Letzter Überlebender: Er verbrannte Hitlers Leiche – Rochus Misch blieb bis zuletzt beim "Chef"

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Rochus Misch harrte bis zum Ende im Führerbunker aus und verbrannte Adolf Hitlers Leiche. Später erklärte er immer wieder, was für ein netter Mann der Diktator gewesen sei.

Rochus Misch gehörte zur Gruppe von Hitlers Leibwächtern, den Männern des Führerbegleitkommandos. Das Kommando war eine Eliteeinheit der SS, die für den persönlichen Schutz Hitlers und die Sicherheit seiner Aufenthaltsorte wie der Berliner Reichskanzlei, der Wolfsschanze in Ostpreußen oder des Berghofs in den Berchtesgadener Alpen zuständig war. Die Mitglieder wurden sorgfältig ausgewählt und genossen absolutes Vertrauen.

Berühmt wurde Misch, weil er bis zuletzt im Führerbunker ausharrte. In den letzten Wochen des Krieges war der Führerbunker ein Ort der Verzweiflung und Isolation. Enge Räume, ständige Bombeneinschläge und die Aussicht auf die Niederlage prägten das Leben der Insassen. Misch blieb trotz der Gefahr. Er war einer derjenigen, die die Leichen des Diktators und seiner Ehefrau Eva Braun in ihrem Zimmer fanden und die sterblichen Überreste gemeinsam mit Hitlers Chauffeur Erich Kempka im Innenhof der Reichskanzlei verbrannten.

Nach 2009 war Misch der einzige Überlebende aus Hitlers innerer Entourage. Weil alle ranghöheren Adjutanten gestorben waren, wurde er zu einem gefragten Interviewpartner. Mischs Schilderungen stießen auf geteiltes Echo. Einige Historiker schätzten seine Einblicke in Hitlers Alltag, andere kritisierten seine naive Verharmlosung des Diktators. Seine Weigerung, die Verbrechen des Regimes anzuerkennen, machte Misch zu einer umstrittenen Figur. Zwar zierte er sich zunächst bei Interviewanfragen, doch sein Lebensinhalt bestand darin, über die Zeit mit Hitler zu sprechen.

Laut den Erinnerungen seiner Tochter Brigitta Jacob-Engelken war das nicht immer so. Erst im hohen Alter habe sich Misch in die Vergangenheit vertieft. Irgendwann habe er einen Koffer mit alten Fotos hervorgeholt, der jahrelang unberührt geblieben war, und sei in die Welt des Bunkers, der Wolfsschanze und des Berghofs versunken, erzählte sie in einer TV-Dokumentation.

Rochus Misch verschickte signierte Fotos an seine FansRochus Misch verschickte signierte Fotos an seine Fans

Hitler, der Chef und der Haushalt

Rochus Misch wurde 1917 in Oppeln, Oberschlesien, geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern wuchs er als Waise auf, was seine Entscheidung prägte, eine sichere Karriere als Beamter anzustreben. Vor seiner Zeit bei der SS arbeitete er als Maler und Lackierer. Von Hitler sprach Misch stets nur als "der Chef" – so nannten alle Mitglieder des Haushalts den Diktator. Misch hatte in diesem Kosmos eine besondere Rolle. Er gehörte weder zu den offiziellen Amtsträgern noch zu den unsichtbaren Dienstkräften wie den "Berghofmädels", die die Zimmer in Ordnung hielten. Dazwischen gab es einen weiteren Kreis, der ein fast familiäres Verhältnis zu Hitler pflegte. Dazu zählten der Kammerdiener, die Sekretärinnen, die Köchin, die Hausverwalter des Berghofs sowie die Leibwächter oder "Begleiter", wie Misch sie nannte.

