CSU-Chef Söder spricht von einem "Notartermin", Kanzler in spe Merz von großer Ernsthaftigkeit und bevorstehender Arbeit. Der SPD-Vorsitzende Klingbeil sieht eine "Bringschuld" der künftigen Regierung. In Berlin unterzeichnen die Parteichefs den Koalitionsvertrag. Dabei schwingt eine klare Botschaft mit.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, selbst diesem: In Berlin haben Union und SPD ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Das Drumherum war schmucklos - einen für Veranstaltungen umgebauten alten Gasometer in Schöneberg hatten die Parteien dafür ausgewählt. Alles daran war schlicht, das sprichwörtliche Lametta gab's nicht: keine Musik, keine Blumensträuße, keine aufwendige Moderation oder gar Lichteffekte. Das Aufregendste an diesem Vormittag war das lang geschwungene "F", das Merz für seinen Vornamen verwendete.


Merz (oben links), Klingbeil (oben rechts), Söder (unten links) und Esken (rechts) unterschrieben den Vertrag.
(Foto: picture alliance / photothek.de)
"Wir nehmen den Arbeitsauftrag an", sagte der Kanzler in spe ganz nüchtern, einen Tag bevor der Bundestag ihn zum Bundeskanzler wählen soll. CSU-Chef Markus Söder sprach von einem "Notartermin", der aber der Start für eine "neue Verantwortungsgemeinschaft" sei. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagte, die neue schwarz-rote Regierung habe eine "Bringschuld". Co-Chefin Saskia Esken warnte vor der AfD. Die gemeinsame Aufgabe sei es, "diesem rechten Spuk ein Ende zu bereiten".
Auf der Bühne des Gasometers stehen drei Männer und eine Frau, die eines verstanden haben: Es ist nicht die Zeit für große Gesten, für Begeisterung, für Tam-Tam. Eher die Zeit, in Deckung zu gehen und das Schiff namens Deutschland flottzumachen - für die Stürme, die da noch kommen oder längst toben. 144 Seiten ist der Vertrag stark, der das leisten soll. Überschrieben ist er mit einem Motto, das so allgemein ist, dass es zu jeder Regierung jeder Couleur, jeder Zeit gepasst hätte: "Verantwortung für Deutschland".
Söder: Durch Leistung überzeugen
Die vier auf der Bühne versprechen vor allem eines: Grundtugenden. Seine Regierung werde vom ersten Tag an bemüht sein, verlässlich zu sein, sagt Merz. Zuversicht und Ernsthaftigkeit verspricht er. Klingbeil sagt, man wolle Vertrauen nicht durch Ankündigungen, sondern durch Taten gewinnen. "Es wird jetzt nicht alles über Nacht gehen", sagt Söder. "Ich verstehe die Skepsis", so der bayerische Ministerpräsident, der sich offenbar die jüngsten Umfragen angeschaut hat. "Wir wissen alle, dass wir durch Leistung überzeugen müssen."
Daraus soll wohl Bescheidenheit sprechen, eine Ärmel-Aufkrempel-Mentalität, ein "Wir haben verstanden". Indem sie nicht das Blaue vom Himmel verspricht, macht sich die Regierung klein. Das ist ein bewusster Kontrast zu dem Brimborium, das die Ampel-Koalition zu ihrem Start veranstaltete. Sie hatten einen coolen Slogan, der nach SPD und FDP zugleich klang ("Mehr Freiheit wagen") und wollten die ganz große Klimaschutz-Transformation hinkriegen. Doch auf den Rausch folgte der Kater. Nach dreieinhalb Jahren hatten SPD, Grüne und FDP das Vertrauen der Menschen verloren.
Die Opposition in Form der Union profitierte nur geringfügig davon. Stattdessen rannte ein Fünftel der Wähler zur AfD. Aus Protest, aus Wut, aus Überzeugung. Merz erschien ihnen offenbar nicht als glaubwürdige Option. Der ist wahrlich kein Jürgen Klopp der Politik, aber das muss er auch nicht sein. "Entscheidend ist das, was hinten rauskommt", sagte Helmut Kohl einst. "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", sagte Helmut Schmidt. Wenn diese Regierung geschlossen auftritt, verlässlich agiert und das umsetzt, was sie sich vorgenommen hat, wäre das nicht wenig. Aus diesem kleinen Anfang kann ein großes Oho werden.
Deutschland - ein Museum?
Dafür hat sie gar nicht mal so schlechte Karten. Die Trümpfe hat sie sich in Form neuer Schuldenmöglichkeiten selbst gegeben. Die Deutschen sind zwar Weltmeister darin, sich selbst kleinzureden, nur die Risiken zu sehen, die Probleme. Aber das Land steht deutlich besser da als vergleichbare Nachbarn wie Frankreich oder Großbritannien.
Nicht nur in Deutschland warten die Menschen auf neuen Schwung aus Berlin. Auch ganz Europa tut das seit sechs Monaten - mindestens. Das größte und stärkste Land der EU bekommt endlich wieder eine handlungsfähige Regierung. Aber auch darüber hinaus: Weltweit erklären manche ausgerechnet Deutschland nach dem Ausfall der USA zur wichtigsten Demokratie. Der Einsatz ist groß, aber diese Regierung hat auch alle Chancen, etwas zu erreichen. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt, ab morgen unser Land kraftvoll und planvoll zu regieren", sagte Merz.
Der künftige Bundeskanzler geht in seiner Rede auch auf den Ort der Unterzeichnung ein, das Gasometer in Schöneberg. Es handele sich um ein Industriemuseum, das gleichzeitig ein Platz modernster Forschung und Entwicklung sei. "Hier wird an der Zukunft gearbeitet auf dem Boden eines industriellen Denkmals." Das sei auch die Absicht seiner Regierung. Ein Vergleich mit doppeltem Boden: Gelingt das mit der Zukunft nicht wie gewünscht, droht Deutschland auf dem Rest sitzenzubleiben - ein Industriedenkmal ohne Zukunft zu sein.