
Die neue Bundesregierung hat viel vor. Vor allem will sie Wahlgeschenke machen und Reformen einleiten. Maybrit Illner diskutiert mit ihren Gästen über Stärken und Schwächen des neuen Koalitionsvertrages. CDU-Generalsekretär Linnemann sprüht vor Tatendrang.
Gerade haben Union und SPD den schwarz-roten Koalitionsvertrag veröffentlicht. Bei Maybrit Illner stellen CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig von der SPD, den Vertrag vor. Der bringt vor allem viele Geschenke mit. Einiges ist jedoch noch unklar, und alles steht unter einem Vorbehalt: Es muss genug Geld da sein. Die neue Bundesregierung startet in einer Krise. Deutschland steckt das dritte Jahr in einer Wirtschaftsrezession, der amerikanische Präsident Donald Trump hält mit seinem Hin und Her in der Zollpolitik die Welt in Atem. Nun muss die Wirtschaft anspringen. Kann der vermutlich neue Bundeskanzler Friedrich Merz die richtigen Zeichen setzen? Das sind die Fragen, die sich im Moment stellen.
Das verspricht die neue schwarz-rote Koalition: Das Bürgergeld wird abgeschafft. Es gibt eine neue Grundsicherung, Superabschreibungen für die Wirtschaft, eine neue Körperschaftsteuer ab 2028. Strompreise und Netzentgelte gehen runter, die Gasumlage fällt ganz, energieintensive Unternehmen sollen einen niedrigeren Industriestrompreis zahlen. Rentner, die weiter arbeiten, sollen Steuerbefreiungen bekommen. Das Rentenniveau von 48 Prozent bleibt erst einmal, ist aber nur bis 2031 gesichert. Die Mütterrente wird erhöht, der Agrardiesel wird subventioniert, die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wird gesenkt. Vieles wird verschoben und soll von Kommissionen beraten werden. "Ein bisschen Aufbruch", sagt der Chefredakteur von Table Media, Michael Bröcker. "Da ist viel später vielleicht drin, aber wenig jetzt sofort", kritisiert der Journalist.
Und der Chef vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall, Stefan Wolf, lobt zwar die Geschenke für die Wirtschaft, warnt aber auch: "Wir werden diese Regierung daran messen, ob sie auch liefert." Er hätte sich mehr Steuersenkungen für die Unternehmen gewünscht. Zufrieden ist er mit der Ankündigung von besseren Steuerabschreibungen, denn die fördern Investitionen. Heilfroh" ist er über die Abschaffung des Lieferkettengesetzes, das sich gerade für kleine Betriebe als ein wahres Bürokratiemonster entpuppt hat. "Die Ansätze sind gut", sagt Wolf, "Aber ich glaube, die Kommissionen, die die Regierung gebildet hat, müssen jetzt schnell liefern." Eine starke Wirtschaft helfe der Regierung und dem Land.
Katja Kipping war einmal Linken-Vorsitzende und ist jetzt Chefin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Sie kritisiert: "Es gibt drei große Verlierer: Klimaschutz, den Schutz vor Armut und den Schutz von geflüchteten Menschen." Vor allem für Menschen mit wenig Geld biete der Koalitionsvertrag nach Meinung Kippings zu wenig. Die Inflation frisst das Geld auf, steigende Mieten kommen hinzu. Armut werde steigen, bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, befürchtet Kipping. Allerdings kommt zum Beispiel die geplante Senkung der Energiepreise auch armen Menschen zugute.
"Bin sicher, dass wir das packen"
Carsten Linnemann ist dafür bekannt, dass er seinem Chef Friedrich Merz nur selten widerspricht. Der hatte vor den Wahlen einen Politikwechsel versprochen. "Der Politikwechsel steht in dem Koalitionsvertrag", betont Linnemann jetzt. So werde die illegale Migration gestoppt, die Wirtschaft gefördert und Bürokratie abgebaut. "Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Das muss jetzt umgesetzt werden." Linnemann, der ein Kandidat für das Amt des Wirtschaftsministers ist, glaubt an den Erfolg der neuen Bundesregierung. "Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das packen", so Linnemann.
Die Regierung werde mit einem Sofortprogramm beginnen. "Bis Juli müssen die wichtigsten Pflöcke eingesetzt werden", erklärt Linnemann. Er geht davon aus, dass der neue Bundeskanzler am 6. Mai gewählt wird. Dann habe man zwei Monate Zeit, um die wichtigsten Punkte abzuarbeiten, damit es schon in der Sommerpause eine andere Grundstimmung in der Bevölkerung geben werde. "Daran werden wir uns messen lassen müssen", so Linnemann. "Daran werden wir Sie messen", antwortet Wolf. Das könnte man als Warnung auffassen.