Zu ihnen stieß Misch 1940. Nach einer schweren Verwundung bei Kämpfen in Polen wurde er aufgrund seiner Verletzung und seiner Zuverlässigkeit als SS-Mitglied für den Dienst im Führerbegleitkommando ausgewählt – eine Aufgabe, die weniger körperliche Belastbarkeit erforderte. Eine Einweisung gab es nicht. In Hitlers Münchner Wohnung erhielt Misch ein Zimmer und das war's. "Ich lebte nur noch in Angst. Ich war ja in der Führerwohnung. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte", erinnerte er sich. Die Leibwächter waren Mädchen für alles in Hitlers Haushalt. Mischs erster Auftrag bestand darin, einen Brief für die Schwester des Diktators nach Wien zu bringen. "Ich hatte solche Angst vor Hitler. Und dann stand ich einen Meter von ihm entfernt. Da war er für mich kein Übermensch mehr, sondern ein ganz normaler Mensch."

In unzähligen Interviews verfolgte Misch offenbar eine Mission: zu beweisen, wie nett Hitler gewesen sei. "Er war ein wunderbarer Chef", betonte er. "Ich habe fünf Jahre bei ihm gelebt. Wir waren die engsten Leute, die mit ihm gearbeitet haben … Wir waren immer da. Hitler war Tag und Nacht nie ohne uns." Ob Misch zu beschränkt war, um die schreckliche Realität des Diktators jenseits von Teestunden und Zeitungslektüre zu erkennen, ist schwer zu beurteilen. Letztlich erzählte er Reportern, was diese hören wollten: Berichte aus der Schlüssellochperspektive eines Dienstboten. Immer wieder schilderte er dieselben Anekdoten, gegen Ende seines Lebens in einem gequälten, leicht hysterischen Ton. Hitler, der nette Mann – das war die Botschaft von Rochus Misch.

Folter in Gefangenschaft

Nach Kriegsende geriet Misch gemeinsam mit dem Chauffeur Kempka in sowjetische Gefangenschaft. Beide hatten Hitlers Leiche verbrannt. Nach seiner Gefangennahme 1945 wurde Misch in die berüchtigte Lubjanka in Moskau gebracht. Dort wurde er über Jahre hinweg verhört und gefoltert, da die Sowjets glaubten, er verheimliche Informationen über Hitlers Tod oder mögliche Fluchtpläne. Er erzählte gern, dass er irgendwann einen Brief zurückerhielt, den er an Stalins Geheimdienstchef Beria geschrieben hatte. Lachend berichtete er, darin gebeten zu haben, erschossen zu werden, weil er die Folter nicht mehr ertrug.

Misch Eintritt in die SS 1937 hatte angeblich wenig politische Gründe. Er war Waise, und ein Verwandter habe ihm geraten, Beamter zu werden, da er sonst allein auf der Welt sei, sagte er. Das klingt wenig glaubhaft. Andererseits heiratete Misch in eine "rote" Familie. "Mein Schwiegervater war ein Ur-SPDler, schon vor dem Ersten Weltkrieg. Das interessierte niemanden. Ich wurde nie danach gefragt. Meine Frau war nicht einmal im BDM. Sie hatte sogar einen Ausweis für die Führerwohnung", erklärte er. Durch seinen Schwiegervater war Misch gut über die für das Reich ungünstige Kriegslage informiert.

In seinen Erzählungen mischten sich patente Überlebensschlauheit und hündische Ergebenheit gegenüber Hitler. Warum er so lange im Bunker ausgeharrt habe, obwohl seine Familie in der Nähe wohnte? Darauf antwortete Misch lakonisch, Weglaufen sei ihm zu gefährlich gewesen. Überall seien SS-Jagdkommandos unterwegs gewesen, die ihn am letzten Tag noch aufgeknüpft hätten.

Hitler, der nette Mann

Aber vor allem betonte Misch gern, was für ein guter Mensch Hitler gewesen sei. Leutselig habe sich der Führer um das Wohl seiner Angestellten gekümmert. Zu Mischs Hochzeit steuerte Hitler demnach 1000 Mark und 40 Flaschen Wein bei. Von "der Eva" habe das Paar Kleider und einen Kinderwagen bekommen, als Mischs Frau schwanger wurde. Für seine Leibwächter habe Hitler eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen und fast entschuldigend gesagt, mehr könne er leider nicht tun. Als die Sowjets Berlin umzingelten, habe Hitler einen Platz in einem der letzten Flugzeuge freigehalten, damit Mischs Frau aus der Stadt gebracht werden konnte. Zu Beginn seiner Tätigkeit als Leibwächter sei er von Kameraden ermahnt worden, nie grob zu Passanten zu sein. "Sehr vorsichtig sein. Nicht Leute zur Seite boxen. Der Führer sieht das", warnten sie.

