2 days ago

Lieferkettengesetz: Bürokratiemonster oder Menschenrechtsschutz?



Stand: 04.01.2025 16:38 Uhr

Seit einem Jahr gilt das Lieferkettengesetz auch für Unternehmen mit 1.000 bis 3.000 Mitarbeiter. So kompliziert der Name des Gesetzes klingt, so kompliziert empfinden viele dessen Anwendung.

Von Roman Warschauer, hr

Die Firma Biotest aus Dreieich im Kreis Offenbach produziert aus menschlichem Blutplasma Medikamente, die etwa auf Intensivstationen zum Einsatz kommen. Rund 2.500 Menschen arbeiten für das Unternehmen - damit gilt für Biotest seit Anfang 2024 das Lieferkettengesetz. Denn seitdem fallen auch Firmen mit 1.000 bis 3.000 Beschäftigten darunter.

Kosten im mittleren sechsstelligen Bereich

Bereits 2022 habe man begonnen sich darauf vorzubereiten, sagt Unternehmenssprecher Dirk Neumüller. "Wir gehen davon aus, dass wir dafür Kosten im mittleren sechsstelligen Bereich in den vergangenen Jahren hatten." So wurde extra eine Mitarbeiterin eingestellt, die auch die gesetzliche vorgeschriebene Menschenrechtsbeauftragte ist.

Zudem waren und sind immer wieder einzelne Abteilungen im Unternehmen damit beschäftigt, den Anforderungen des Gesetzes nachzukommen. Fragebögen wurden entwickelt, um Informationen von den Zulieferern über die jeweiligen Arbeitsbedingungen zu erhalten. Darüber hinaus musste Biotest Methoden entwickeln, wie mit einem eventuellen Menschenrechtsverstoß in der Lieferkette umzugehen ist.

Bußgeld als Anreiz für Unternehmen

Julia Hentschel ist Professorin und Expertin für Lieferketten an der EBS Universität in Oestrich-Winkel. Auch sie sieht in der deutschen Umsetzung des Lieferkettengesetzes einen hohen bürokratischen Aufwand. "Hätte man nicht etwas viel einfacheres nehmen können?", fragt sie.

Stattdessen schlägt sie vor, die drohenden Geldbußen bei Menschenrechtsverstößen in der Lieferkette beizubehalten, die aufwändige Dokumentations- und Berichtspflicht aber abzuschaffen. Denn: "Das Bußgeld ist ein hoher ökonomischer Anreiz für die Unternehmen, tatsächlich darauf zu achten, dass alles korrekt gemacht wird", erklärt Hentschel.

Kontrolliert wird die Einhaltung das Lieferkettengesetzes vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz BAFA. Die Behörde mit Sitz in Eschborn bei Frankfurt geht davon aus, dass seit der Neuregelung Anfang 2024 bundesweit 5.200 Unternehmen der Berichts- und Dokumenationspflicht nachkommen müssen. Allerdings sind die Kontrollen durch das Bundesamt bis Anfang 2026 ausgesetzt. Hintergrund dafür ist, dass ein europäisches Lieferkettengesetz in nationales Recht umgesetzt werden muss.

5.200 Unternehmen fallen unter das Gesetz

Dass die Berichte der Unternehmen derzeit nicht kontrolliert werden, ist nach Ansicht von Dirk Neumüller vom Arzneimittelhersteller Biotest aber keine Entlastung für sein Unternehmen. Man sei börsennotiert, betont er, und man müsse sich an Recht und Gesetz halten. "Wir können keinen Gesetzesverstoß begehen, nur weil es nicht kontrolliert wird", sagt Neumüller. Das sei eine schwierige Situation für das Unternehmen.

Dabei betrifft das Lieferkettengesetz in Deutschland nicht nur die 5.200 Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern, sondern indirekt auch noch kleinere Betriebe - so wie den Chemikalienhändler A+E Fischer aus Wiesbaden mit insgesamt nur 80 Beschäftigten.

Das Unternehmen ist selbst Teil der Lieferkette, versorgt nach eigenen Angaben große Firmen wie BASF oder EVONIK. Von diesen wiederum wird der Chemikalienhändler zu den eigenen Lieferanten befragt, mithilfe von Fragebögen. "Ich muss hier effektiv Mitarbeiter einstellen, die sich nur mit diesen Fragebögen beschäftigen", beklagt Geschäftsleiter Manuel Fischer-Bothos. Das sei völlig unproduktiv.

Sorgfalt führt zu Verbesserungen bei sozialen Standards

Ziel des Lieferkettengesetzes ist es, die Menschenrechtssituation in den Lieferketten zu verbessern und Verstöße gegen die Menschenrechte zu verhindern. Aber kann das deutsche Gesetz das auch leisten? Noch sei es zu früh für eine genaue Analyse, sagt Professorin Hentschel. Ganz generell zeige sich aber, wenn ein Unternehmen auf Sorgfalt in der Lieferkette Wert lege, "dann führt das zu einer Verbesserung ökologischer und sozialer Standards bei den Lieferanten."

Viele Firmen, für die direkt oder indirekt das Lieferkettengesetz gilt, schauen nun mit Spannung auf die Bundestagswahl im Februar. Sie erhoffen sich danach mehr Klarheit: Wie geht es mit den Kontrollen weiter? Bleibt das Gesetz grundsätzlich bestehen und welche Änderungen wird ein europäisches Lieferkettengesetz mit sich bringen?

Adblock test (Why?)

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2025. All rights are reserved