Manuela Schwesig ist sicher: Diese Regierung wird Probleme ohne Streit lösen, "weil ich davon ausgehe, dass die handelnden Personen klug genug sind, zu wissen: Wenn die nächste Regierung so weitermacht wie die Regierung vor ihr, also sich nur zu streiten, dann ist es auch egal, was man zusammen beschließt. Dann wenden sich die Leute noch weiter ab. Sie haben die Nase voll vom Streiten. Die Leute wollen einfach nur noch wissen, welche Antworten es auf die Probleme gibt, wie die Wirtschaft wieder stärker und die Arbeitsplätze sicherer werden." Die Menschen forderten zudem mehr günstigen Wohnraum und eine gute Gesundheitspflege. Klar sei schon: Die Regierung werde massiv in die Infrastruktur, die Wirtschaft und den sozialen Wohnungsbau investieren. Dazu diene das Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die nächsten zwölf Jahre. Schwesig: "Es steckt ganz viel in dem Vertrag. Wenn wir es schaffen, schon mal die Hälfte umzusetzen, dann wird es dem Land besser gehen." Nicht alle Forderungen der Sozialdemokraten fänden sich jedoch im neuen Koalitionsvertrag wieder. So habe die SPD die von ihr geplante Reichensteuer nicht durchsetzen können.
Rente und Sozialpolitik
Eine der wichtigen strategischen Weichenstellungen muss noch kommen: Die Sicherung der Rente. Darüber wird ein Arbeitskreis gebildet, den die neue Regierung "Kommission" nennt. Die hat eine Aufgabe, wenn es nach Schwesig geht: "Die Renten müssen stabil bleiben und mit den Löhnen steigen." Linnemann weist auf die Aktivrente hin. Danach können Rentner bis zu 2000 Euro steuerfrei zu ihrer Rente hinzuverdienen. "Das wird so schnell wie möglich kommen", verspricht Linnemann. Kritisiert wird jedoch die 'Erhöhung der Mütterrente, auch bei Maybrit Illner. "Das hätten wir nicht gebraucht", sagt Wolf. Für die einzelne Frau sei die Steigerung so niedrig, dass sie kaum spürbar sei. Wolf hätte sich mehr Steuererleichterungen für alle Menschen gewünscht: "Wir brauchen eine Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent. Das müssen Sie dringend angehen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, sind wir 2032 bei 50 Prozent, und das ist den Unternehmen nicht zuzumuten, aber vor allem auch den Menschen nicht, die hart arbeiten."
Die Hauptaufgabe der neuen Koalition sei, in die Wirtschaft zu investieren, sagt Manuela Schwesig. "Da sind die Industriebetriebe wichtig, vor allem aber auch der Mittelstand." Zugleich müssten die Energiepreise gesenkt und die Menschen unterstützt werden, die jeden Tag hart arbeiten. "Das prägt den Koalitionsvertrag. Wir machen vielleicht nicht alle Maßnahmen sofort am Anfang. Aber das ist der Kern. Und ich sage auch ganz deutlich: Wir investieren mehr in die militärische Sicherheit. Wir müssen aber auch mehr in die wirtschaftliche Stärke investieren, denn Sicherheit gibt es für kein Land ohne wirtschaftliche Stärke."
Den Menschen müsse klar sein: Die Modelle der letzten Jahrzehnte funktionieren nicht mehr. Es gebe keine billige Energie mehr aus Russland und keine billige Sicherheit mehr durch die USA. "Wir müssen das jetzt selber machen", so Schwesig. Man müsse den Menschen klar sagen: "Das ist eine Megaherausforderung." Groß sei, was die Regierung in Sachen Bürokratieabbau und Digitalisierung in Angriff nehme. "Wenn das mal kommt", wirft Michael Bröcker etwas ungläubig ein.
Wo spart der Staat bei sich selbst?
Der Journalist kritisiert unter anderem, dass der Staat bei sich selbst zu wenig spart. Eine von der Union geplante Zusammenlegung von Ministerien gibt es nicht. Im Gegenteil: Ein neues Ministerium wird geschaffen, das sich unter anderem mit der deutschen Eroberung des Weltalls beschäftigen wird. Zwar sollen in den nächsten vier Jahren acht Prozent der Beschäftigten in der Bundesverwaltung abgebaut werden, doch das sei eine "homöopathische Dosierung", so der Journalist. Linnemann verteidigt den Schritt: "Lasst uns doch erstmal anfangen", ist sein Lieblingssatz dieser Sendung, den er mindestens ein halbes Dutzend Mal zu den verschiedensten Themen wiederholt.
Klar ist: Diese Regierung hat diesmal keine hundert Tage Zeit, die Probleme anzupacken. In den Wahlumfragen ist die AfD der Union dicht auf den Fersen, und die Menschen erwarten einen Politikwechsel mehr als je zuvor. Scheitern ist verboten, im Interesse der Menschen und der Demokratie in diesem Land.