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Krypto-Betrug: Verbrechen, bei denen es nur Opfer gibt



Stand: 11.11.2024 06:32 Uhr

Rund 70 Milliarden Euro Schaden richtet der Betrug mit Krypto-Anlagen weltweit an, nahezu täglich gibt es auch in Deutschland neue Opfer. Doch in vielen Fällen sind auch die Täter Opfer. Von Sabina Wolf.

Von Sabina Wolf, br

Rund 70 Milliarden Euro Schaden richtet der Betrug mit Krypto-Anlagen weltweit an, nahezu täglich gibt es auch in Deutschland neue Opfer. Doch in vielen Fällen sind auch die Täter Opfer.

Es sind psychologisch geschickt ausgearbeiteten Methoden, mit denen die Opfer zum Geldanlagen in Krypto-Währungen verleitet werden - auf betrügerischen Online-Plattformen. In industriellem Maßstab würden diese Angriffe mittlerweile stattfinden, so Interpol Generalsekretär Jürgen Stock. Bis zu 70 Milliarden Euro würden weltweit so erzielt werden. "Das ist ein Multi-Milliarden Geschäft", so Stock.

Er beobachtet, dass dies aus Betrugszentren heraus geschehe - an Orten, wo staatliche Überwachung schwächer ausgeprägt sei: "Von dort aus finden systematische Angriffe auf potenzielle Opfer sozusagen rund um den Erdball statt."  Opfer gebe es auch in Deutschland zuhauf, wobei zunehmend Künstliche Intelligenz zum Einsatz komme, um Deep Fakes von Stimmen, Bildern und Videos herzustellen, erklärt der Interpol-Chef. Doch auch die, die die Taten begehen, seien oft selbst Opfer, so Stock.

Cybersklaven, die Beziehungen vorgaukeln

Einer von ihnen war Abdus S., aus Bangladesch, eingesperrt in einem sogenannten Betrugs- oder Scammer-Compound in Kambodscha - er war ein Cybersklave. Eine Stellenanzeige einer vermeintlichen IT-Firma mit einem Monatsverdienst von 1.000 Euro war für ihn zu verlockend. Deshalb verließ er im März seine Heimat. Doch schnell wurde ihm klar, dass er von einem Vermittler für 3.500 US-Dollar als Sklave verkauft worden war.

Denn: Aus dem Gelände, auf dem er arbeitete, habe es kein Entkommen gegeben. "Es war sehr gut gesichert", berichtet Abdus S. Ein Selfie zeigt ihn in einem Art Hotelkomplex in Dara Sakor. Im Interview mit plusminus berichtet er von fürchterlichen Arbeitsbedingungen: "Kaum Schlaf. Nachtarbeit - bei brüllend lauter Musik."

Er habe Menschen im Westen Beziehungen vorgaukeln müssen. Oberstes Ziel war es, seine Opfer zu Investments in den Fake-Krypto-Börsen der Bosse zu verleiten. Dabei mimte er mal Mann, mal Frau, und musste sich einen westlichen Vor- und asiatischen Nachnamen geben, so die Vorgabe. Um seine Datenspuren zu verwischen, habe er verschiedene Telefonkarten nutzen und zahlreiche Accounts gleichzeitig bedienen müssen.

"Moderne Sklaverei"

Die kriminellen Gangs locken meist gut ausgebildete Menschen aus Süd- und Südostasien. Sie haben meist wenig Chancen auf den Arbeitsmärkten in ihren jeweiligen Heimatländern. Ihnen werden vielversprechende Jobangebote unterbreitet - und landen in der Sklaverei. Die Gangs machen aus ihren Opfern Menschen, die andere bestehlen.

Sie haben für diese perfide Art von Anlagebetrug den Begriff Pig Butchering geprägt, "Schweine schlachten". Cybersklaven füttern ihre Opfer an, um sie dann - sinnbildlich gesprochen - zu schlachten, erläutert Mina Chiang, Gründerin und Leiterin des Beratungsunternehmens Human Research Consultancy. Mina Chiang arbeitet mit ehemaligen Opfern wie Abdus S. und berät Behörden im Kampf gegen Pig Butchering.

