet er auf so ziemlich jedem sensiblen Feld streitbare Positionen.
Anders als früher traut sich Merz nicht mehr die Forderung zu wiederholen, das Renteneintrittsalter anzuheben. Von einer großen Steuerreform ist er schon lange weg. Er würde als Kanzler womöglich doch die Schuldenbremse reformieren und wohl ebenfalls davon absehen, der Ukraine den Taurus zu liefern. Sogar die Grünen, die er noch im vergangenen Jahr zu einem "Hauptgegner" erklärte, sind auf einmal irgendwie nicht mehr so schlimm.
Merz, der die Wurschtigkeit Angela Merkels vergessen machen sollte, wirkt auf einmal so, als eifere er ihr nach.
Es reicht nicht, vom Kurswechsel immer nur zu reden
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Javier Milei ist ein problematischer Präsident. Und wer Kanzler werden will, darf nicht nur seine eigene Fanbase im Blick haben, sondern die gesellschaftliche Mitte. Aber Merz' Anziehung in- und außerhalb seiner Partei basiert auf seinem Image als change manager. Es reicht nicht, vom Kurswechsel immer nur zu reden, ohne das inhaltlich auch wirklich zu unterlegen. Wer als Reformer antritt, sollte Positionen halten können, auch wenn sie anderen mal weh tun.
Im Falle von Milei heißt das: Man kann ihn scharf kritisieren und trotzdem seinen Ansatz für diskutabel halten, ein paar politische Grundsätze mal radikal infrage zu stellen. In Deutschland passiert das zu wenig.
Im Schlafwagen zieht niemand ins Kanzleramt ein
Wenn Merz aus Angst davor, auf den letzten Metern vor dem Kanzleramt anzuecken, nun Positionen räumt, denen er sein Comeback zu verdanken hatte, zeugt das nicht nur von politischer Feigheit. Es ist auch taktisch riskant. Immer mehr Menschen sind drauf und dran, das demokratische Lager Richtung ganz weit rechts zu verlassen. Merz ist eine Schlüsselfigur, wenn es darum geht, diese Wähler in der Mitte zu halten. Je stärker sie aber den Eindruck bekommen, er sei in Wahrheit ein Politiker wie jeder andere, desto enttäuschter könnten sie sich abwenden.
Umfragen Kanzlerfrage Stimmverteilung Grafiken 18.15
Noch sind es zweieinhalb Monate bis zur Wahl. Noch hat Merz die Chance für Unterscheidbarkeit zu sorgen und zu belegen, dass er den "Kurswechsel", den er fortwährend verspricht, auch inhaltlich zu füllen vermag. Seine Partei arbeitet gerade am Wahlprogramm.
Aber die politischen Zeiten sind unruhig. Sollte es Merz darauf anlegen, nur bloß keinen Fehler zu machen, um irgendwie ins Ziel zu kommen, könnte das schiefgehen. Im "Schlafwagen" werde niemand ins Kanzleramt einziehen, rief Markus Söder einst Armin Laschet entgegen. Daran sollte sich Friedrich Merz erinnern. Denn Söder hatte recht.