Hitler beim Abendessen mit Eva BraunHitler beim Abendessen mit Eva Braun
© Express Newspapers

Misch war vor allem ein Zeuge des alltäglichen Lebens in Hitlers Umgebung. Wer zum inneren häuslichen Kreis gehörte, sei eben dabei gewesen, erklärte er, warum er zahlreiche private Fotos in Hitlers Nähe aufnehmen durfte. Das bedeutete jedoch nicht, dass die Leibwächter Gleichgestellte waren. "Wir waren zwar seine Nächsten, aber seine Gesprächspartner waren wir nicht. Dafür gab es die Adjutanten. Wenn Hitler etwas wollte, sagte er es denen, und wir waren die Ausführenden."

Dazu kamen Beobachtungen aus der Dienstbotenwelt. Über den Englandflug von Rudolf Hess war Misch gut informiert, da er eng mit dessen Diener befreundet war. An eine angebliche Affäre Hitlers mit der NS-Filmemacherin Leni Riefenstahl konnte Misch nicht glauben. Hitler sei nicht einmal aus seinem Arbeitszimmer gekommen, als sie filmte, erinnerte er sich.

Hitler habe nie über den Holocaust gesprochen, behauptete Misch. "Ich wusste von Dachau und allgemein von Konzentrationslagern", sagte er der BBC. Doch die Dimensionen seien ihm unbekannt gewesen. Lieber erzählte er von dem einen Mal, als er Hitler weinen sah. Eine Träne habe der Führer weggedrückt, als er eine Platte von Joseph Schmidt hörte, einem jüdischen Sänger. In Mischs verquerer Logik war dies ein Beweis, dass Hitler nichts gegen Juden gehabt habe. Schmidt starb jedoch im Elend, nachdem er vor den Nazis hatte fliehen müssen.

Leben in der Vergangenheit

Nach Krieg und Gefangenschaft übernahm Misch ein Farbengeschäft in der Nähe des Führerbunkers. Im Alter geriet er zunehmend in den Bann der Vergangenheit. Seine Tochter brach den Kontakt zu ihm ab und zog nach Israel. Das ewige "Hitler hier und Hitler dort" habe sie nicht mehr ertragen, bekannte sie in der Dokumentation "Der letzte Zeuge". Erschwerend kam hinzu, dass Mischs Frau nicht nur Sozialdemokratin, sondern auch jüdischer Abstammung war. Ihre Großmutter habe ihr das anvertraut, sagte die Tochter. Ein Priester habe das Taufbuch gefälscht, um der Familie eine protestantische Herkunft zu verschaffen. Ein Hauptgrund für das Zerwürfnis war demnach, dass Misch diesen Umstand stets ignorierte.

Misch machte lieber seinen Frieden mit dem Krieg und seinem "Chef". So wurde er zur Berühmtheit. Immer wieder wurde er mit denselben Fragen interviewt, und immer wieder schilderte er, wie er das Bunkerzimmer betrat: "Ich sah Hitler mit dem Kopf auf dem Tisch zusammengesackt. Eva Braun lag auf dem Sofa. Ihre Knie waren fest an die Brust gezogen." Wirklich erschüttert wirkte Misch nur, wenn er von der Ermordung der Goebbels-Kinder im Bunker sprach. Politisch betätigte er sich nie, noch mischte er in der Kameradschaftsszene der Waffen-SS mit. Wie viele prominente Kriegsveteranen stieg auch Misch gegen Ende seines Lebens in das Autogrammgeschäft ein und versah düstere Drucke des Bunkers gut gelaunt mit seiner Unterschrift. 2013 starb Misch in einem Krankenhaus nahe dem Brandenburger Tor, nur wenige Kilometer vom ehemaligen Standort des Führerbunkers entfernt.

Quellen: The Last WitnessU.S. Holocaust Memorial Museum