So beobachten sie und ihr Team etwa die Kommunikation der Kriminellen - wie diese zum Beispiel über den Handel mit Menschen sprechen: "Verfügt über einen Reisepass" und "machen keinen Ärger" heißt es in einem Dialog, den sie zeigt. "Das ist moderne Sklaverei", sagt Mina Chiang und zeigt aus Folter-Compounds herausgeschmuggelte Fotos und Videos, die Zeugnis der unglaublichen Brutalität der kriminellen Hinterleute seien.

"Menschen begehen Selbstmord. Wenn man weiterverkauft wird, behandeln sie einen noch viel schlechter. Das ist Horror! Deshalb versuchen viele, einfach zu überleben und tun, was man ihnen befiehlt". Auch Interpol-Generalsekretär Stock kennt Berichte wie diesen und erzählt von Opfern, die nach Weiterverkäufen sogar "im illegalen Organhandel gelandet sind".

Perfide Psycho-Tricks beim Cyber-Betrug

Auch der 33-jährige Münchner Geschäftsmann Peter* ist ein Betrugsopfer. Über eine Dating-Plattform erreicht ihn die Anfrage der 32-jährigen Chinesin Annie. Sie betreibe ein Restaurant; gibt vor, die gleichen Hobbys wie Peter zu haben und ebenfalls in München zu leben - im Haus der Schwester, die nach Berlin geheiratet habe. Man kommt sich näher, Fotos werden hin- und her geschickt. "Du bist so hübsch" sagt Peter, und Annie fragt: "Welche Art von Beziehung suchst Du? Ich nur etwas Ernstes, mit Vertrauen und Familie."

Geschickt lässt Annie einfließen, sie habe ihre finanziellen Verluste im Gastrogeschäft während der Corona-Lockdowns durch Investitionen in Krypto-Währungen nicht nur aufgefangen, sondern große Gewinne eingefahren. Treffen könne man sich später, sie sei gerade in China, so Annie. Peter fällt nicht auf, dass er nach strikter Anleitung abgefertigt wird: Geborgenheit vermitteln für Alleinstehende, virtuelle Kuscheleinheiten, geschickt das Gespräch auf Geldanlage umleiten. Und auf die Krypto-Plattformen.

Abdus S. berichtet, die betrügerischen Plattformen zeigten Phantasiegewinne an. Auch die Fake-Plattform, auf der Peter landete, ist so programmiert. Wenn nach dem Dafürhalten der Aufseher die Opfer nicht weiter geschröpft werden können, sind Geldausbuchungen nicht mehr möglich. Am Ende verliert der Geschäftsmann mehrere Tausend Euro.

Ermittlungen mit großen Hürden

Nino Goldbeck, Oberstaatsanwalt bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern, betont, ganz Deutschland sei betroffen, doch die Ermittlungen seien schwierig: "Das sind Straftaten, die im fremden Territorium erfolgen, für die wir hier in Deutschland eigentlich gar nicht zuständig sind, aber die sich natürlich auswirken dahingehend, dass hier bei uns die Opfer der Betrugsstraftaten sitzen."

Er hat den Fall von Peter auf dem Tisch. Die Datenspuren führen, wie so oft, nach Südostasien. Um die Ermittlungen in den vielen Fällen voranzutreiben, hat das bayerische Justizministerium mit Interpol, bei dem Informationen von Polizeien aus 196 Ländern zusammenfließen, eine Vereinbarung geschlossen. Sie soll die internationale Zusammenarbeit erleichtern. "Ohne Partner, ohne internationale Vernetzung und Kooperation können unsere Strafverfolger nicht erfolgreich sein", betont Bayerns Justizminister Georg Eisenreich.

Sanktionierung von Hinterleuten?

Die USA gehen zusätzlich einen anderen Weg bei der Bekämpfung von Pig Butchering. US-Behörden wollen einen Geschäftsmann aus Kambodscha als Hintermann identifiziert haben und ihn deshalb auf die US-Sanktionsliste OFAC gesetzt. Der Geschäftsmann sagt, er habe nichts mit Pig Butchering zu tun.

Auch in der EU gibt es ein Cyber-Sanktionsregime. Eine Listung setzt jedoch Cyber-Angriffe mit erheblichen Auswirkungen voraus, die eine äußere Bedrohung für die Union oder ihre Mitgliedstaaten darstellen, so die allgemeine Rechtsauffassung. Ob man sich in dem Zusammenhang auf EU-Ebene einsetze, um Pig Butchering zu bekämpfen, ließ die Bundesregierung auf Anfrage unbeantwortet.

*Name von der Redaktion geändert

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